Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost
Wie die Telefonseelsorge in Notsituationen hilft
Die besondere Seelsorgestelle wird im Mai 50 Jahre alt. Eine ehrenamtliche Seelsorgerin erzählt, was sie in ihrem Alltag erlebt und was sie bewegt, dabei zu bleiben.
Die Sekunden zwischen dem Abheben des Hörers und dem Erklingen der Stimme amanderen Ende sind jedes Mal eine Überraschung. Wenn bei Charlotte B. (Name von der Redaktion geändert) das Telefon klingelt, weiß sie nie, was auf sie zukommt. Seit mehr als zwanzig Jahren ist sie ehrenamtlich bei der ökumenischen Telefonseelsorge Bielefeld-owl tätig – und hat dabei schon einiges erlebt.
„Wir haben hier insgesamt etwa 90 Ehrenamtliche. Das Telefon ist 24 Stunden besetzt“, sagt Angela KesslerWeinrich, Leiterin der Telefonseelsorge. Gedeckt werden könne der hohe Gesprächsbedarf der Anrufer nicht immer,
„manche Leute müssen wir bitten, später nochmal anzurufen“, ergänzt Miriam von Brachel, stellvertretende Leiterin. Durchschnittlich 30 Gespräche werden am Tag geführt.
Umso wichtiger sind Ehrenamtliche, die wie Charlotte B. bei Sorgen, Ängsten und Trauer am anderen Ende der Leitung zur Verfügung stehen. Wieist sie damals zur Seelsorge gekommen? „Der Klassiker: Ich hatte Zeit und wollte mich engagieren. Dann hat mir eine Freundin von der Telefonseelsorge erzählt. ’Das ist genau das Richtige für dich, dir vertrauen die Leute doch immer alles an’. Also habe ich mich beworben. Und es keinen Tag bereut.“
Mit welchen Themen B. am Telefon konfrontiert wird, ist
unterschiedlich. „Das geht von Einsamkeit über psychische Erkrankungen, Missbrauch, Beziehungsprobleme, Sucht“, zählt sie auf. Hat sie schon einmal das Gefühl gehabt, mit An
rufen überfordert zu sein? „Nein, noch nie. Natürlich reagiert man mit den Jahren auf bestimmte Dinge anders, lernt dazu. Mittlerweile kann ich auch ein Schweigen gut aushalten. Das, was man am Telefon zurückbekommt, überwiegt.“
Die Ausbildung für die Seelsorge dauere zwei Jahre, sagt Kessler-weinrich. Zunächst müssen Interessierte Angaben über sich und ihre Motivation machen, dann werden sie zu einem Erstgespräch und anschließend zu einem Informations- und Entscheidungstag eingeladen. Nach einem Jahr sitzen die Seelsorger dann am Telefon.
Dass das nicht immer harmlos ist, weiß Charlotte B. gut. „Es ist kein ’Kann’, sondern ein Ehrenamt, das mit viel Verantwortung einhergeht“, sagt sie. Einige Gespräche sind ihr besonders in Erinnerung geblieben. „Wenn die Frau anruft, die im Sterben liegt oder sich jemand meldet, der gerade seinen Partner verloren hat, geht das sehr nahe“, sagt sie. „Aber das sind Momente, aus denen man ganz viel über das eigene Leben lernt.“
Auch Veränderungen konnte B. über die vergangenen Jahre beobachten. Corona habe eine große Rolle gespielt, die Nachwirkungen der Pandemie seien aber inzwischen abgeklungen. „Ich sehe, dass vor allem mehr junge Menschen sich einsam oder unter Druck gesetzt fühlen. Es gibt eine gewisse Angst vor der Welt. Und es rufen auch mehr Männer an als früher“, sagt sie.
Natürlich haben sich auch die technischen Möglichkeiten verändert, sodass die Telefonseelsorge seit längerer Zeit auch eine Mailseelsorge anbietet. Auch mit ärgerlichen Anrufen waren die Mitarbeiter oft konfrontiert: „Früher wurde oftmals die einzige Nummer gewählt, die kostenlos war – die der Seelsorge“, sagt Ulrichgeschwinder, ebenfalls stellvertretender Leiter. Inzwischen seien solche „Scherz-anrufe“jedoch kein Thema mehr.
Das Jubiläum wird im Mai gemeinsam mit zahlreichen Ehrenamtlichen im Rahmen verschiedener Veranstaltungen gefeiert. Auch mit denen, die heute nicht mehr aktiver Teil der Seelsorge sind. „Es ist überraschend, wie viele Ehemalige sich bei uns melden, weil sie immer noch oft an die Zeit bei der Seelsorge zurückdenken“, sagt Kessler-weinrich.