Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld mit Oerlinghausen
Der ewige Skandal um Uwe Barschel
Der Cdu-politiker wäre heute 80 Jahre alt geworden. Seine Familie glaubt weiter nicht an einen Suizid.
Genf/lübeck. Uwe Barschel wäre an diesem Montag 80 Jahre alt geworden – und wenn die Geschichte nur ein wenig anders verlaufen wäre, dann stünde sein Name heute nicht für einen der spektakulärsten deutschen Kriminalfälle. Dann würde man heute vielleicht einem ehemaligen Bundeskanzler Barschel gratulieren, so wie er es Helmut Kohl einst selbst prophezeit hatte. Zumindest aber wäre der Cdupolitiker nicht unter Umständen gestorben, die bis heute völlig ungeklärt sind.
Heute weiß man: Nach seinem steilen Aufstieg zum jüngsten deutschen Ministerpräsidenten, 1982 mit 38 Jahren, wuchs Barschel sein undurchsichtiges Privatleben, sein Ehrgeiz und der Landtagswahlkampf 1987 über den Kopf. Als „Der Spiegel“enthüllte, er habe seinen Spdherausforderer Björn Engholm bespitzeln und verleumden lassen, verlor er erst die Wahl, verstrickte sich dann in Lügen und lag am Ende mit nur 43 Jahren tot in der Badewanne eines Genfer Hotelzimmers: vollständig bekleidet, mit einer tödlichen Dosis Beruhigungsmittel im Blut. Am Folgetag hätte er vor einem Untersuchungsausschuss im Landtag aussagen sollen.
Heute weiß man aber auch, dass Engholm und die SPD selbst viel tiefer in der Affäre steckten als sie zugaben und dass der „Spiegel“-kronzeuge und Handlanger Barschels, der Ex-boulevardjournalist Reiner Pfeiffer, selbst viel gelogen und Geld kassiert hatte. Mit diesem Wissen wäre der Skandal anders verlaufen.
Doch es kam anders. Zwei Reporter des „Stern“, die Barschel vor seiner Aussage in Genf treffen wollten, fanden am 11. Oktober 1987 nur noch den leblosen Körper, aber keinen Abschiedsbrief – stattdessen Notizen, die eine Spur zu einem Entlastungszeugen nahelegten. Oder zu noch größeren Skandalen?
„Die Notizen waren so hingelegt, als hätte er eine Absprache mit mir gehabt: Das muss verbreitet werden“, sagt heute Sebastian Knauer. Er ist der damalige „Stern“-journalist, der Barschel in der Wanne entdeckte.
Verschiedenste Ermittler und Gutachter untersuchten seitdem die Todesumstände, aber endgültige Klarheit gibt es bis heute nicht. Barschels Familie hat Suizid stets ausgeschlossen: „Ich bin mir tausendprozentig sicher, dass es ein Mord war“, schreibt auch jetzt einer der Söhne. „Wer sich mit Logik und gesundem Menschenverstand mit dem Fall befasst, kann aus meiner Sicht nicht zu einem anderen Schluss kommen.“
Bestimmte Spuren konnten „von Barschel allein nicht verursacht werden“, sagt auch der seinerzeit leitende Staatsanwalt, Heinrich Wille in Lübeck. Er verfolgte unzählige Hinweise: zu Waffenhändlern, zur Stasi und anderen Geheimdienstlern. Zahlreiche Verschwörungstheorien und Legenden entstanden. Doch Willes Vorgesetzter schrieb in seinen Abschlussbericht, am Ende blieb ein Suizid am wahrscheinlichsten.
So sieht es auch Knauer. Und die anderen Spuren? „Barschel war immer ein Mann, der die Nähe von Journalisten suchte, wenn es ihm nutzte“, sagt er. „So tragisch es ist: Er hat seinen Tod womöglich benutzt, um eine Legende zu schaffen. Und rückblickend ist es ihm gelungen: Er hat es geschafft, dass es in diesem Ermittlungsverfahren keinen Endbericht gibt, der eindeutig Antwort gibt.“