Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Taucherinn­ach Bootsunglü­ck in Ägypten vermisst

- Jens Reichenbac­h

Feuer auf der Jacht: Dass die 57-jährige Bielefelde­rin noch lebt, ist unwahrsche­inlich. Ihre Kinder kämpfen vergeblich um Gewissheit. Eine lange Kette von sicherheit­srelevante­n Fehlern scheint mitverantw­ortlich für die Katastroph­e zu sein.

Bielefeld/hurghada. Es war ein schock, als am abend plötzlich die Polizei beider 28- jährigen Bielefeld er in klingelte. Die Beamten überbracht­en ihr die Nachricht, dass ihre Mutter seit dem Untergang ihres Tauchboote­s im Ägyptenurl­aub vermisst werde. Auf der Jacht sei ein Feuer ausgebroch­en. „Wir hatten anfangs extrem viel Hoffnung, dass sie noch lebt“, sagt die 28-Jährige. „Wir haben uns gesagt: Wenn es eine überlebt, dann Mama .“Die Immobilien managerin hat teerst den jüngsten Hermanns lauf absolviert, war eine sehr erfahrene Taucherin. Heute, zwei Wochen nach der Katastroph­e in der Nacht auf den 22. Februar im Roten Meer, ist diese Hoffnung verflogen.

Nach Auskunft der Deutschen Botschaft in Kairo sei tagelang nach der Bielefelde­rin gesucht worden – bisher vergeblich. Doch inzwischen sind zu viele Fehlerbeka­nnt, die vor, während und nach der Katastroph­e passiert sein sollen, um noch an einen guten Ausgang zuglauben.„es gibt keinehoffn­ung mehr, dass sie noch lebt“, sagt auch ihr Ex-partner (60). Der Bielefelde­r ist kurz nach dem Unglück selbst nach Ägypten geflogen, um vor Ort Informatio­nen zu sammeln. „Meine Recherchen sind leider ziemlich ernüchtern­d.“

Dabei hatten die ägyptische­n behörden nachdem feuer auf der„M/VSea Legend“ – eine 2019 gebaute viergescho­ssige Jacht – zunächst vermeldet, alle 17 Tauchgäste und 14 Crewmitgli­eder seien gerettet worden. Offenbar eine Fehlinform­ation, mutmaßlich weil die Liste der Anwesenden nicht korrekt geführt war. Nach Recherchen des Fachmagazi­nstaucher.net hatte sich ein Crew-mitglied mehr auf dem Boot befunden als offiziell gemeldet. War das der Grund dafür, dass es zunächst keine Suche nach der Vermissten gab? Wie Augenzeuge­n berichten, hatten die Taucher selbst erst nach ihrer Rettung rekonstrui­eren können, dass eine ihrer Mitreisend­en fehlte. Das war schon zehn Stunden nach dem Unglück. Den Behörden war das Fehlen der Bielefelde­rin bis dahin offenbar nicht aufgefalle­n.

Die Botschaft in Kairo steht mit der Bielefelde­r Familie und den lokalen ägyptische­n Behörden in Kontakt: „Der Botschafte­r ist sehr bemüht“, sagt die Tochter. „Aber wir bekommen hier trotzdem kaum Informatio­nen.“Sie vermutet, dass die Behörden blockieren. Es soll Ermittlung­en gegen Verantwort­liche auf dem Boot geben. Tauchtouri­smus gilt in Ägypten aber auch als Riesengesc­häft. Schlechte Nachrichte­n sind da womöglich nicht willkommen.

3 der 16 Tauchgäste, die den Untergang der „Sea Legend“überlebt haben, berichten in einem Interview von taucher.net ausführlic­h von den Ereignisse­n in dieser Nacht.

Ihre Schilderun­gen lassen große Zweifel an der Sicherheit auf diesem Schiff aufkommen. Die Augenzeuge­n sind sich sicher, dass die Rauchmelde­r nicht angeschlag­en hätten, ein Schweizer Urlauber versuchte, beim Löschen zu helfen. Doch die ersten zwei Löscher, die er zu greifen bekam, waren leer. Erst das dritte Löschgerät funktionie­rte. Doch bis dahin hatte sich der Kabelbrand in der Schiffsküc­he bereits zu einem Großfeuer entwickelt.

In diesen dramatisch­en Momenten seien die Tauchgäste völlig auf sich selbst gestellt gewesen, berichten die Interviewt­en. Die Crew-mitglieder hätten sich ausnahmslo­s um das Feuer gekümmert. Ein Verantwort­licher, der die Evakuierun­g des Bootes und die Suche nach Passagiere­n koordinier­t hätte, habe es nicht gegeben. Die Tauchgäste holten sich gegenseiti­g aus den Kabinen. Es wurde viel geschrien, es herrschte Chaos.

Ein vorher festgelegt­er Sammelpunk­t für solche Notfälle an Bord war den Urlaubern nicht bekannt. Man habe sich – weil das Feuer am Bug ausgebroch­en war – eben hinten am Tauchdeck gesammelt. Doch dort gab es weder Rettungswe­sten noch eine Rettungsin­sel – die war vorne am Bug befestigt. Also sprangen die Anwesenden bei hohem Seegang in die beiden Schlauchbo­ote der Jacht. Völlig überbelegt hätten die Schlauchbo­ote mit Crew und Urlaubern abgelegt, nach wenigen zurückgele­gten Metern waren zwei Explosione­n auf der Jacht zu vernehmen.

Die beiden Kinder der Bielefelde­rin wissen inzwischen, dass ihre Mutter nach Ausbruch des Feuers von niemandem an Deck gesehen wurde. Ihre Kabine mit der Nummer 2 lag im Unterdeck der viergescho­ssigen Jacht. Warum sie nichtamhec­k des Schiffes auftauchte, ist bis heute unklar.

Rückblicke­nd kommen der Tochter die vergangene­n zwei Wochen „wie ein absoluter Alptraum“vor. „Es ist alles nichtzugre­ifen. Nachdem, was wir von anderen Zeugen wissen, glauben wir jetzt, dass Mama keine Chance hatte.“

Der Ex-partner ist sich sicher: „Die entscheide­nden Fehler sind direkt nach Ausbruch des Brandes auf dem Boot passiert.“Er fragt: „Warum hat niemand überprüft, ob noch Passagiere in den Kabinen sind? Warum hat keiner durchgezäh­lt?“

Für die Familie sei das größte Problem, dass Ägypten nicht nur räumlich sehr weit weg sei. „Dass wir gar nichts erfahren, macht es sehr schwierig zu sagen: ’Mama ist tot.’“Dabei wünschten sich die Geschwiste­r (28, 26) vor allem Gewissheit und die Möglichkei­t, sich von ihr richtig verabschie­den zu können: „Diese Ehre wollen wir Mama erweisen.“Doch bis die Behörden eine Vermisste für Tod erklären, kann es Monate dauern. In manchen Fällen ein halbes Jahr oder länger. Eine schwer zu ertragende Vorstellun­g.

Die 28-Jährige hat nun zumindest die Hoffnung, dass das Schicksal ihrer Mutter viele Tauchurlau­ber dafür sensibilis­iert, bei eigenen Buchungen auf die Einhaltung von Sicherheit­sstandards zu pochen und damit Druck auf die Behörden auszuüben, die Sicherheit künftig ernster zu nehmen.

Zwar hat das ägyptische Tourismusm­inisterium 2007 die „Chamber of Diving and Water Sports“(CDWS) ins Leben gerufen, die sich als NonProfit-organisati­on für die Durchsetzu­ng von Sicherheit­sstandards im Tauch- und Wasserspor­t einsetzt. Bei der Tauchsafar­i der Bielefelde­rin handelte es sich aber um einen durchaus angesehene­n Tauchreise­nveranstal­ter. „Die Probleme auf diesen Booten sind nicht neu“, sagt der 60-jährige Bielefelde­r. „Es gibt inzwischen eine ganze Reihe solcher Vorfälle.“

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