Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost
An diesem Datum hat auch der Altkanzler zu knabbern
Morgen wird Gerhard Schröder 80 Jahre alt. Wäre da nicht die Sache mit Putin, würden an diesem Tag große Reden gehalten. Ein Treffen mit einem seltsam eigensinnigen Mann, der von seinen Grundüberzeugungen nicht lassen will.
Manchmal wirkt der verstoßene ehemalige Kanzler Gerhard Schröder noch bis in die Bundespolitik. Bayerns Regierungschef Söder (CSU) forderte kürzlich Bundeskanzler Olaf Scholz zum Kurswechsel auf – wegen eines Lobes aus Hannover. Schröder hatte Scholz’ Weigerung gutgeheißen, der Ukraine die Taurus-waffe zu geben.
Von Gerhard Schröder in existenziellen Fragen gelobt zu werden gilt seit Längerem als anstößig. Nicht nur bei führenden Christsozialen. Auch dieamtierendespd-spitze hält auf Abstand zu dem Mann, der bis 2005 sieben Jahre im Kanzleramt agierte, danach für Putins Energiewirtschaft arbeitete und seit Beginn der Eskalation des Ukraine-krieges mit der Großinvasion der russischen Armee am 24. Februar 2022 politisch völlig isoliert ist.
Hier und da hat Schröder, der morgen 80 Jahre alt wird, Reporter zu sich gelassen. Wir erleben im Gespräch mit unserer Redaktion einen gleichermaßen nachdenklichen wie seltsam eigensinnigen Mann, der von seinen Überzeugungen nicht lassen will – und der dem in großen Teilender westlichen und östlichen Welt als Kriegsverbrecher geltenden russischendiktatorputinnicht die Freundschaft aufkündigen will. „Ich halte das, was Russland unter der Führung Putins in der Ukraine begonnen hat, für falsch. Der Krieg ist ein fataler Fehler.“Aber den völligen Bruch? Nein, so was mache er nicht. Das komme ihm wie Verrat an eigenen Überzeugungen vor. Menschen, mit denen er freundschaftliches Verhalten aufgebaut habe, gebe er nicht einfach preis. Punktum. Oder, wie es bei ihm früher hieß: Basta!
Deshalb wird es an diesem Geburtstag keinen Festakt in Hannovers Rathaus geben, wie man ihn noch vor fünf Jahren zum Fünfundsiebzigsten zelebrierte. Die Ehrenbürgerwürde hat Schröder wieder abgegeben – wie andere Auszeichnungen. Der Versuch, ihn wegen der Nähe zu Putin aus der SPD auszuschließen, klappte indes nicht.
Erst vor Monaten nahm Schröder in einer kleinen Feierstunde eine Spd-ehrennadel und Urkunde entgegen – für 60-jährige Mitgliedschaft. Schröder bleibt. Und hält an Putin fest. Man wisse ja nicht, wozu das dereinst noch nützlich sein könne, sagt er, der einige Wochen nach Kriegsbeginn mit einem Verhandlungsangebot bei Putin scheiterte.
Der Eigensinn, ein ganz spezifisches, auch merkwürdiges Verständnis von Loyalität habe Schröders Verhalten schon immer bestimmt, sagen Menschen, die ihn seit Jahrzehnten kennen. Etwa der frühere niedersächsische Ministerpräsident, spätere Spd-bundesvorsitzende und Vize-kanzler Sigmar Gabriel. Er ist einer der wenigen Ex-spitzenpolitiker, die den Kontakt zu Schröder nicht aufgekündigt haben. „Wenn sein Verhältnis zu Russland ein selbstkritisches gewesenwäre, wäreerimrückblick ein wirklich großer Kanzler gewesen, der viel bewirkt hat. Aber so bleibt das Bild ein zwiespältiges“, sagt Gabriel gegenüber unserer Zeitung. Wäredanichtdiesachemitputin, würden an Schröders Geburtstag große Reden gehalten, sagt Gabriel. Über den Wirtschaftsreformer etwa. Oder über einen Politiker, „der in den 90er-jahren die SPD aus ihrem Dornröschenschlaf geholt und in die Mitte der Gesellschaft geführt hat“. In jedem Fall bleibe ein polarisierendes Bild von Schröder.
Polarisiert hat Schröder schon immer. Sein stets auch etwas anarchisch anmutendes Auftreten bescherte ihm schon zu Beginn große Aufmerksamkeit wie auch Misstrauen in der eigenen Partei. Sein erster Versuch, den über die Grenzen Niedersachsens hinaus bekannten Christdemokraten Ernst Albrecht aus dem Ministerpräsidentenamt in Hannover zu drängen, scheiterte indes 1986– und aus dem Bonner Bundestagsabgeordneten, der bereits am Gitterzaun des Kanzleramtes gerüttelt hatte, wurde ein ziemlich gnadenloser Oppositionsführer in Hannover. Doch 1990 liegt die SPD bei der Landtagswahl dort vor der CDU – und Schröder löst den seit 1976 regierenden Ernst Albrecht, den Vater Ursula von der Leyens, ab.
Schröder entschließt sich, mit den damals noch gar nicht so populären Grünen zu koalieren. Schnell zieht er sichden Zorn der Lehrerschaft zu. Sein später gegenüber Schülerzeitungsredakteuren hingeworfenes Diktum, nach dem Lehrer ohnehin „faule Säcke“seien, verfestigt eine Front, die über Jahrzehnte Bestand hat.
Eine Wahl in Niedersachsen macht Schröder auch zur Entscheidung gegen den damaligen Spd-vorsitzenden im internen Rennenumdie Kanzlerkandidatur, Oskar Lafontaine: „Hallo, Kandidat!“begrüßt ihn Lafontaine telefonisch im Büro des niedersächsischen Ministerpräsidenten, wohin Schröder sich mit seinem engsten Kreis zurückgezogen hatte. Seinen Anspruch hatte er da mit einer absoluten Mehrheit für Niedersachsen untermauert.
Neben den wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Reformen der Agenda 2010 wird Schröders Kanzlerschaft vor allem gutgeschrieben, Deutschland aus dem Irak-krieg herausgehalten zu haben. Dieses habe er in enger Abstimmung mit seinem Freund Jacques Chirac getan, dem damaligen französischen Staatspräsidenten. „Die Amerikaner haben auf mein Nein gar nicht so rabiat reagiert, wie das zum Teil beschrieben worden ist“, sagt Schröder heute.
Rabiater seien da schon die Reaktionen der deutschen Opposition und eines Großteils dermediengewesen. Aberman habe sich, auch durch die zuvor beschlossene Beteiligung am Afghanistan-einsatz, eine gewisse Souveränität erstritten. Die Beteiligung an diesem Einsatz auch in der eigenen Partei durchzusetzen sei wesentlich schwieriger für ihn gewesen. Wesentlich geholfen habe ihm dabei die Argumentation des Spd-altvorderen Erhard Eppler, dass man auf zweierlei Arten schuldig werden könne – durch das Tun wie auch durch Nichttun.
„Ich musste immer das tun, was man nicht tut, wenn man als Teil der bürgerlichen Gesellschaft geboren ist. Auch mein ganzes privates Leben ist so“, sagt Schröder heute. Doch bei allen Brüchen in seinem Leben– auch in seinen Ehen– habe er stets vielglückgehabt, betont der Altkanzler. „Die Zahl 80 ist indes ein Datum, an dem ich knabbern muss.“
Ob er an den 90. Psalm – Herrlehremichbedenken, dass wir sterben, damit wir klug werden? – denke, fragen wir. Das sei ihm zu fromm, wehrt Schröder ab. Er sei zwar Protestant, bleibe aber ein Skeptiker und Zweifelnder. Wenn er das Glaubensbekenntnis eines Skeptikers spreche, dann laute dies so, sagt er und lacht kurz auf:„herr, so Du bist, behüte meine Seele im Grabe – so denn ich eine habe.“