Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld mit Oerlinghausen
Ein Streiter für Menschlichkeit und die queere Sache
Noch 17 Monate wird Pit Clausen die Geschicke unserer Stadt lenken. Mit dann 16 Jahren Amtszeit wird er eine ganze Generation Bielefelder geprägt haben, viele Erstwähler bei der Kommunalwahl im kommenden Jahr kennen keinen anderen Oberbürgermeister als ihn. Ähnliches hat man einmal über Bundeskanzler Helmut Kohl gesagt, dessen Amtszeit mit 5.870 Tagen die bislang längste war, er war zehn Tage länger am Ruder als Angela Merkel.
Bei einem angenommenen Ausscheiden am 1. November 2025 wäre Clausen 5.855 Tage Chef des Bielefelder Rathauses. Nur Rudolf Stapenhorst war von 1910 bis 1932 länger in Amt und Würden. Nach ihm wurde sogar eine Straße im Bielefelder Westen benannt. Ob Clausen diese Ehre ebenfalls zuteilwerden könnte, wird vom Fazit der Bielefelder nach seiner Amtszeit abhängen. Er selbst sieht sich jetzt nicht als „lame duck“, und mit ihm sei in den kommenden 17 Monaten auf jeden Fall zu rechnen.
In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten stand Bielefeld immer wieder vor großen Herausforderungen, die immer wieder durch Aufs und Abs geprägt waren. Kaum war die Sanierung der Kommunalfinanzen in Sicht, musste die Stadt Geflüchtete aus aller Welt aufnehmen, dann kam Corona und schließlich der Ukrainekrieg.
Nebenher war die Klimaund Verkehrswende zu moderieren oder das milliardenschwere Bauprogramm für eine neue Hauptfeuerwehrwache, viele neue Schulen und die Sanierung der Kunsthalle mussten angeschoben werden. Auch hier war der Start ambitioniert, aber durch die Explosion der Baukosten und einer erneut angespannten Finanzlage musste deutlich eingedampft werden.
Clausen gilt zudem als sehr guter Moderator politischer Entwicklungen und Strömungen. Doch manchmal hätte man sich allerdings gewünscht, dass er an der ein oder anderen Stelle konsequenter gewesen wäre und nicht Dinge erst zur Chefsache
erklärt hätte, als das Kind schon längst in den Brunnen gefallen war und es keine Chance bestand, es jemals wieder herauszubekommen.
Doch das höchste Gut, was Clausen in diese Stadt getragen hat, ist seine Menschlichkeit und sein Mut, sich für die queere Sache öffentlich einzusetzen. Spätestens mit der Heirat seines langjährigen Lebensgefährten Thomas Sopp 2011 war dies eine Zäsur, weil sich viele auch zu diesem Zeitpunkt noch enorm schwergetan haben mit der Erkenntnis, dass es unterschiedliche Lebensformen gibt, und es allerhöchste Zeit war, diese nun wirklich in der Praxis zu akzeptieren.