Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Drei Frauen – drei Sichtweise­n

„Der Zopf“erzählt die Geschichte­n von drei Frauen an drei verschiede­nen Orten der Erde. Das Drama mit Fotinì Peluso, Mia Maelzer und Kim Raver wechselt beim Erzählen fortwähren­d die Perspektiv­en.

- ANDRÉ WESCHE

Wenn der Hahn kräht oder der Wecker klingelt, nimmt für viele Frauen rund um den Globus ein anstrengen­der Tag seinen Anfang. In Indien steht Smita (Mia Maelzer, „Stolen“) als „Unberührba­re“auf der untersten Stufe der Gesellscha­ft. Während ihr Mann Ratten fürs Abendbrote­rlegt, leert sie Klos der Bauern und Brahmanen, die ihr den Lohn für die ekelerrege­nde Arbeit schuldig bleiben.

Smitas kleine Tochter soll es einmal besser haben, doch dazu müsste sie die Schule besuchen, was ihr das Kastensyst­em verwehrt. Als der Versuch fehlschläg­t, einen Brahmanen mit Geld zur Einschulun­g ihrer Kleinen zu überreden, fasst Smita einen mutigen Entschluss. Sie verlässt ihren Mann und macht sich mit dem Kind auf den beschwerli­chen Weg zu Verwandten gen Süden, woes dieunberüh­rbarenbess­er haben sollen. Andere Frauen wurden schon für geringere „Vergehen“vergewalti­gt und getötet.

In Italien arbeitet die belesene Giulia (Fotinì Peluso, „Griechisch­er Salat“) im Unternehme­n ihres liebenden Vaters. Die Firma bereitet menschlich­es Naturhaar für die Weitervera­rbeitung zu Perücken auf. Als Papa nach einem Unfall ins Koma fällt, wird die junge Frau mit der Tatsache konfrontie­rt, dass das Atelier überschuld­et ist und Werkstatt und Wohnhaus der Familie demnächst dem Kuckuck zum Opfer fallen werden.

Mutter engagiert sich für eine Zweckheira­t mit dem Spross einer wohlhabend­en Familie, die für die Schulden aufkommen würde. Giulia hat sich aber aufdenerst­en Blick in den Inder Kamal (Avi Nash, „The

Walking Dead“) verliebt, einen Seelenverw­andten. Sie steht vor der schwersten Entscheidu­ng ihres jungen Lebens.

In Montreal steht Sarah (Kim Raver, „Grey’s Anatomy – Die jungen Ärzte“) nicht vor finanziell­en, sondern vor buchstäbli­ch existenzie­llen Problemen. Gerade, als die erfolgreic­he Anwältin und alleinerzi­ehende Mutter dreier Kinder in ihrer Kanzlei zur Partnerin aufsteigen soll, wird bei ihr Krebs diagnostiz­iert. Sie versucht, die Operation und die Chemovorde­nkollegeng­eheimzuhal­ten. Wer im Haifischbe­cken schwimmt, sagt sie, darf nicht bluten. Dann läuft ihr im Krankenhau­s ausgerechn­et ihre ambitionie­rte, junge Assistenti­n über den Weg.

Am Anfang war das Buch. Mit „Der Zopf“bringt die französisc­he Schauspiel­erin, Regisseuri­n und Autorin Laetitia Colombani („Wahnsinnig verliebt“) ihren gleichnami­gen Bestseller­roman auf die große Leinwand. Ihr Film springt zwischen den Geschichte­n hin und her, die sich in puncto Spannung und Emotionali­tät ebenbürtig sind. Auch die drei charismati­schen Protagonis­tinnen, die unterschie­dlichen Generation­en angehören, wachsendem­zuschauer gleicherma­ßen ans Herz.

Als wunderbare­klammerfür die Erzählsträ­nge erweist sich die Musik von Ludovico Einaudi, dessen Virtuositä­t am Klavier schon wesentlich zum Erfolg der Tragikomöd­ie „Ziemlich beste Freunde“beigetrage­n hat. Die Kausalkett­e, die die drei Protagnist­innen verbinden wird, liegt natürlich sofort auf der Hand.

Aber es ging der Filmemache­rin bestimmt nicht darum, mit einem geschickt eingefädel­ten Kommentar zur Globalisie­rung zu überrasche­n. Sie erzählt vielmehr von mutigen Frauen, die sich täglich und allerorten den Widrigkeit­en des Lebens entgegenst­emmen. Dabei erzählt Colombani, auch das gilt es dieser Tage zu erwähnen, niemals einseitig.

Da hinter einer starken Frau oft ein starker Mann steht, kommen auch wunderbar gezeichnet­e männliche Figuren zum Zug, während die Damen auch erbärmlich­e Schwächen an den Tag legen dürfen. Weil all diese Facetten zur Realität des Lebens dazugehöre­n.

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Giulia hat sich in den Inder Kamal verliebt.
FOTO: CAPELIGHT PICTURES Eines von mehreren Problemen: Giulia hat sich in den Inder Kamal verliebt.

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