Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost
Klimaschonend wedeln
Die führenden Tourismus-orte der Alpen strengen sich gemeinsam an, das Skifahren umweltfreundlicher zu gestalten. Sie wollen damit Maßstäbe setzen – und auch in Sachen Öko die Nase vorn behalten.
Eine Bemerkung vorab: Diesem Bericht mangelt es an Zitaten, Schilderungen, Detailschärfe. Warum? Weil mir der Koffer gestohlen wurde. Aus demzug, aufdemrückweg. Und mitdem Koffer verschwanden alle Unterlagen, alles Notierte. Kofferklau aus Zügen kommt rund 20.000 Mal pro Jahr vor, sagt die Deutsche Bahn. Ärgerlich ist das immer, dieses Mal besonders: Denn es geht um Nachhaltigkeit, darum, keine Ressourcen zu verschwenden. Stattdessen muss ich mir den ganzen Kram neu kaufen, wie absurd ist das denn?
Nachhaltigkeit. Einer der Mitreisenden, Christian von der Sächsischen Zeitung, kommt aus Chemnitz, wo der Begriff entsprang. Der Naturwissenschaftler Hans von Carlowitz, aufgewachsen bei Chemnitz, verwendete ihn 1713 in einem Werk über Forstwirtschaft das erste Mal. Inzwischen verleihen sie dort jedes Jahr den Nachhaltigkeitspreis, zuletzt an Meeresbiologin Antje Boetius, an Eckart von Hirschhausen und zwei weitere.
Mit Christian und anderen Kollegen habe ich Wintersport getrieben. Ja, ausgerechnet Wintersport. Jene Art von Freizeitvergnügen, der man nachsagt, Ressourcen zu fressen, nicht zu Unrecht. Die Anreise – meistens mit dem Auto, wegen des vielen Gepäcks –, die Naturversiegelung für all die Touristen, der enorme Energieverbrauch von Schneekanonen und Seilbahnen: Das sind böse Klimakiller. Vielen istdasbewusst, weswegen es neben Flug- längst auch Skischam gibt. Frage also: Geht Wintersport auch klimafreundlich?
Diese frage bedrängt seit einiger zeit auch die Renommier-orte des Skifahrens.Vere intim Verbund „Best oft he Alps “, brüten sie darüber, wie sieden Berg tourismus umweltfreundlicher gestalten können, zukunft stau glich .„ Die Zeit rennt “, sagt Sammy Salm, CEO von Best of the Alps. Die Erkenntnis sei da, schnell handeln zu müssen.
„Best of the Alps“gehören zehn Orte an, ein exklusiver Kreis. Aufgenommen werden nur Orte mit Tradition, mit Skigeschichte. In St. Anton am Arlberg eröffnete einst die erste Skischule der Alpen, in Davos derer ste Skilift, Chamonix richtete 1924 die ersten Olympischen Winterspiele aus. Die zehn orte habenden anspruch,r ich tungs weisend zu sein–darumgehen sie auch jetzt, beim nachhaltigen Tourismus, voran. Sie wollenLeaderbl eiben, auch in SachenÖko. Ihre Annahme: Das zahlt sich aus, so oder so.
In zwei dieser Orte, Davos und St. Anton, sehen wir uns das näher an. Elf Stunden dauerte die Anreise per Bahn, vollkommen stressfrei. Die Züge waren pünktlichundleer, vielebahnkundenhatten wohl Angst wegen Streik. Wieso das erwähnenswert ist? Weil An- und Abreise 70 Prozent der Co2-emissionen im Alpentourismus ausmachen, sagen Wissenschaftler. Tagestouristen schlagen besonders aufs Konto.
Davos und St. Anton haben Glück, sie sind gut ins Bahnnetz eingebunden. Weiteres Plus: Das Busfahren in den Orten ist kostenlos, die Taktung eng. Gerhard Eichhorn, derNa ch haltigkeits beauftragte des Tourismus verbandes St. Anton, berichtet, man biete auch Car-sharing an. Nur: Das einzige Auto stehe meistens ungenutzt herum. „Mich wundert das nicht“, sagt eichhorn ,„ die leute kommen mit den Bussen bestens klar.“Rund zwei Millionen Euro pro Jahr lässt sich St. Anton den Umsonst-verkehr kosten.
Vom Zentrum bis zu den Seilbahnen sind es nur ein paar Schneeball würfe entfernt .85 Lifte laufen am Arlberg, 302 Pisten kilometer, es ist das größte zusammenhängende Skigebiet Österreichs. Gelänge es, sie mit klima freundlichem strom anzutreiben, wäre viel gewonnen, doch das gestaltet sich schwierig: Die Arlberger Bergbahnen sind in Privatbesitz.
Was St. Anton aber schafft, ist die weitgehende Energie-autarkie des Ortes selbst. Markusstrolz, Geschäftsführer der Energie- und Wirtschaftsbetriebe, erklärt uns das bei einem Gang durchs Verwalltal zum Stausee und Wasserkraftwerk. Der Fluss Rosanna, der das Stanzertal entwässert, rauschtdurchzweiturbinen und produziert genug Strom, um beinah den ganzen Ort zu versorgen; zwei weitere Wasserkraftwerke erledigen den Rest. Umweltschonend ist das Verwalltal auch in anderer Hinsicht: Es bietet eine traumhafte Langlaufloipe. Zehn Kilometer lang, zieht sie sich in moderatem Auf und Ab durchs Hochtal, mit der Wagner-hütte zur Einkehr. Ein Genuss! Eine weitere, kaum minder schöne Loipe, verläuft elf Kilometer durchs Stanzertal. Wer die Puste hat, kann davon abzweigend noch ein paar Schleifen dranhängen.
Abends, im Museum von St. Anton, berichtet Pr-manager Yannick Rumler, wie das einstige Bergbauerndorf zur Wiege des Skisports wurde – wie 1885, ein Jahr nach Eröffnung des Arlberg-tunnels, die ersten Läufer die Ski nicht für alltägliche Fortbewegung, sondern zum Vergnügen unter die Füße schnallten, wie 1904 das erste Rennen dort stattfand, wie 1905 zum ersten Mal ein Skikurs angeboten wurde, wie Hannes Schneider die erste Skischule gründete und Hauptdarsteller im Filmklassiker „Der Weiße Rausch“war, wie 1937 mit der Galzigbahn die erste ausschließlich für den Winterbetrieb konzipierte Seilbahn der Welt eröffnete und wie zig andere Dinge passierten, darunter die weltweit ersten beheizten Sesselbahnen: Skigeschichten, die auch die anderen zehn Orte erzählen können, sonst wären sie nicht im Zirkel der „Best of the Alps“dabei.
Doch wie lange funktioniert der Skitourismus noch? In Davos haben sie ermittelt, dass nur noch jeder dritte Gast zum Skifahren kommt. Als wir eintreffen, springt uns in der Tat ein völlig anders Szenario an: Im Ortszentrum wimmelt es vor Handwerkern. Das Weltwirtschaftsforum (WEF) steht bevor, in wenigen Tagen treffen sich hier Politiker und Bosse aus aller Welt. Also wird gehämmert, geschraubt und schick gemacht. Nicht, dass Davos Schminke nötig hätte, der Kalauer: „Davos ist da, wo’s teuer ist“, kommtnichtvonungefähr. Auffällig ist vielmehr, dass dielädendenmieter wechseln: Ausdemsportgeschäft wird für ein paar Tage die Zentrale von IBM, aus dem Buchladen eine Filiale von Accenture, aus dem H&M ein Moncler. Die Stammbelegschaft macht Urlaub, Temporärbelegschaft zieht ein. Faszinierend. Davos, die höchstgelegene Stadt Europas, lässt sich für eine Woche umkrempeln, jedenfalls ein Teil davon.
„Wiederaufbau des Vertrauens “– so lautete das Motto desWe lt wirtschaftsforums. Es klänge auch bezogen auf den skitourismus vernünftig. Wie gewinnt man jene Kritiker zurück, die Skiurlaub für ökologisch verwerflich halten, die Bilder mit schmalen Kunstschnee-streifen au feinem ansonsten grünen Hang zeigen, die den wasser -, Flächen-und stromverbrauch der Pisten anprangern und die Zahlendes Verbandes Deutscher Seilbahnen und Schlepp lifte zitieren, wonach ein Mensch pro Ski tag 18 Kilowattstunden strom verbraucht, soviel wie 900 Stunden am Laptop?
Davos hat einen Vorteil, weil es hoch liegt, 1.560 Meter. Es ist schneesicher. WEF-BEsucher wie die Königin von Jordanien oder derUs- vizepräsident konnten sicher sein, sattes Weiß und eineg es purteloipe vorzufinden .„ diese sicherheit erleichtert das Ziel, bis 2030 der erste klima neutrale Ferienort der schweiz zu werden “, so Martina Walsoe, Projekt leiterin„ Erneuerbare Energien “. Natur-statt Kunstschnee schone die Bilanz.
Bei der Gondelfahrt mit der Jakobshornbahn steigen wir auf der Mittelstation aus, um uns die Solarmodule auf der Ischalp anzusehen; sie bedecken eine komplette Seitenwand. Danach geht’s ein paar Schritte rauf zu einem 2018 gebauten Kraftwerk, wo ein Techniker erklärt, wie die beiden Turbinen das Wasser aus den Speicherseen und Überläufen in 800.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr umwandeln und wie er in der Lage ist, über sein Handy die Beschneiung der Pisten zu steuern. Über seine App regelt er alles: Er sieht, wie hoch der Schnee liegt, gibt ein, welche Pistenraupen fahren und welche Schneekanonen laufen sollen. Das geht sogar vom Sofa aus.
Die Methoden, Energie zu sparen, sind mal komplex, mal verblüffend einfach. Die technischen Feinheiten künstlicher Bes chneiung,di es ind schon enorm wichtig, doch dann haben sie in davos auch diese Senke, ein Loch. Darin sammeln sie Schnee und decken ihn wie vor H undertenvonjahren mit einer haube aus Sägemehl ab .„ Der Schmelz verlust ist minimal “, sagtLoipen chef Hitsch Ca pol. Schon Ende Oktober können sie mit der gelagerten menge eine vier Kilom et erlangeLoipe präparieren. Das zieht SaisonFrüh starter an, Nationalmannschaften zum Beispiel.
Sammy Salm, der CEO, erzählt abends von den vielen Ideen der Mitgliedsorte. In Courmayeur etwa haben sie das Programm „Future Mountain Jobs“aufgelegt, es schafft neue Berufsfelder in den Bergen. In Chamonix kennzeichnen sie Skihänge, an denen Sportler guten Gewissens carven können, in Crans-montana fährt das ganze Jahr über ein kostenloser Shuttle-bus. Für jeden Ort ließen sich X solcher Beispiele aufzählen.
„Wenn wir es nicht tun, wer dann?“, sagt Salm. Die renommierten Bergorte, auf sie blicke man. Sie seien Pioniere, immer gewesen. Diesen Ruf wollen sie sich erhalten. Der Klimawandel verlange das undder Skitourist auch. Jede Umfrage belege das.