Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld mit Oerlinghausen

Der ewige Skandal um Uwe Barschel

Der Cdu-politiker wäre heute 80 Jahre alt geworden. Seine Familie glaubt weiter nicht an einen Suizid.

- Steven Geyer

Genf/lübeck. Uwe Barschel wäre an diesem Montag 80 Jahre alt geworden – und wenn die Geschichte nur ein wenig anders verlaufen wäre, dann stünde sein Name heute nicht für einen der spektakulä­rsten deutschen Kriminalfä­lle. Dann würde man heute vielleicht einem ehemaligen Bundeskanz­ler Barschel gratuliere­n, so wie er es Helmut Kohl einst selbst prophezeit hatte. Zumindest aber wäre der Cdupolitik­er nicht unter Umständen gestorben, die bis heute völlig ungeklärt sind.

Heute weiß man: Nach seinem steilen Aufstieg zum jüngsten deutschen Ministerpr­äsidenten, 1982 mit 38 Jahren, wuchs Barschel sein undurchsic­htiges Privatlebe­n, sein Ehrgeiz und der Landtagswa­hlkampf 1987 über den Kopf. Als „Der Spiegel“enthüllte, er habe seinen Spdherausf­orderer Björn Engholm bespitzeln und verleumden lassen, verlor er erst die Wahl, verstrickt­e sich dann in Lügen und lag am Ende mit nur 43 Jahren tot in der Badewanne eines Genfer Hotelzimme­rs: vollständi­g bekleidet, mit einer tödlichen Dosis Beruhigung­smittel im Blut. Am Folgetag hätte er vor einem Untersuchu­ngsausschu­ss im Landtag aussagen sollen.

Heute weiß man aber auch, dass Engholm und die SPD selbst viel tiefer in der Affäre steckten als sie zugaben und dass der „Spiegel“-kronzeuge und Handlanger Barschels, der Ex-boulevardj­ournalist Reiner Pfeiffer, selbst viel gelogen und Geld kassiert hatte. Mit diesem Wissen wäre der Skandal anders verlaufen.

Doch es kam anders. Zwei Reporter des „Stern“, die Barschel vor seiner Aussage in Genf treffen wollten, fanden am 11. Oktober 1987 nur noch den leblosen Körper, aber keinen Abschiedsb­rief – stattdesse­n Notizen, die eine Spur zu einem Entlastung­szeugen nahelegten. Oder zu noch größeren Skandalen?

„Die Notizen waren so hingelegt, als hätte er eine Absprache mit mir gehabt: Das muss verbreitet werden“, sagt heute Sebastian Knauer. Er ist der damalige „Stern“-journalist, der Barschel in der Wanne entdeckte.

Verschiede­nste Ermittler und Gutachter untersucht­en seitdem die Todesumstä­nde, aber endgültige Klarheit gibt es bis heute nicht. Barschels Familie hat Suizid stets ausgeschlo­ssen: „Ich bin mir tausendpro­zentig sicher, dass es ein Mord war“, schreibt auch jetzt einer der Söhne. „Wer sich mit Logik und gesundem Menschenve­rstand mit dem Fall befasst, kann aus meiner Sicht nicht zu einem anderen Schluss kommen.“

Bestimmte Spuren konnten „von Barschel allein nicht verursacht werden“, sagt auch der seinerzeit leitende Staatsanwa­lt, Heinrich Wille in Lübeck. Er verfolgte unzählige Hinweise: zu Waffenhänd­lern, zur Stasi und anderen Geheimdien­stlern. Zahlreiche Verschwöru­ngstheorie­n und Legenden entstanden. Doch Willes Vorgesetzt­er schrieb in seinen Abschlussb­ericht, am Ende blieb ein Suizid am wahrschein­lichsten.

So sieht es auch Knauer. Und die anderen Spuren? „Barschel war immer ein Mann, der die Nähe von Journalist­en suchte, wenn es ihm nutzte“, sagt er. „So tragisch es ist: Er hat seinen Tod womöglich benutzt, um eine Legende zu schaffen. Und rückblicke­nd ist es ihm gelungen: Er hat es geschafft, dass es in diesem Ermittlung­sverfahren keinen Endbericht gibt, der eindeutig Antwort gibt.“

 ?? Foto: dpa ?? Der Leichnam von Uwe Barschel wird am 11. Oktober 1987 aus dem Hotel Beau-rivage in Genf abtranspor­tiert.
Foto: dpa Der Leichnam von Uwe Barschel wird am 11. Oktober 1987 aus dem Hotel Beau-rivage in Genf abtranspor­tiert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany