Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost
Frühling auf dem Fluss
Leinen los – die neue Flussfahrtsaison ist gestartet. Auf einer Kurzkreuzfahrt auf der Donau versuchen wir herauszufinden, was die Faszination dieser immer beliebter werdenden Reiseform ausmacht.
Deck schrubben, Proviant laden, Motor klarmachen! Was klingt wie streng formulierte Arbeitsaufträge für Matrosen, sind Tätigkeiten, die wir auf dem Weg zu unserem Hotel in Passau am Donauufer tatsächlichbeobachten. Währenddie Rollen unserer Koffer über das Altstadtpflaster und bürgersteigerattern, wirft die startende Flussfahrtsaison Ende März ihre Schatten voraus– obwohl die Sonne zunächst noch auf sich warten lässt. Die Schiffe, die am Donauufer liegen, werden aus ihrem Winterschlaf geweckt und für die wohl erste Fahrt der Saison vorbereitet.
Während ein Graupelschauer runterkommt, stehen auf den Schiffen schon alle Zeichen auf Frühling: Viele fleißige Hände polieren die Decks auf Hochglanz, spannen Sonnenschirme schon mal auf und arrangieren Sitzgruppen. Auchdie ein oder andere Schiffsschraube dreht bereits probeweise ihre Runden. Angekommen im Hotel mit herrlichem Ausblick auf die Donau erfahren wir auch, warum das so ist: „Ab morgen sind wir ausgebucht, dann starten die Flusskreuzfahrtschiffewieder“, sagtdie nette Dame an der Rezeption.
Nicht nur die Hotels freuen sich über ausgebuchte Betten, die ihnen diese offenbar immer beliebter werdende Reiseform beschert: Während 2004 laut Statista noch gut 300.000 Passagiere auf dem Markt für Flusskreuzfahrten gezählt wurden, waren es 2023 rund 700.000 – fast so viele wie zu Vor-corona-zeiten 2019 mit gut 727.000. Wir sind zwei davon und haben uns für die „Donau-kurz-kreuzfahrt Städte& Natur“und damit für vier Nächte auf dem Schiff mit Stopps in Wien, Bratislava und Linz entschieden. Mehr geht immer – wer möchte, kann auch noch weiterfahren und Landschaften und Metropolen bis hin zum Donau-delta entdecken. Für uns ist es eine gute Möglichkeit für eine kleine Auszeit, die die Reisekasseunddamit auch das Urlaubstagebudget schont.
Nach einer Übernachtung in Passau geht es am nächsten Tag mit einem kurzen Bustransfer ins österreichische Engelhartszell. Dort liegt das Schiff A-rosa Flora bereits am Anleger. Mit dem Betreten des Schiffs bleibt vieles an Land: Man braucht hier keine Autoschlüssel, keinen Terminplaner, man muss weder einkaufen noch die Wohnung aufräumen. Es scheint, als ob die Verpflichtungen mit dem Ablegen des Schiffs an Land bleiben, mit jedem zurückgelegten Meter immer kleinerwerdenundnach ein paar Kurven auf dem Fluss fast bedeutungslos sind.
Ein weiterer entschleunigender Punkt ist das Internet – es gibt WLAN an Bord, das für die wichtigsten Anwendungen auch zuverlässig funktioniert. Aber je nach Route und Landschaft, die gerade an einem vorbeizieht, sollte man nicht unbedingt eine Videokonferenz oder einen Streamingabend planen. Filme, die man schauen möchte, sollte man sicherheitshalber vorher runterladen. Die Gesamtsituation, in der es nichts zu erledigen gibt und man nicht ständig am Handy oder Laptop hängt, ist eine Wohltat für alle Getriebenen des Alltags. Sie erinnert uns daran, im Hier und Jetzt zu leben, echte Momente wahrzunehmen und zu genießen.
Momente zum Genießen erleben wir auch– oder erst recht– ohne Streamingdienste in Serie. Die pure Entschleunigung stellt sich in der Sekunde ein, in der der Motor startet und das Schiff durch die Donauwellen sanft summend dahingleitet, am Ufer Naturlandschaften oder auch kleine Dörfer, Schlösser und Burgen vorbeiziehen. Zu diesem beinahemeditativen Panorama sorgt die freundliche crew unermüdlich für ein leckeres Getränk in der Hand – entspannter geht es nicht.
Langeweile kommt jedoch keine auf: Einmal gibt es Unterhaltungsangebote fernab des TV-PROgramms. Wer möchte, kann sich am Abend unter Deck dem Schlager-schwoof im Discofox-takt widmen, Mitreisende besser kennenlernen und bei Events wie einer Tombola oder Liederraten Preise einheimsen. Wer eher die Ruhe sucht, kann auch rund um die Uhr das Panorama an Deck genießen, Sterne zählen oder hautnah dabei sein, wenn das Schiff die zahlreichen Schleusen passiert. Die nautische Crew rund um Kapitän Dragan Vuksanović erklärt Interessierten gern, wie das funktioniert und wie man so ein großes Schiff steuert.
Doch fester Bestandteil dieser Reiseform ist vor allem, dass (auf dieser Reise) täglich eine neue Stadt auf dem Programm steht. Die erste, die wir am nächsten Tag am Vormittag erreichen, ist Wien. Die Reiseleiterin hat am Vorabend nichtnurdie Ausflüge, die diereederei anbietet, angepriesen. Am morgen vor dem ersten Landgang gibt sie auch Tipps für alle, die Österreichs Hauptstadt auf eigene Faust erkunden möchten. Wir legenammexikoplatz an, in dessen Nähe befindet sich zum Beispiel fußläufig erreichbar der Wiener Prater. Sie stellt weitere Highlights der Stadt vor, zeigt wie man mit der U-bahn schnell und günstighinkommt, undgibt Tipps, welche „alternativen Kaffeehäuser“es gibt, wenn die Schlangeam Kaffee Sacher mal wieder zu lang sein sollte.
Wir kaufen uns ein U-bahn-tagesticket für acht Euro pro Person und fahren mit einem Umstieg auf den Spuren von Kaiser Franz und seiner bis heute populären Gattin Sisi zum Schloss Schönbrunn. Hier findet zu Ostern ein Kunsthandwerkermarkt statt, natürlich parkt auch eine Pferdekutsche vor dem Schloss. Wer statt mit der U-bahn per Kutsche reisen möchte, muss etwas tiefer in die Tasche greifen, gut 80 Euro nennt der Kutscher den Preis für eine Fahrt mit seinem 2-PS-GEfährt. Auch, wer ins Schloss hinein möchte, muss noch einmal investieren. Wir belassen es bei dem auch schon von außen beeindruckenden Blick aufs Schloss und kaufen dafür noch Sisi-fan-artikel: ein Schlüsselanhänger mit Krönchen und ein Feuerzeug mit dem Emblem der Kaiserin.
Wermit deru-bahnunterwegs ist, kann an populären Stationen wie Stephansplatz einfach aussteigen, die zahlreichen Sehenswürdigkeiten besichtigen und ist auch in wenigen Minuten wieder am Schiff. Wer das Ganze lieber überirdisch erleben möchte, kann auch per Bus als Hop-on-hop-off-tourist direkt vom Hafen aus durch Wien reisen, ein- und aussteigen, wo man möchte und einen Überblick über die Stadt bekommen. Auch wenn der Gedanke schwerfällt, das leckere Essen auf dem Schiff sich selbst zu überlassen – Wien ist auch kulinarisch ein Highlight.
Natürlich dürfen dabei die Klassiker wie Wiener Schnitzel, Wiener Würstchen und die Sachertorte nicht fehlen. Eintippistauch die Balkanküche. Rund um den Mexikoplatz gibt es einige fußläufig zu erreichende Adressen. Ein Beispiel ist der Semberija Grill, wo es pikante serbische Fleischspezialitäten vom Holzkohlegrill mit selbst gemachtem Brot und köstlichen Dips gibt. Außerdem machen wir Bekanntschaft mit dem Zwetschgenwasser Sliwowitz. Es ist das kulinarische Highlight unserer Reise, das unvergessen bleiben wird– ehrliches Essen zu fairen Preisen, das unglaublich lecker ist.
Auch die Städte Bratislava und Linz haben ihre Reize zu bieten. In Bratislava empfiehlt sich besonders ein von der Reederei angebotener Ausflug mit der Bimmelbahndurch die Hauptstadt der Slowakei, bei dem auf humorvolle Art auch politische und gesellschaftliche Themen angesprochen werden. Immer wieder begegnet einem in den Souvenirshops ein plüschiger Freund aus Kindheitstagen: ein beliebtes Souvenir ist der Maulwurf, der aus der Sendung mit der maus bekannt ist.
Auch in Linz gibt es organisierte Ausflüge. Da die Stadt kleiner und beschaulicher ist als Wien, ist sie auch perfekt, um sich ein wenig treiben zu lassen, sich mit einem Stück Kuchen am Donauufer niederzulassen oder auf Einkaufstour durch die Geschäfte zu ziehen. Linz ist auch eine besondere Adresse für Liebhaber der Kunst und der Freunde der Industriekultur. Leider ist Linz schon unsere letzte Station auf einer Reise, die uns als eine Zeit voller Momente zum Genießen in Erinnerung bleiben wird.