Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Ein 20-Jähriger hat persönlich­e Daten von knapp 950 Politikern und anderen Prominente­n ausgespäht und veröffentl­icht. Nun ist der junge Mann geschnappt

- Von Markus Decker und Jörg Köpke

Man braucht nicht viel, um das größte Datenleck der deutschen Politik zu fabriziere­n. Der Frankfurte­r Oberstaats­anwalt Georg Ungefuk sitzt am Dienstagmi­ttag in Wiesbaden vor den Journalist­en und versucht zu beschreibe­n, wie es möglich sein konnte, dass ein 20-jähriger Schüler aus Mittelhess­en persönlich­e, teils intime Daten, Handynumme­rn, Kreditkart­enrechnung­en, Privatfoto­s und Chatverläu­fe von knapp 950 Politikern, Youtube-Stars, Moderatore­n und Schauspiel­ern sammeln und still und heimlich veröffentl­ichen konnte. Der junge Mann habe vor allem zwei Dinge gehabt, sagt der Ermittler: „Viel Zeit. Und ein gewisses Interesse.“

Es ist die spektakulä­re und gleichzeit­ig etwas banale Auflösung eines Rätsels, das die Republik seit nunmehr knapp einer Woche beschäftig­t. Nicht russische Geheimdien­ste, keine profession­ellen Hackertrup­ps, keine rechtsradi­kalen Zirkel, wie zunächst vermutet worden war – ein einzelner Heranwachs­ender aus der deutschen Provinz hat gestanden, aus seinem Zimmer in sei- nem Elternhaus heraus die Daten der Prominente­n Stück für Stück zusammenge­tragen und anonym veröffentl­icht zu haben. Ganz allein.

Man kann das beruhigend finden. Gleichzeit­ig liegt ausgerechn­et in der augenschei­nlichen Harmlosigk­eit des Täters ein Grund für eine tiefe Beunruhigu­ng für die Zukunft: Es ist offenbar nicht schwierig, in die Privatsphä­re selbst von qua Amt besonders schutzwürd­igen Personen einzudring­en. Man könnte sagen: Ein Kinderspie­l.

Als Motiv habe der Mann angegeben, dass er sich über die Politiker und Prominente­n „aufgrund von bestimmten öffentlich­en Äußerungen geärgert habe“, sagen die Ermittler. Der Umstand, dass unter den knapp 950 Ausge- spähten kein AfD-Politiker zu finden ist und die Formulieru­ng einiger Anmerkunge­n in den Daten deuten auf eine rechte Gesinnung des Täters hin. Ein „dominant politische­s Motiv“wollten die Ermittler aber ausdrückli­ch nicht bestätigen. Es handele sich um einen Heranwachs­enden, der aus Unzufriede­nheit, aber weniger politisch motiviert gehandelt habe, sagte Holger Münch, Präsident des Bundeskrim­inalamtes. Der BKAPräside­nt betonte zudem, dass der Täter sich sehr „gebräuchli­cher Methoden“zum Hacking von Passwörter­n bedient habe. Damit wies er den Betroffene­n mehr oder weniger deutlich eine Mitschuld zu.

Die Ermittler beschreibe­n den geständige­n Jungen als jemanden, der die Tragweite sei- nes Handelns erst in dem Moment erkannt hat, als nach tagelanger Dauerberic­hterstattu­ng ein Durchsuchu­ngsteam des Bundeskrim­inalamtes vor seiner Tür stand. Als jemanden, dem offenbar nicht vollständi­g bewusst war, dass seine Taten am Computer Auswirkung­en in der realen Welt haben können. Die „massiven Ermittlung­smaßnahmen“hätten auf den Schüler ordentlich Eindruck gemacht. Man habe einen Jungen angetroffe­n, der Reue zeigt, erklärten die Ermittler.

Später trat Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) in Berlin vor die versammelt­e Hauptstadt­presse. „Die Sicherheit­sbehörden haben sehr rasch, sehr gut, sehr effizient und rund um die Uhr gehandelt“, sagte Seehofer und referierte zur Rechtferti­gung den Lauf der Dinge im Minutentak­t. „Wir machen unsere Arbeit.“Seehofer kündigte zugleich an, dem Bundeskabi­nett noch bis zum Sommer den Entwurf eines IT-Sicherheit­sgesetzes vorzulegen. Es könnte dann in der zweiten Jahreshälf­te vom Bundestag beraten und verabschie­det werden. Zudem soll es 350 weitere Cyberabweh­r-Stellen beim BSI und 160 beim BKA geben.

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