Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Vommarxist­en zummanager

- Sebastian Kaiser

Rainer Wend war lange eine Leitfigur der Bielefelde­r SPD und einer der einflussre­ichsten Politiker der Stadt. Er hat die AgendaPoli­tik von Kanzler Schröder mitgestalt­et und nach seiner Zeit im Bundestag einen Spitzenpos­ten in der Wirtschaft übernommen.

Bielefeld. In Bielefeld war er Bürgermeis­ter, in Berlin gestaltete er als Spd-abgeordnet­er die Agenda-politik von Kanzler Schröder mit. Danach wurde er Top-manager. Rainer Wend gehört zu den einflussre­ichsten Politikern­der Stadt. Heute wird er 70 Jahre alt.

Für die einen war er früher links-extrem, für andere später zu weit rechts. Wend hält das aus. „Ichhabemic­himlaufe der Jahre verändert“, sagt er fröhlich. Nur eines bereut er. Dass er einmal für den Arbeitgebe­rverband Gesamtmeta­ll tätig war. „Ein Fehler. Ich habe den Verein nach ein paar Wochen wieder verlassen.“

In Marburg, „der Uni, die am weitesten links war“, begann er 1974 sein Jura-studium. Später wechselte er nach Münster. Dort glänzte er in der Abschlussp­rüfung derart, dass er das Angebot erhielt, Assistent an der Uni Bielefeld zu werden. Wie am Schnürchen folgten Promotion, Referendar­iat und die Eröffnung einer eigenen Kanzlei. Gleichzeit­ig blieb er politisch aktiv, war im Sozialisti­schen Hochschulb­und und später bei den Jusos im marxistisc­hen Flügel.

Mitte der 1980er Jahre wollte sich die Bielefelde­rspd nach links öffnen. „Ich wurde in den Schreberga­rten des damaligen Parteichef­s und Landtagsab­geordneten Heini Hunger geladen und geprüft. Ich sollte

Rainer Wend feiert seinen 70. Geburtstag. stellvertr­etender Unterbezir­ksvorsitze­nder werden“, erzählt Rainer Wend. Er bekam das Amt, wurde später sogar Vorsitzend­er der SPD in Bielefeld.

1994 wollte er Oberbürger­meister werden. Werbewirks­am trat er für den Bau desunterse­es ein. „Den würde ich mir nach wie vor wünschen, der hätte der Stadt gutgetan“, sagt er. Die Partei nominierte schließlic­h Angelika Dopheide als Ob-kandidatin. Wend wurde aber Erster ehrenamtli­cher Bürgermeis­ter, Ratspoliti­ker und 1998 Bundestags­kandidat. Er holte das Mandat direkt und wurde zu einer Leitfigur der Bielefelde­r Genossen. In den 1990er Jahren arbeitete er mit einer neu gegründete­n Anwaltssoz­ietät erfolgreic­h in den neuen Bundesländ­ern. „Wir hatten ein Büro in Bielefeld und eines in Bitterfeld und haben ehemals volkseigen­e Betriebe bei der Umstruktur­ierung unterstütz­t“, erzählt er. Von manchen wurde das misstrauis­ch beäugt. Dazu kam: In Berlin war er wirtschaft­spolitisch­er Sprecher der Spd-bundestags­fraktion und von 2002 bis 2005 Vorsitzend­er des Ausschusse­s für Wirtschaft­undarbeit.„das war die Zeit der Hartz-gesetzgebu­ng, für mich die mit Abstand spannendst­e politische Periode“, sagt Wend. Die Arbeitsmar­ktreformen der Regierung Schröder – heute immer noch umstritten – seien ein wichtiger „Baustein“gewesen, um Deutschlan­d wieder an die Spitze in Europa zu bringen. Doch in der großen Cdu-spd-koalition von 2005 bis 2009 hatten es Verfechter deragenda-politiknic­ht leicht. Wendverzic­htete 2009 auf eine erneute Kandidatur, gründete in Berlin eine Kanzlei, kaufte Möbel und Computer, stellte Personal ein und hatte schon die Deutsche Bahn als Mandanten gewonnen. Dann kam ein Anruf aus Bonn.

Frank Appel, oberster Boss der Deutschen Post AG, bot Wend einen Job an. Und obwohl sich im Vorstellun­gsgespräch seine spärlichen Englisch-kenntnisse herausstel­lten, wurde Wend zum Bereichsvo­rstand für Politik und Nachhaltig­keit und damit zum Chef-lobbyisten des internatio­nalen Konzerns.

„In Berlin hat man mir gratuliert, Gerhard Schröder gab noch den Rat, ein ordentlich­es Gehalt auszuhande­ln“, sagt Wend. In Bielefeld wurde er für einen Werdegang „von links unten nach rechts oben“eher kritisiert und bekam den Spitznamen „der Post-rote“.

Weltweit führte er eine Reihe von nationalen Repräsenta­nten und vertrat die Interessen des Post/dhl-konzerns beispielsw­eise bei Lizenz-verhandlun­gen in China oder Steuerfrag­en in den USA.

Sein Büro war in Bonn, in Bielefeld war er eher seltener – bis seine Frau Marlies Pelster-wend, engagierte Sozialdemo­kratinund stellvertr­etende Leiterin der städtische­n Gleichstel­lungsstell­e, schwer erkrankte. „Wann immer es ging, war ich bei ihr“, sagt Wend. Nach zweieinhal­b Jahren verlor seine Frau Anfang Juni 2016 mit nur 59 Jahren den Kampf gegen den Krebs. Nochimmerf­ällt es ihmeinweni­g schwer, über diese Zeit zu sprechen.

Ein Schlag war es auch, als die jüngste seiner drei Töchter 2019 einen Sportunfal­l hatte und seitdem auf den Rollstuhl angewiesen ist. Die 27Jährige spielt heute Rollstuhlt­ennis auf Weltniveau und kämpft aktuell um die Teilnahme an den Sommer-paralympic­s in Paris. „Sie meistert ihrleben auf wunderbare­weise“, sagt der Vater mit hörbarem Stolz. Bis 2019 behielt er seinenpost­enbeider Post. Derzeit hat er noch einen Vertrag als Berater des Vorstandsv­orsitzende­n.

In der Innenstadt lebt er heutezusam­menmit seinerlebe­nsgefährti­n Susanne Crayen in einer großzügige­n Wohnung. Vor mehreren Jahren hatten sich die alten Bekannten als neue Nachbarn in einem Wohnkomple­x wiedergetr­offen und waren später ein Paar geworden. „Ein Glücksfall“, sagt Wend.

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Foto: Sarah Jonek

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