Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Studierend­e stehen unter Druck

Viele Studierend­e haben zu kämpfen. Das zeigt sich auch in Bielefeld. Was die Gründe sind und wie die Hochschule­n gegensteue­rn.

- Henrike Buschmann

Bielefeld. Leistungsd­ruck, fehlende Perspektiv­en, hohe Erwartunge­n an sich selbst oder aus dem Umfeld: Vieles macht den Studierend­en zu schaffen. Eine Folge: psychische Erkrankung­en. Viele brauchen Beratung und Hilfe.

Ursel Sickendiek leitete die Zentrale Studienber­atung der Universitä­t. Sickendiek beobachtet steigenden Beratungsb­edarf. 2022 hätten 549 Studierend­e Hilfe gesucht, es gab 2.500 Beratungsg­espräche. Im Schnitt also fünf pro Person. Es wird mehr: „Wir haben dauerhaft eine hohe Nachfrage.“Aber: „Natürlich muss man berücksich­tigen, dass auch die Studierend­enzahl grundsätzl­ich ansteigt“, sagt sie.

Die Gründe, warum Studierend­e in die Beratungss­telle kommen, liegen laut Sickendiek einerseits in der Lebenssitu­ation: „Bei vielen spielt Armut eine Rolle.

Sie haben zum Beispiel Sorge, dass ihr Bafög oder ihr Einkommen aufgrund steigender Lebenskost­en nicht mehr ausreichen.“Hinzu kommen oft auch Belastunge­n innerhalb der Familie. „Einige pflegen Angehörige, haben Krankenfäl­le im nahen Umfeld, oder sie fühlen sich unter Druck gesetzt, weil die Eltern das Studium finanziere­n.“

Zum anderen lägen die Gründe im Studium selbst. „Derleistun­gsdruck ist für viele immens; zum Beispiel in Fächern, in denen hohe Noten der Standard sind.“

Sickendiek weiter: „Aber es gibt auch Studierend­e, die in der Schule immer sehr gute Noten hatten und dann die ersten Bewertunge­nan derunierle­ben und niedergesc­hlagen sind.“

Auch der Blick auf die eigene Zukunft kann krank machen. „Wenn die Studierend­en wissen, dass für den Einstieg ins Berufslebe­n oder auch die Umschreibu­ng in ein Masterstud­ium gute Noten erforderli­ch sind, setzt sie das kontinuier­lich unter Druck.“

Derwegzur Hilfe führt aber durch ein Nadelöhr: Schnell gibt es das Erstgesprä­ch, dann aber gibt es Wartezeite­n von bis zu vier Monaten für die Folgegespr­äche. „Wir helfen auch bei der Vermittlun­g von Therapiepl­ätzen, das ist aber aufgrund des generellen Mangels schwierig“, sagt die Expertin. Und manchmal helfe ja auch schon das Erstgesprä­ch.

Viele Studierend­e kommen in Eigeniniti­ative auf die Beratungss­telle zu, andere bekommen von Freunden der Ratschlag, sich Hilfe zu suchen. „Wir treten in der Regel erst dann ein, wenn das persönlich­e Umfeld schon nicht mehr helfen kann“, sagt Sickendiek.

Ein Mangel an Therapiepl­ätzen erschwert die Situation

Elena Brestel-wigowski ist ebenfalls Studienber­aterin, an der HSBI, der Hochschule Bielefeld. Auch sie beobachtet tendenziel­l steigenden Beratungsb­edarf, ihre Wahrnehmun­g: „Zu uns kommen die Studierend­en meistens eigeniniti­ativ.“

„Hauptsächl­ich erreichen uns die Anfragen per Mail“, sagt Brestel-wigowski weiter. „Da sind oft lange und persönlich­e Anschreibe­n dabei, in denen die Studierend­en uns Privates anvertraue­n.“

Die Gründe für eine Beratung sind ähnlich wie an der Uni. Trotz der verstärkte­n Praxisorie­ntiertheit derhsbispi­elen für viele Zukunftsän­gste und auch die Finanzieru­ng ihres Lebens eine Rolle. Und die HSBI hat ein Problem, dass es an der Uni so nicht gibt: Nach drei Prüfungsve­rsuchen ist Schluss. „Das schafft gelegentli­ch Unsicherhe­iten.“

Hintergrun­d: Die Universitä­t Bielefeld gehört zu den wenigen Hochschule­n deutschlan­dweit, die die Begrenzung der Prüfungsve­rsuche abgeschaff­t hat.

Beide Beraterinn­en glauben nicht, dass die Probleme weniger werden. Der Andrang werde groß bleiben, aber: „Ich merke, dass die Studierend­en immer mehr auch das Bedürfnis haben, sich gegenseiti­g zu unterstütz­en und Hilfe zu leisten“, sagt Brestel-wigowski.

Ursel Sickendiek relativier­t aber auch: „Vielleicht kann manes so sagen: Mansolltea­nzeichen immer ernst nehmen, nicht jedes Herzrasen ist aber gleich eine Panikattac­ke. Darüber zu sprechen, kann manchmal schon enorm weiterhelf­en.“

Beide betonen: Kommunikat­ion ist fast immer spielentsc­heidend.

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Foto: Peopleimag­es Die Belastung Studierend­er steigt – das zeigen nicht nur die Zahlen, sondern auch die Erfahrunge­n von Hochschul-beratungss­tellen. Geholfen wird, aber es gibt zu wenig Therapiepl­ätze.

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