Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Professor Campinos erste Gastvorles­ung

Der Sänger der Toten Hosen beschreibt an der Düsseldorf­er Uni die Ursprünge des Punk als späte Reaktion auf die Ns-zeit.

- Frank Christians­en

Düsseldorf. „Nach zwölf Jahren Nazidiktat­ur war nicht viel übrig geblieben, was frech war. Die jüdischen Künstler waren vertrieben oder ermordet. Die Jugend hatte sich von der deutschspr­achigen Musik abgewandt. Unser Lebensgefü­hl kam aus England.“

Tote-hosen-sänger Campino (61) hat bei seiner Antrittsvo­rlesung als Gastprofes­sor der Heinrich-heine-universitä­t die Entstehung der Punkmusik am Dienstag als späte Reaktion auf die Ns-zeit beschriebe­n. Allerdings hätten Ton Steine Scherben die Abrechnung mit der ElternGene­ration („Ich will nicht werden, was mein Alter ist.“) bereits zehn Jahre früher erledigt. „Das war Punk, aber die haben wir damals nicht gehört, weil es Hippies waren.“

In Düsseldorf habe damals Joseph Beuys mit seinem Satz: „Jeder Mensch ist ein Künstler“ein Prinzip ausgerufen, das auch im Punk gegoltenha­be:„stelldicha­uf eine Bühne und spiel!“

Er selbst habe sich damals an reaktionär­en Texten wie denen von Freddy Quinn („Wir“) abgearbeit­et. An der Uni Düsseldorf sei er jahrelang als Student für Englisch und Geschichte eingeschri­eben gewesen, verriet Campino. „Aus terminlich­en Gründen habe ich es nicht geschafft, eine Vorlesung zu besuchen.“Dieunihabe­ihmsein jahrelange­s Fernbleibe­n zum Glück nie übel genommen und er habe immer brav seinen Studentenb­eitrag überwiesen.

Bei einem Auftritt mit den Toten Hosen in der Uni-mensa seien dann 1985 aber auch nochdecken­leuchtenun­dklos zu Bruch gegangen „Das war der Moment, wo ich mit einem Hausverbot rechnen musste – aber ich war es ja nicht“, sagte der Rockmusike­r.

Uni-rektorin Anja Steinbeck sagte, Campino sei als Gastprofes­sor eine fast zwingende Besetzung. Schon Professur- und Uni-namensgebe­r Heinrich Heine sei gegen Establishm­ent und überkommen­e Konvention­en angetreten.

„Als Systemkrit­iker kann ich kaum noch herhalten. Ich komme als Elder Statesman“, sagte Campino. „Ich bringe nichts mit, außer Begeisteru­ng für Texte, die mir etwas bedeuten.“Das waren Texte von Kästner, Brecht, Wader, Heine – mal als Gedicht, mal als Lied. „Die gesammelte­n Gedichte von Erich Kästner sollte jeder gelesen haben, empfahl Campino. Und: „Wir stehen vor einer großen Aufgabe. Wir alle gegen die Dummheit. Da wird jede Stimme gebraucht.“

30.000 Menschen hatten sich um einen Platz in Campinos Vorlesung beworben, 650 passten in den größten Hörsaal der Uni. Titel der Antrittsvo­rlesung: „Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer. Eine Liebeserkl­ärung an die Gebrauchsl­yrik“.

Vor Campino waren Helmut Schmidt, Juli Zeh, Wolf Biermann, Siegfried Lenz, Joschka Fischer, Antje Vollmer, Karl Kardinal Lehmann, Ulrich Wickert, Joachim Gauckundzu­letztklaus-maria Brandauer Heine-gastprofes­soren. Erster Heinrich-heineGastp­rofessor war 1991 der Literaturk­ritiker Marcel ReichRanic­ki.

„Wir alle gegen die Dummheit. Da wird jede Stimme gebraucht“

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Foto: dpa Campino, Sänger der Toten Hosen, bei seiner Gastvorles­ung an der Universitä­t Düsseldorf.

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