Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Nahost-spannungen wirken sich auch auf Europa aus

Israels Partner warnen vor einem Vergeltung­sschlag – und legen nahe, die erfolgreic­he Abwehr der iranischen Attacke als Sieg zu betrachten. Die Gefahr einer Eskalation ist damit aber nicht gebannt. Sie wäre auch für Deutschlan­d bedrohlich.

- Markus Decker und Can Merey

Tel Aviv/berlin. Gleich zum zweiten Mal in weniger als 24 Stunden kam das Kriegskabi­nett in Israel zusammen. Es waren Stunden, in denen die Welt davor zitterte, ob sich der Krieg im Nahen Osten zu einem Flächen brand mit Folgen weit über die Region hinaus ausweiten würde. Ein Vergeltung­sschlag Israels ist nach dem massiven iranischen Luftangrif­f zunächst zwar ausgeblieb­en, und internatio­nal mehren sich die Rufe nach einer zurückhalt­enden Reaktion, gebannt ist die Gefahr einer Eskalation damit aber nicht. Un-generalsek­retär António Guterres warnt: „Der Naheosten stehtamran­dedes Abgrunds.“

Israels Regierungs­sprec her David Mencer sagte in einer Schalte mit Reportern: „Wir sind auf jedes Szenario vorbereite­t, sowohl defensiv als auch offensiv.“Er warf den „Tyrannen von Teheran“neben den Luftangrif­fen auch vor, hinter dem Überfall der Terrororga­nisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 mit rund 1.200 Toten gesteckt zu haben. Der Iran von Ajatollah Ali Chamenei habe sich als „Terrorstaa­t“entlarvt. Mencer sprach von einem „Oktopus, dessen Kopf in Teheran ist, dess enten takeln aberüb erall im Nahen Ostens ind “.

Die Spannungen im Nahen Osten überschatt­eten weiterhin den Besuch von Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) im fernen China. Der SPD-POLItiker sagte in Schanghai: „Alle sindsich einig darüber, dass die Art und Weise, wie es Israel gelungen ist, mit partnern vorort und auch internatio­nalen Partnern diesen Angriff abzufangen, wirklich beeindruck­end gewesen ist.“Das sei eine große Leistung der israelisch­en Armee gewesen. „Und das ist ein Erfolg, der vielleicht auch nicht verschenkt werden sollte. Deshalb auch unser Ratschlag, selbst zur Deeskalati­on beizutrage­n.“

Ähnlich argumentie­ren auch die Us-regierung und all diejenigen, die Israel davor warnen, mit einem Vergeltung­sschlag gegenden Iran die Spirale der Gewalt weiter zudrehen: Dass nach angaben der israelisch­en Streitkräf­te mithilfe der USA, Großbritan­niens und anderer Partner „99 Prozent“der rund 320 Drohnen, Marschflug­körper und ballistisc­he Raketen abgefangen wurden, sei bereits ein durchschla­gender Erfolg für Israel – und eine Niederlage für den Iran. So sagte etwa der britische Außenminis­ter David Cameron: „Das Beste, was man im Fall Israels tun kann, ist, anzuerkenn­en, dass dies für den Iran ein Misserfolg war.“

Ein Misserfolg womöglich nicht nur aus militärisc­her Sicht. Der erste direkte Angriff der Islamische­n Republik auf den Erzfeind hat die internatio­nale Solidaritä­t mit Israel wiederaufl­eben lassen, die brüchig geworden war. Die Kritik am brutalen Vorgehen Israels im Gazastreif­en ist in den Hintergrun­d gerückt – zumindest vorübergeh­end. Regierungs­sprecher Mencer betonte, an den Kriegsziel­en im Gazastreif­en habe sich nichts geändert: „Unsere 133 Geiseln nach Hause zu holen, die Hamas zu zerstören und sicherzust­ellen, dass Gaza nie wieder zu einer Bedrohung für uns wird.“Er betonte: „Der Kampf gegen die Hamas ist noch lange nicht vorbei.“

Auch wenn kaum Raketen Israel trafen, strotzte die iranische Vertretung bei den Vereinten Nationen dennoch vor Selbstbewu­sstsein. „Das israelisch­e Regime, das von seinen Unterstütz­ern ständig verhätsche­lt wurde, war wie ein verwöhntes Kind in der Schule, wo seine Anomalien lange Zeit unkontroll­iert geblieben waren“, schrieb die Mission auf derplattfo­rm X(vormalstwi­tter). „Es musste disziplini­ert werden, und die Disziplin wurde tatsächlic­h erzwungen!“

Teheran argumentie­rt, der Angriff indernacht­sei einereakti­on auf den israelisch­en Beschuss des iranischen Konsulats in Damaskus gewesen, bei dem zu Monatsbegi­nn hochrangig­e Offiziere getötet worden waren. „Die Angelegenh­eit kann als abgeschlos­sen betrachtet werden“, teilte Irans Vertretung bei den UN nach demluftang­riff mit. „Sollte das israelisch­e Regime jedoch einen weiteren Fehler begehen, wird die Antwort des Iran wesentlich härter ausfallen. Es ist ein Konflikt zwischen dem Iran und dem israelisch­en Schurken-regime, aus dem sich die USA heraushalt­en müssen“, hieß es.

Iran und Israel rasseln weiter mit den Säbeln

Der Iran-direktor der Denkfabrik Internatio­nal Crisis Group, Ali Vaez, konstatier­te im Journal „Foreign Affairs“, sowohl Israel als auch der Iran rasselten weiter mit den Säbeln. „Der Schlagabta­usch zwischen den beiden Staaten könnte weiter eskalieren und zu einem sich ausweitend­enkriegfüh­ren, derdie Vereinigte­n Staaten einbezieht und die gesamte Region erfasst“, warnte Vaez. „Der Nahe Osten ist am 13. April nicht explodiert, aber es besteht immer noch die Gefahr eines größeren Konflikts, beidemes keine Gewinner geben würde.“

Us-präsident Joe Biden ist besonders daran gelegen, eine weitere Eskalation in einem Konflikt zu vermeiden, in den die Vereinigte­n Staaten womöglich verwickelt werden könnten. Nach Darstellun­g aus Washington hielt er den israelisch­en Ministerpr­äsidenten Benjamin Netanjahu dazu an, einen möglichen Vergeltung­sschlag gegen den Iran sorgfältig abzuwägen. Die „Washington Post“zitierte ungenannte Us-regierungs­vertreter, wonach man Israel bei Angriffen aus dem Iran weiterhin schützen, sich aber nicht an einem Gegenschla­g beteiligen würde.

Der Demokrat Biden steht unter dem Druck seines republikan­ischen Herausford­erers Donald Trump bei der Präsidente­nwahl im November. Trump hatte während seiner Präsidents­chaft in den Jahren 2017 bis 2021 einen deutlich härteren Kurs gegen den Iran gefahren als sein Amtsnachfo­lger. Nach dem iranischen Angriff auf Israel schrieb Trump auf seinem sozialen Netzwerk Truth Social: „Das hätte nie passieren dürfen – das wäre NIE passiert, wenn ich Präsident wäre!“

Israels Außenminis­ter Israel Katz verlangte in Gesprächen mit seinem britischen und französisc­hen Amtskolleg­en unter anderem, die iranischen Revolution­sg ar den auf die List eder Terrororga­nisationen zu setzen. Für diesen Dienstag hat der Eu-außenbeauf­tragte Josep Borrell ein Sondertref­fen der Eu-außenminis­ter anberaumt, die sich per Video mit ihm zusammensc­halten. Unter Trump hatten die USA dieRevolut ions garden bereits zur Terrororga­nisation erklärt.

Bundesinne­nminister in Nancy Faeser (SPD) warnte nach dem Angriff des Iran auf Israel vor etwaigen Konsequenz­en für Deutschlan­d. „Wir wissen, wie sich Eskalation­en im Nahen Osten auch in Deutschlan­d auswirken können“, sagte sie. „Seit den Terrorangr­iffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem folgenden Gazakrieg gibt es einen drastische­n Anstieg von antisemiti­schen Straftaten.“Die Spd-politikeri­n betonte: „Die Spirale, dass Eskalation­en im Nahen Osten zu noch mehr widerwärti­gem Juden hass bei uns führen, müssen wir durchbrech­en .“Sie sagte weiter, die Sicherheit­sbehörden seien sehr wachsam und beobachtet­en genau, „ob die aktuelle Eskalation durch das iranische Regime Auswirkung­en auf die Sicherheit­slage in Deutschlan­d hat“. Dabei habe der Schutz von israelisch­en und jüdischen Einrichtun­gen höchste Priorität.

AusSic her heitskr eisen hieß es, nach aktuellen Erkenntnis­sen lägen keine konkreten Anhaltspun­kte für eine unmittelba­re Bedrohung israelisch­er oder jüdischer Einrichtun­gen in Deutschlan­d oder direkte Bezüge vor, die zu einer Änderung der bestehende­n Gefährdung­sbe wertung führen würden. Grundsätzl­ich sei die Gefährdung­slage in Deutschlan­d aber eng mit der Entwicklun­g der Situation im Nahen Osten verknüpft. Eine Emotionali sie rungd er Lage, insbesonde­re bei israel feindliche­n Kräften, sei denkbar.

 ?? Foto: afp ?? Eine Frau radelt in Tel Aviv an einem Wandgemäld­e vorbei, das Us-präsident Joe Biden zeigt – verkleidet als Marvel-comic-figur „Captain America“vor einer israelisch­en Flagge stehend und ein Schild mit dem Davidstern-symbol hochhalten­d.
Foto: afp Eine Frau radelt in Tel Aviv an einem Wandgemäld­e vorbei, das Us-präsident Joe Biden zeigt – verkleidet als Marvel-comic-figur „Captain America“vor einer israelisch­en Flagge stehend und ein Schild mit dem Davidstern-symbol hochhalten­d.

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