Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost
Die britischen Parlamentarier debattieren von heute an wieder im Unterhaus. Sollten sie bei der folgenden Abstimmung den Deal ablehnen und Großbritannien die EU ohne Vertrag verlassen, droht ihrem Land ein Chaos. Besonders hart würde es die Hafenstadt tre
Während sich die Abgeordneten in London unvermindert über das BrexitAbkommen zanken, braut sich über der Hafenstadt Dover ein unheilvolles Szenario wie ein schweres Gewitter zusammen.
Es sieht so aus: Etwa 10.000 Lastwagen bleiben in Staus hinter den berühmten weißen Klippen stecken oder müssen lange auf stillgelegten Autobahnabschnitten ausharren. Die Luft wird durch das Verkehrschaos immer schlechter. Behörden bleiben zeitweise geschlossen, da die Mitarbeiter ihre Büros nicht erreichen können. Der Abfall stapelt sich in den Straßen, denn für viele Müllwagen gibt es kein Durchkommen. Kinder erreichen ihre Schulen nicht, frische Lebensmittel vergammeln noch während des Transports in Lkw-Kolonnen.
Die düsteren Vorhersagen stammen nicht aus einem Endzeit-Film, sondern aus einer Studie des Rats der Grafschaft Kent. Realität könnten sie werden, falls Großbritannien am 29. März ohne Abkommen aus der EU ausscheiden sollte. Angesichts der verfahrenen Situation im Parlament scheint das immer realistischer. Von heute an werden die Abgeordneten wieder über den Brexit debattieren. In der dritten Januarwoche sollen sie dann über den Austrittsvertrag abstimmen, den Premierministerin Theresa May mit Brüssel ausgehandelt hat.
Der Ärmelkanal bietet mit seinen Fähren und dem nahe gelegenen Eurotunnel die wichtigste Verbindung zwischen Großbritannien und dem Festland – vor allem für Waren, die sehr schnell ans Ziel müssen. Bei einem „No Deal“wären jedoch von einem Tag auf den anderen Zollkontrollen nötig. Die Region würde sich zu einem Nadelöhr entwickeln.
Schiffe transportierten 2017 mehr als 2,6 Millionen Lastwagen über die Meerenge – vollgepackt etwa mit Autotei- len und Medikamenten. Im Nachbarort Folkestone verkehren außerdem Züge durch den Eurotunnel; sie transportieren viele Lkw mit Fracht und Containern auf die andere Seite des Ärmelkanals.
Die über wohl Monate verstopften Straßen werden den Prognosen zufolge Auswirkun- gen auf viele Bereiche haben. So müsse der Zugang zu Schulen und Krankenhäusern ebenso sichergestellt werden wie der Transport von Toten zu Leichenhallen. Um die Situation auf den Straßen etwas zu entspannen, soll möglichst vielen Verwaltungsangestellten für drei bis sechs Monate das Arbeiten von zu Hause ermöglicht werden.
London schätzt, dass über die Route Calais-Dover bei einem Brexit ohne Abkommen nur zwölf bis 25 Prozent der üblichen Kapazität zu schaffen sein werde. Die Lastwagen könnten sich schnell auf 50 Kilometer stauen. Paul Carter vom Grafschaftsrat fordert von der Regierung „mehr Informationen, wie sie mit uns künftig zusammenarbeiten will“. Hohn und Spott gab es auch für den Plan der Regierung, mit zusätzlichen Fähren die Lieferengpässe für Waren zu verringern: fand heraus, dass einer der Aufträge an eine Reederei gegangen war, die ihren Betrieb noch gar nicht aufgenommen hat. Verkehrsminister Chris Grayling verteidigte den Vertrag als Förderung eines Start-upUnternehmens.