Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Quer durchs Mansfelder Land

800 Jahre lang wurde im Mansfelder Land Kupfererz abgebaut. Der Industrial­isierung sind die Mansfelder Bergwerksb­ahn und die Wipperlies­e zu verdanken, die heute als Touristenz­üge unterwegs sind.

- DAGMAR KRAPPE

Am Doppelbahn­hof Klosterman­sfeld in Benndorf hat man die Qual der Wahl. Auf Gleis 1 steht die normalspur­ige Wipperlies­e abfahrbere­it. Sie hateinenau­sflugins Wippertal, durchdas das Flüsschen Wipper, ein Nebenfluss der Saale, mäandert, auf dem Fahrplan. Auf der anderen Seite des historisch­en Bahnhofsge­bäudes dampft es auf schmaler Spur. Lokführer Steve Kloseck und Heizer Sebastian Gängel vom Verein Mansfelder Bergwerksb­ahn haben eine fast 85 Jahre alte schwarze Dampflok vor vier Personenwa­gen gekoppelt. Schon ertönt der Achtungspf­iff. Die schwergewi­chtige Dame schnauft der Kupferstad­t Hettstedt entgegen.

Zwei junge Bergleute namens Nappian und Neucke aus Goslar im Harz sollen es gewesen sein, die sich 1199 ins Mansfelder Land aufmachten, um Arbeit zu finden. Bei Hettstedt stießen sie auf Kupferschi­efer. Das war der Beginn von 800 Jahren Kupferberg­bau und -verhüttung in der Region Hettstedt, Mansfeld, Eisleben und Sangerhaus­en. Nach und nach wurden weitere Metalle, überwiegen­d Silber, aus dem Erz verwertet. Zunächst transporti­erte man Kupferschi­efer mit Schub- und Ochsenkarr­en, sodann mit Pferdefuhr­werken und Seilbahnen. 1880 war das Geburtsjah­r der 750-Millimeter-schmalspur­bahn.

„Die Mansfelder Schächte schloss man bereits 1969. Bald danach wurde auch der Personenve­rkehr eingestell­t. Das endgültige Aus des Bergbaus kam nach der Wende im Oktober 1990. Rund ein Jahr später gründeten 16 Eisenbahnf­reunde den Verein Mansfelder Bergwerksb­ahn, um Trasse und Anlagen vor ihrem Rückbau zu retten und einen Museumszug mit Publikumsv­erkehr einzuricht­en. „Heute zählt unser Verein mehr als hundert Mitglieder“, erzählt der stellvertr­etende Vorsitzend­e Marco Zeddel.

Mit dem Kohletende­r voran stampft die Lok über die verblieben­e elf Kilometer lange Strecke. Am Horizont tauchen riesige braune und graue Gesteinspy­ramiden auf. Die Spitzkegel- und Flachhalde­n sind aufgeschüt­tete Abraumhald­en aus der Zeit der Industrial­isierung. Feuerrot leuchtet der Klatschmoh­n zwischen Getreidefe­ldern. Wer den Zug am Haltepunkt Eduardscha­cht verlässt, erreicht nach zehn Minuten Fußmarsch das Mansfeld-museum im Humboldt-schloss in Hettstedt. Der preußische Gelehrte Wilhelm von Humboldt lebte einige Jahre mit seiner Frau im spätbarock­en Anwesen seiner Schwiegere­ltern von Dacheröden. In verschiede­nenräumenu­nd im Außengelän­de werden Kupferberg­bau, Verhüttung und Metallvera­rbeitung anschaulic­h erklärt.

Auf Gleis 1 in Benndorf hat Triebfahrz­eugführer Stephan Carraß unterdesse­n den Diesel der Wipperlies­e zur zweiten Runde angeworfen. „Heute ist ein beige-roter Esslinger Triebwagen von 1951 auf der Schiene. Von Hamburg-altona bis zum Tegernsee hat er seitdem viel gesehen“, informiert Carraß. 1920 wurde die knapp 20 Kilometer lange Trasse von der Deutschenr­eichsbahn eröffnet. Die Bahn beförderte­holz ausdem Harz und brachte Bergleute zu ihren Arbeitsplä­tzen. Schüler aus abgelegene­n Orten im Wippertal und Sommerfris­chler nutzten sie ebenso. „Nach der Wendegehör­te die Wipperlies­e zur Deutschen Bahn“, berichtet Marco Zeddel: „Nachdem diese in Erwägung zog, die Verbindung ins Wippertal stillzuleg­en, übernahm unser Verein die Eisenbahni­nfrastrukt­ur.“

Auf dem Hasselbach-viadukt überquert der Triebwagen die Bundesstra­ße 86. Auf der linken Seite in Fahrtricht­ung Wippra präsentier­t sich die Mansfelder Altstadt mit der spätgotisc­hen Kirche St. Georg. Mansfeld ist Lutherstad­t. Unweit der Kirche ist ein Drittel von Martin Luthers Elternhaus stehengebl­ieben. Schräg gegenüber eröffnete man ein modernes, interaktiv­esmuseum mit der Ausstellun­g „Ich bin ein Mansfeldis­chkind“. Der Reformator verbrachte 13 Jahre seiner Kindheit im Ort, bevor er zur weiterführ­enden Schule nach Magdeburg ging. Am Lutherbrun­nen werden auf drei Bronzetafe­ln Stationen seines Lebens dargestell­t. Familie Luder gehörte zur wohlhabend­en Schicht der Berg- und Hüttenmeis­ter. Martin und sein jüngerer Bruder Jakob, der den väterliche­n Betrieb übernahm, änderten ihren Nachnamen später in Luther.

Hoch über der Stadt thront das Schloss Mansfeld. Zu Luthers Zeit herrschten in derregion die Mansfelder­grafen. Im18. Jahrhunder­t starb die Linie aus. Die Anlage verfiel zunehmend, wurde mehrmals verkauft, verändert und restaurier­t. Martin Luther war häufig Gast bei den Grafen, um religiöse und andere Streitigke­iten zu schlichten und um in der Schloss- und Stiftskirc­he zu predigen. Auch seine letzte Reise in schlechtem Gesundheit­szustand führte ihn 1546 von Wittenberg ins Mansfelder Land, um wiedereinm­al Konflikted­er Grafen zu lösen. Während dieses Aufenthalt­s verstarbde­rreformato­rin Eisleben. Dortbefind­en sich die Luthermuse­en „Geburts- und Sterbehaus“.

Die Wipperlies­e windet sich weiter westwärts das Tal der Wipper hinauf. Hinter Biesenrode taucht sie in den Rammelburg-tunnel ein. Die Baukosten trugen die damaligen Besitzer des erneuerten und umgestalte­ten Schlosses Rammelburg. Ursprüngli­ch sollte die Eisenbahns­trecke um den Schlossber­g herum verlaufen. Um vor Lärm und Rauch durch Dampflokom­otiven geschützt zu sein, entschied man sich für einen Tunnel durch den Berg. Nach kurzem Aufenthalt in Wippra rauscht die Wipperlies­e zurück zum Ausgangsba­hnhof. Ein letzter Blick auf die Mansfelder Altstadt. Diese Zugfahrt entlang seines Heimatorte­s war Martin Luther nicht vergönnt. Dafür wurde er zu früh geboren.

 ?? FOTOS: DAGMAR KRAPPE ?? Ungwöhnlic­hes Fortbewegu­ngsmittel: Die Mansfelder Bergwerksb­ahn am Gleisdreie­ck Siersleben. Im Südwesten Sachsen-anhalts erstreckt sich das Mansfelder Land an den Ausläufern des Südharzes.
FOTOS: DAGMAR KRAPPE Ungwöhnlic­hes Fortbewegu­ngsmittel: Die Mansfelder Bergwerksb­ahn am Gleisdreie­ck Siersleben. Im Südwesten Sachsen-anhalts erstreckt sich das Mansfelder Land an den Ausläufern des Südharzes.
 ?? ?? Bei der Arbeit: Lokführer Steve Kloseck und Heizer Sebastian Gängel.
Bei der Arbeit: Lokführer Steve Kloseck und Heizer Sebastian Gängel.

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