Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld mit Oerlinghausen

Fußball ist unser Leben oder auch nicht

Das Wilhelm Busch Museum in Hannover zeigt Karikature­n zu Schweiß und Leidenscha­ft auf dem Rasen. Eine gelungene Begleitung nicht nur in der Zeit der Fußball-europameis­terschaft.

- Joachim Göres

Hannover. „Toni, du bist ein Teufelsker­l. Toni, du bist ein Fußballgot­t.“Als Herbert Zimmermann 1954 bei der Übertragun­g des Fußballend­spiels Deutschlan­d-ungarn den deutschen Torhüter Anton Turek für seine wagemutige­n Paraden mit diesen Worten feierte, da regten sich viele Zuhörer auf. Für sie war es unerträgli­ch, einem Menschen göttliche Kräfte zuzuschrei­ben. Das ist lange her.

Spätestens seit einem vom argentinis­chen Superstar Diego Maradona irregulär mit der Hand erzielten Tor und seine Rechtferti­gung („Das war die Hand Gottes“) sind solche Vergleiche verbreitet und der Ausdruck dafür, welche starken Emotionen der Fußball bei seinen Anhängern auslösen kann.

Das zeigt auch die Ausstellun­g „ANPFIFF. Schweiß und Leidenscha­ft auf dem Rasen“im Museum Wilhelm Busch/deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkun­st in Hannover. Die dort präsentier­ten Karikature­n von bekannten Zeichnern wie Gerhard Haderer, F. K. Waechter, Ronald Searle und vielen anderen nehmen diese Begeisteru­ng gerne auf die Schippe und stellen damit die Bedeutung des Fußballs auch in Frage.

Von Volker Kriegel ist eine Zeichnung zu sehen, auf der ein enttäuscht­er Spieler auf Knien auf dem Spielfeld die Arme flehentlic­h in den Himmel reckt. Darunter ist zu lesen: „Allen Gerüchten zum Trotz: Es gibt keinen Fußballgot­t!“Greser & Lenz zeigen einen unglücklic­hen Spieler nach einem verschosse­nen Elfmeter, der von der Zuschauert­ribüne ein lautstarke­s „Kreuzigt ihn!“hört.

Bei dem aus Bielefeld stammenden Til Mette unterhalte­n sich zwei nachdenkli­che grünweißge­kleidetefu­ßballfansa­uf dem Weg vom Stadion nach Hause: „Immer wenn ich denke, das Leben ist für’n Arsch, es macht alles keinen Sinn, gewinnt Werder.“

Neben der Leidenscha­ft für denvolkssp­ortgehtesa­uchum Korruption, Millioneng­ehälter, Homophobie, die Benachteil­igung des Frauenfußb­alls, Rassismus, den Einfluss von Unternehme­n und Investoren. Auf dem Bild von Burkhard Fritsche laufen zwei Mannschaft­en ins Stadion ein. Jeder hat einen Begleiter an seiner Seite – statt der üblichen Ballkinder sind es Polizisten, die jeden Spieler mit Handschell­en festgemach­t haben.

Der Bildtitel „Italien im Wettskanda­l“weist auf die Beteiligun­g von Profis an illegalen Spielabspr­achen hin. Von Pepsch Gottschebe­r stammt eine Zeichnung von 2015, auf der sich der gerade verstorben­e Franz Beckenbaue­r in einem Kaiser-kostüm versteckt – so drückt er sich vor Antworten zu seiner Rolle zu Zahlungen an Fußballfun­ktionäre, die für ihre Stimme für Deutschlan­d als Austragung­sort der Weltmeiste­rschaft 2006 bestochen wurden. In einem ZDF-FILM geht es um die Frage, warum es fast keine offen homosexuel­l lebenden Profifußba­ller gibt.

Oliver Ottitsch ist das vermeintli­che Engagement von Funktionär­en und Stars gegen Rassismus und Schwulenfe­indlichkei­t nicht geheuer. Seine Zeichnung zeigt einen Spieler, in dessen Spind verschiede­ne Kapitänsbi­nden hängen. Da gibt es Binden in Regenbogen­farben, mit den Buchstaben BLM (Black Lives Matter), mit dem Aufdruck Metoo, aber auch eine mit einem Hakenkreuz. „Welche Binde tragen wir noch mal diese Saison?“, fragt der verwirrte Kapitän in die Spielerrun­de.

Zu meinen Lieblingsk­arikaturen gehört von Ruth Hebler ein älteres Paar auf einem Sofa. Der Mann blickt entgeister­t zu seiner Frau, die in Richtung ihres Smartphone­s fragt: „Siri, was ist Abseits?“Darunter der Bildtext: „Männer bald komplett überflüssi­g“. Eine schöne Ausstellun­g, die sich allerdings nicht so recht zwischen frechen Kommentare­n und Faszinatio­n entscheide­n kann, denn es sind auch viele Devotional­ien wie alte Trikots oder die Replik einer Meistersch­ale von Hannover 96 ausgestell­t.

Da passt es gut, dass gleichzeit­ig im Museum die Ausstellun­g „Ein Ort. Irgendwo“mit Karikature­n zu Flucht, Migration und Fluchtursa­chen läuft. Christian Braun von „Engagement Global“hat sie organisier­t. Er trainiert selber eine Mannschaft mit geflüchtet­en Spielern, die zum Teil seit Jahren in Deutschlan­d in Container leben. Sein Appell an die Besucher bei der Ausstellun­gseröffnun­g: „Fußball ist die schönste Nebensache der Welt, die Menschen miteinande­r verbindet. Darüber sollte man andere Themen aber nicht vergessen. Nehmen Sie sich fünf Minuten Zeit, um auch die Karikature­n zum Thema Flucht im ersten Stock zu sehen.“

´ Bis 14. Juli, geöffnet di-so 11-17 Uhr. Begleitpro­gramm unter www.karikatur-museum.de

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Foto: Til Mette Der aus Bielefeld stammende Karikaturi­st Til Mette macht deutlich, einmal Fußballfan immer Fußballfan.
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Foto: Oliver Ottitsch Der Ball ist drin.

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