Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost
Vommarxisten zummanager
Rainer Wend war lange eine Leitfigur der Bielefelder SPD und einer der einflussreichsten Politiker der Stadt. Er hat die AgendaPolitik von Kanzler Schröder mitgestaltet und nach seiner Zeit im Bundestag einen Spitzenposten in der Wirtschaft übernommen.
Bielefeld. In Bielefeld war er Bürgermeister, in Berlin gestaltete er als Spd-abgeordneter die Agenda-politik von Kanzler Schröder mit. Danach wurde er Top-manager. Rainer Wend gehört zu den einflussreichsten Politikernder Stadt. Heute wird er 70 Jahre alt.
Für die einen war er früher links-extrem, für andere später zu weit rechts. Wend hält das aus. „Ichhabemichimlaufe der Jahre verändert“, sagt er fröhlich. Nur eines bereut er. Dass er einmal für den Arbeitgeberverband Gesamtmetall tätig war. „Ein Fehler. Ich habe den Verein nach ein paar Wochen wieder verlassen.“
In Marburg, „der Uni, die am weitesten links war“, begann er 1974 sein Jura-studium. Später wechselte er nach Münster. Dort glänzte er in der Abschlussprüfung derart, dass er das Angebot erhielt, Assistent an der Uni Bielefeld zu werden. Wie am Schnürchen folgten Promotion, Referendariat und die Eröffnung einer eigenen Kanzlei. Gleichzeitig blieb er politisch aktiv, war im Sozialistischen Hochschulbund und später bei den Jusos im marxistischen Flügel.
Mitte der 1980er Jahre wollte sich die Bielefelderspd nach links öffnen. „Ich wurde in den Schrebergarten des damaligen Parteichefs und Landtagsabgeordneten Heini Hunger geladen und geprüft. Ich sollte
Rainer Wend feiert seinen 70. Geburtstag. stellvertretender Unterbezirksvorsitzender werden“, erzählt Rainer Wend. Er bekam das Amt, wurde später sogar Vorsitzender der SPD in Bielefeld.
1994 wollte er Oberbürgermeister werden. Werbewirksam trat er für den Bau desuntersees ein. „Den würde ich mir nach wie vor wünschen, der hätte der Stadt gutgetan“, sagt er. Die Partei nominierte schließlich Angelika Dopheide als Ob-kandidatin. Wend wurde aber Erster ehrenamtlicher Bürgermeister, Ratspolitiker und 1998 Bundestagskandidat. Er holte das Mandat direkt und wurde zu einer Leitfigur der Bielefelder Genossen. In den 1990er Jahren arbeitete er mit einer neu gegründeten Anwaltssozietät erfolgreich in den neuen Bundesländern. „Wir hatten ein Büro in Bielefeld und eines in Bitterfeld und haben ehemals volkseigene Betriebe bei der Umstrukturierung unterstützt“, erzählt er. Von manchen wurde das misstrauisch beäugt. Dazu kam: In Berlin war er wirtschaftspolitischer Sprecher der Spd-bundestagsfraktion und von 2002 bis 2005 Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaftundarbeit.„das war die Zeit der Hartz-gesetzgebung, für mich die mit Abstand spannendste politische Periode“, sagt Wend. Die Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder – heute immer noch umstritten – seien ein wichtiger „Baustein“gewesen, um Deutschland wieder an die Spitze in Europa zu bringen. Doch in der großen Cdu-spd-koalition von 2005 bis 2009 hatten es Verfechter deragenda-politiknicht leicht. Wendverzichtete 2009 auf eine erneute Kandidatur, gründete in Berlin eine Kanzlei, kaufte Möbel und Computer, stellte Personal ein und hatte schon die Deutsche Bahn als Mandanten gewonnen. Dann kam ein Anruf aus Bonn.
Frank Appel, oberster Boss der Deutschen Post AG, bot Wend einen Job an. Und obwohl sich im Vorstellungsgespräch seine spärlichen Englisch-kenntnisse herausstellten, wurde Wend zum Bereichsvorstand für Politik und Nachhaltigkeit und damit zum Chef-lobbyisten des internationalen Konzerns.
„In Berlin hat man mir gratuliert, Gerhard Schröder gab noch den Rat, ein ordentliches Gehalt auszuhandeln“, sagt Wend. In Bielefeld wurde er für einen Werdegang „von links unten nach rechts oben“eher kritisiert und bekam den Spitznamen „der Post-rote“.
Weltweit führte er eine Reihe von nationalen Repräsentanten und vertrat die Interessen des Post/dhl-konzerns beispielsweise bei Lizenz-verhandlungen in China oder Steuerfragen in den USA.
Sein Büro war in Bonn, in Bielefeld war er eher seltener – bis seine Frau Marlies Pelster-wend, engagierte Sozialdemokratinund stellvertretende Leiterin der städtischen Gleichstellungsstelle, schwer erkrankte. „Wann immer es ging, war ich bei ihr“, sagt Wend. Nach zweieinhalb Jahren verlor seine Frau Anfang Juni 2016 mit nur 59 Jahren den Kampf gegen den Krebs. Nochimmerfällt es ihmeinwenig schwer, über diese Zeit zu sprechen.
Ein Schlag war es auch, als die jüngste seiner drei Töchter 2019 einen Sportunfall hatte und seitdem auf den Rollstuhl angewiesen ist. Die 27Jährige spielt heute Rollstuhltennis auf Weltniveau und kämpft aktuell um die Teilnahme an den Sommer-paralympics in Paris. „Sie meistert ihrleben auf wunderbareweise“, sagt der Vater mit hörbarem Stolz. Bis 2019 behielt er seinenpostenbeider Post. Derzeit hat er noch einen Vertrag als Berater des Vorstandsvorsitzenden.
In der Innenstadt lebt er heutezusammenmit seinerlebensgefährtin Susanne Crayen in einer großzügigen Wohnung. Vor mehreren Jahren hatten sich die alten Bekannten als neue Nachbarn in einem Wohnkomplex wiedergetroffen und waren später ein Paar geworden. „Ein Glücksfall“, sagt Wend.