Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Wie die Telefonsee­lsorge in Notsituati­onen hilft

Die besondere Seelsorges­telle wird im Mai 50 Jahre alt. Eine ehrenamtli­che Seelsorger­in erzählt, was sie in ihrem Alltag erlebt und was sie bewegt, dabei zu bleiben.

- Henrike Buschmann

Die Sekunden zwischen dem Abheben des Hörers und dem Erklingen der Stimme amanderen Ende sind jedes Mal eine Überraschu­ng. Wenn bei Charlotte B. (Name von der Redaktion geändert) das Telefon klingelt, weiß sie nie, was auf sie zukommt. Seit mehr als zwanzig Jahren ist sie ehrenamtli­ch bei der ökumenisch­en Telefonsee­lsorge Bielefeld-owl tätig – und hat dabei schon einiges erlebt.

„Wir haben hier insgesamt etwa 90 Ehrenamtli­che. Das Telefon ist 24 Stunden besetzt“, sagt Angela KesslerWei­nrich, Leiterin der Telefonsee­lsorge. Gedeckt werden könne der hohe Gesprächsb­edarf der Anrufer nicht immer,

„manche Leute müssen wir bitten, später nochmal anzurufen“, ergänzt Miriam von Brachel, stellvertr­etende Leiterin. Durchschni­ttlich 30 Gespräche werden am Tag geführt.

Umso wichtiger sind Ehrenamtli­che, die wie Charlotte B. bei Sorgen, Ängsten und Trauer am anderen Ende der Leitung zur Verfügung stehen. Wieist sie damals zur Seelsorge gekommen? „Der Klassiker: Ich hatte Zeit und wollte mich engagieren. Dann hat mir eine Freundin von der Telefonsee­lsorge erzählt. ’Das ist genau das Richtige für dich, dir vertrauen die Leute doch immer alles an’. Also habe ich mich beworben. Und es keinen Tag bereut.“

Mit welchen Themen B. am Telefon konfrontie­rt wird, ist

unterschie­dlich. „Das geht von Einsamkeit über psychische Erkrankung­en, Missbrauch, Beziehungs­probleme, Sucht“, zählt sie auf. Hat sie schon einmal das Gefühl gehabt, mit An

rufen überforder­t zu sein? „Nein, noch nie. Natürlich reagiert man mit den Jahren auf bestimmte Dinge anders, lernt dazu. Mittlerwei­le kann ich auch ein Schweigen gut aushalten. Das, was man am Telefon zurückbeko­mmt, überwiegt.“

Die Ausbildung für die Seelsorge dauere zwei Jahre, sagt Kessler-weinrich. Zunächst müssen Interessie­rte Angaben über sich und ihre Motivation machen, dann werden sie zu einem Erstgesprä­ch und anschließe­nd zu einem Informatio­ns- und Entscheidu­ngstag eingeladen. Nach einem Jahr sitzen die Seelsorger dann am Telefon.

Dass das nicht immer harmlos ist, weiß Charlotte B. gut. „Es ist kein ’Kann’, sondern ein Ehrenamt, das mit viel Verantwort­ung einhergeht“, sagt sie. Einige Gespräche sind ihr besonders in Erinnerung geblieben. „Wenn die Frau anruft, die im Sterben liegt oder sich jemand meldet, der gerade seinen Partner verloren hat, geht das sehr nahe“, sagt sie. „Aber das sind Momente, aus denen man ganz viel über das eigene Leben lernt.“

Auch Veränderun­gen konnte B. über die vergangene­n Jahre beobachten. Corona habe eine große Rolle gespielt, die Nachwirkun­gen der Pandemie seien aber inzwischen abgeklunge­n. „Ich sehe, dass vor allem mehr junge Menschen sich einsam oder unter Druck gesetzt fühlen. Es gibt eine gewisse Angst vor der Welt. Und es rufen auch mehr Männer an als früher“, sagt sie.

Natürlich haben sich auch die technische­n Möglichkei­ten verändert, sodass die Telefonsee­lsorge seit längerer Zeit auch eine Mailseelso­rge anbietet. Auch mit ärgerliche­n Anrufen waren die Mitarbeite­r oft konfrontie­rt: „Früher wurde oftmals die einzige Nummer gewählt, die kostenlos war – die der Seelsorge“, sagt Ulrichgesc­hwinder, ebenfalls stellvertr­etender Leiter. Inzwischen seien solche „Scherz-anrufe“jedoch kein Thema mehr.

Das Jubiläum wird im Mai gemeinsam mit zahlreiche­n Ehrenamtli­chen im Rahmen verschiede­ner Veranstalt­ungen gefeiert. Auch mit denen, die heute nicht mehr aktiver Teil der Seelsorge sind. „Es ist überrasche­nd, wie viele Ehemalige sich bei uns melden, weil sie immer noch oft an die Zeit bei der Seelsorge zurückdenk­en“, sagt Kessler-weinrich.

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Foto: Andreas Zobe Miriam von Brachel (v.l.), Angela Kessler-weinrich und Ulrich Geschwinde­r.

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