Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

An diesem Datum hat auch der Altkanzler zu knabbern

Morgen wird Gerhard Schröder 80 Jahre alt. Wäre da nicht die Sache mit Putin, würden an diesem Tag große Reden gehalten. Ein Treffen mit einem seltsam eigensinni­gen Mann, der von seinen Grundüberz­eugungen nicht lassen will.

- Michael B. Berger

Manchmal wirkt der verstoßene ehemalige Kanzler Gerhard Schröder noch bis in die Bundespoli­tik. Bayerns Regierungs­chef Söder (CSU) forderte kürzlich Bundeskanz­ler Olaf Scholz zum Kurswechse­l auf – wegen eines Lobes aus Hannover. Schröder hatte Scholz’ Weigerung gutgeheiße­n, der Ukraine die Taurus-waffe zu geben.

Von Gerhard Schröder in existenzie­llen Fragen gelobt zu werden gilt seit Längerem als anstößig. Nicht nur bei führenden Christsozi­alen. Auch dieamtiere­ndespd-spitze hält auf Abstand zu dem Mann, der bis 2005 sieben Jahre im Kanzleramt agierte, danach für Putins Energiewir­tschaft arbeitete und seit Beginn der Eskalation des Ukraine-krieges mit der Großinvasi­on der russischen Armee am 24. Februar 2022 politisch völlig isoliert ist.

Hier und da hat Schröder, der morgen 80 Jahre alt wird, Reporter zu sich gelassen. Wir erleben im Gespräch mit unserer Redaktion einen gleicherma­ßen nachdenkli­chen wie seltsam eigensinni­gen Mann, der von seinen Überzeugun­gen nicht lassen will – und der dem in großen Teilender westlichen und östlichen Welt als Kriegsverb­recher geltenden russischen­diktatorpu­tinnicht die Freundscha­ft aufkündige­n will. „Ich halte das, was Russland unter der Führung Putins in der Ukraine begonnen hat, für falsch. Der Krieg ist ein fataler Fehler.“Aber den völligen Bruch? Nein, so was mache er nicht. Das komme ihm wie Verrat an eigenen Überzeugun­gen vor. Menschen, mit denen er freundscha­ftliches Verhalten aufgebaut habe, gebe er nicht einfach preis. Punktum. Oder, wie es bei ihm früher hieß: Basta!

Deshalb wird es an diesem Geburtstag keinen Festakt in Hannovers Rathaus geben, wie man ihn noch vor fünf Jahren zum Fünfundsie­bzigsten zelebriert­e. Die Ehrenbürge­rwürde hat Schröder wieder abgegeben – wie andere Auszeichnu­ngen. Der Versuch, ihn wegen der Nähe zu Putin aus der SPD auszuschli­eßen, klappte indes nicht.

Erst vor Monaten nahm Schröder in einer kleinen Feierstund­e eine Spd-ehrennadel und Urkunde entgegen – für 60-jährige Mitgliedsc­haft. Schröder bleibt. Und hält an Putin fest. Man wisse ja nicht, wozu das dereinst noch nützlich sein könne, sagt er, der einige Wochen nach Kriegsbegi­nn mit einem Verhandlun­gsangebot bei Putin scheiterte.

Der Eigensinn, ein ganz spezifisch­es, auch merkwürdig­es Verständni­s von Loyalität habe Schröders Verhalten schon immer bestimmt, sagen Menschen, die ihn seit Jahrzehnte­n kennen. Etwa der frühere niedersäch­sische Ministerpr­äsident, spätere Spd-bundesvors­itzende und Vize-kanzler Sigmar Gabriel. Er ist einer der wenigen Ex-spitzenpol­itiker, die den Kontakt zu Schröder nicht aufgekündi­gt haben. „Wenn sein Verhältnis zu Russland ein selbstkrit­isches gewesenwär­e, wäreerimrü­ckblick ein wirklich großer Kanzler gewesen, der viel bewirkt hat. Aber so bleibt das Bild ein zwiespälti­ges“, sagt Gabriel gegenüber unserer Zeitung. Wäredanich­tdiesachem­itputin, würden an Schröders Geburtstag große Reden gehalten, sagt Gabriel. Über den Wirtschaft­sreformer etwa. Oder über einen Politiker, „der in den 90er-jahren die SPD aus ihrem Dornrösche­nschlaf geholt und in die Mitte der Gesellscha­ft geführt hat“. In jedem Fall bleibe ein polarisier­endes Bild von Schröder.

Polarisier­t hat Schröder schon immer. Sein stets auch etwas anarchisch anmutendes Auftreten bescherte ihm schon zu Beginn große Aufmerksam­keit wie auch Misstrauen in der eigenen Partei. Sein erster Versuch, den über die Grenzen Niedersach­sens hinaus bekannten Christdemo­kraten Ernst Albrecht aus dem Ministerpr­äsidentena­mt in Hannover zu drängen, scheiterte indes 1986– und aus dem Bonner Bundestags­abgeordnet­en, der bereits am Gitterzaun des Kanzleramt­es gerüttelt hatte, wurde ein ziemlich gnadenlose­r Opposition­sführer in Hannover. Doch 1990 liegt die SPD bei der Landtagswa­hl dort vor der CDU – und Schröder löst den seit 1976 regierende­n Ernst Albrecht, den Vater Ursula von der Leyens, ab.

Schröder entschließ­t sich, mit den damals noch gar nicht so populären Grünen zu koalieren. Schnell zieht er sichden Zorn der Lehrerscha­ft zu. Sein später gegenüber Schülerzei­tungsredak­teuren hingeworfe­nes Diktum, nach dem Lehrer ohnehin „faule Säcke“seien, verfestigt eine Front, die über Jahrzehnte Bestand hat.

Eine Wahl in Niedersach­sen macht Schröder auch zur Entscheidu­ng gegen den damaligen Spd-vorsitzend­en im internen Rennenumdi­e Kanzlerkan­didatur, Oskar Lafontaine: „Hallo, Kandidat!“begrüßt ihn Lafontaine telefonisc­h im Büro des niedersäch­sischen Ministerpr­äsidenten, wohin Schröder sich mit seinem engsten Kreis zurückgezo­gen hatte. Seinen Anspruch hatte er da mit einer absoluten Mehrheit für Niedersach­sen untermauer­t.

Neben den wirtschaft­s- und arbeitsmar­ktpolitisc­hen Reformen der Agenda 2010 wird Schröders Kanzlersch­aft vor allem gutgeschri­eben, Deutschlan­d aus dem Irak-krieg herausgeha­lten zu haben. Dieses habe er in enger Abstimmung mit seinem Freund Jacques Chirac getan, dem damaligen französisc­hen Staatspräs­identen. „Die Amerikaner haben auf mein Nein gar nicht so rabiat reagiert, wie das zum Teil beschriebe­n worden ist“, sagt Schröder heute.

Rabiater seien da schon die Reaktionen der deutschen Opposition und eines Großteils dermedieng­ewesen. Aberman habe sich, auch durch die zuvor beschlosse­ne Beteiligun­g am Afghanista­n-einsatz, eine gewisse Souveränit­ät erstritten. Die Beteiligun­g an diesem Einsatz auch in der eigenen Partei durchzuset­zen sei wesentlich schwierige­r für ihn gewesen. Wesentlich geholfen habe ihm dabei die Argumentat­ion des Spd-altvordere­n Erhard Eppler, dass man auf zweierlei Arten schuldig werden könne – durch das Tun wie auch durch Nichttun.

„Ich musste immer das tun, was man nicht tut, wenn man als Teil der bürgerlich­en Gesellscha­ft geboren ist. Auch mein ganzes privates Leben ist so“, sagt Schröder heute. Doch bei allen Brüchen in seinem Leben– auch in seinen Ehen– habe er stets vielglückg­ehabt, betont der Altkanzler. „Die Zahl 80 ist indes ein Datum, an dem ich knabbern muss.“

Ob er an den 90. Psalm – Herrlehrem­ichbedenke­n, dass wir sterben, damit wir klug werden? – denke, fragen wir. Das sei ihm zu fromm, wehrt Schröder ab. Er sei zwar Protestant, bleibe aber ein Skeptiker und Zweifelnde­r. Wenn er das Glaubensbe­kenntnis eines Skeptikers spreche, dann laute dies so, sagt er und lacht kurz auf:„herr, so Du bist, behüte meine Seele im Grabe – so denn ich eine habe.“

 ?? Foto: dpa ?? Alt-bundeskanz­ler Gerhard Schröder steht mit seiner Frau Kimsoyeon in seiner Kanzlei. Die Fotografie­n im Hintergrun­d zeigen den ehemaligen Regierungs­chef zwischen seinemvorg­änger Helmut Kohl und seiner Nachfolger­in Angela Merkel.
Foto: dpa Alt-bundeskanz­ler Gerhard Schröder steht mit seiner Frau Kimsoyeon in seiner Kanzlei. Die Fotografie­n im Hintergrun­d zeigen den ehemaligen Regierungs­chef zwischen seinemvorg­änger Helmut Kohl und seiner Nachfolger­in Angela Merkel.

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