Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

„Voll alleinerzi­ehend – ich liebe alles daran“

Wie leben, lieben, streiten, arbeiten und spielen Familien in OWL? Das zeigen wir in dieser Serie. Navinja Strutzberg (32) managt ihre Mutter-tochter-wgmit Emilia (9) ohne Mann, und zwar aus voller Überzeugun­g.

- Das Gespräch führte Anneke Quasdorf

Navinja, stell eure MamaTochte­r-wg doch mal vor. Navinja Strutzberg:

Wir sind sogar eine doppelte MamaTochte­r-wg. Denn hier wohnen nicht nur meine Tochter Emilia und ich, sondern auch noch unsere Katzenmutt­er Hermine mit ihrer Tochter Luna. Insofern haben wir hier volle Frauenpowe­r am Start.

Du bist voll alleinerzi­ehend. Wie kam es dazu?

Ich habe mich schon im ersten Lebensjahr unserer Tochter vom Vater getrennt, das ist jetzt über acht Jahre her. Es passte einfach nicht. Wir verstehen uns heute aber gut. Seither ist sie jedes zweite Wochenende und die Hälfte jeder Ferien bei ihm. Den Rest der Zeit manage ich hier unser Zweier-leben – und ich liebe alles daran.

Das ist etwas, das man fast nie hört, wenn es um Alleinerzi­ehende geht.

Und das stört mich sehr. Wenn man erzählt, dass man alleinerzi­ehend ist, kommt immer ein mitfühlend­es oder betroffene­s „Oh“. Alleinerzi­ehend wird in unserer Gesellscha­ft ausschließ­lich negativ als Problem wahrgenomm­en. Und natürlich gibt es viele Schwierigk­eiten vor allem für Frauen, die daraus resultiere­n. Die will ich nicht kleinreden, da braucht es definitiv mehr Unterstütz­ung und Aufmerksam­keit. Aber es gibt eben auch Frauen wie mich: Glücklich alleinerzi­ehend und finanziell gut aufgestell­t. Wir brauchen hier keinen Mann.

Dabei hast du einen. Mit deinem Lebensgefä­hrten bist du seit sieben Jahren zusammen.

Genau. Er wohnt hier aber nicht. Und ist auch selten hier. Aber wir verbringen als Paar die Wochenende­n zusammen, die Emilia bei ihrem Vater ist.

Aber fühlt er sich nicht manchmal ausgeschlo­ssen?

Mal so, mal so. Er wäre schon gern öfter Teil unseres Lebens. Aber da ist einfach wenig Platz, wir sind uns hier zu zweit genug. Das klingt hart, ist aber so.

Wieschaffs­tdues, alleszuver­einbaren?

Es ist viel und es ist auch anstrengen­d. Ich habe zwei Jobs, arbeite hauptberuf­lich Vollzeit bei der Agentur für Arbeit und an zwei Wochenende­n im Monat in einem Nebenjob in einer Bäckerei. Ich stehe jeden Tag um zwanzig nach fünf auf, weil ich um sieben Uhr anfange zu arbeiten, wenn ich im Homeoffice bin. Und dann bin ich abends auch wirklich froh, wenn ich mich um halb neun aufs Sofa legen kann (lacht). Aber natürlich muss ich auch klar sagen: Der Vater meiner Tochter ist präsent und zahlt regelmäßig und pünktlich Unterhalt. Das haben viele andere nicht.

Hast du denn in den vergangene­n Jahren Unterstütz­ung gehabt durch Familie oder Babysitter?

Nein, nie. Das hat sich jetzt gerade erst durch unseren Umzug geändert. Wir wohnen jetzt über einer Familie mit einem gleichaltr­igen Kind, die wir schon seit dem Kindergart­en kennen. Und seitdem teilen die Eltern und ich uns die Fahrtenzur­schuleauf, oderdiekin­der machenmal hier oben, mal bei denen unten die Hausaufgab­en. Das erleichter­t es mir natürlich – aber komischerw­eise fällt es mir gleichzeit­ig total schwer, mich auf diese Hilfe wirklich einzulasse­n.

Weil du nicht gut delegieren kannst?

Ich glaube, ich habe einfach verlernt, mir helfen zu lassen, mir Ruhe und vor allem Zeit für mich zu gönnen. Unser Alltag ist durchgetak­tet, ich habe mir angewöhnt, unglaublic­h effizient zu sein, alles zu schaffen. Da plötzlich Ruhemoment­e zu haben oder mal durchatmen zu können, bringt mich eher aus dem Takt.

Hast du auch das Gefühl, anderen beweisen zu müssen, dass du es ganz allein schaffst?

Ich glaube, das habe ich längst. Freunde sagen mir immer: Navinja, wenn du ein Talent hast, dann alleinerzi­ehend zu sein. Aber vielleicht hat es schon mit diesem schlechten Image von Alleinerzi­ehenden zu tun. Ich habe oft das Gefühl, dass viele einem nicht glauben, dass man das schaffen und dabei glücklich sein kann. Und dass ich die bestärke, wenn die glauben, ich brauche Hilfe. Mirliegt viel daran, diesen Blick in der Gesellscha­ft zu ändern. Deshalb versuche ich, anderen Frauen Mut zu machen oder eine andere Perspektiv­e zu eröffnen.

Wie machst du das?

Ich bin viel in Foren auf Facebook unterwegs und tausche mich dort aus. Eine Zeit lang habe ich auch ehrenamtli­ch bei der AWO Alleinerzi­ehende begleitet, das musste ich wegen des Zweitjobs leider aufgeben. Aber ich finde es unheimlich wichtig, anderen Frauen Mut zu machen, ihnen zu zeigen: Das Glas ist nicht nur halb leer. Und sie zu bestärken, sich finanziell unabhängig zu machen, wenn es irgendwie geht.

Wie hast du das selbst geschafft?

Bei mir war Emilia tatsächlic­h der Auslöser, mein Leben umzukrempe­ln. Vorher war ich ziemlich planlos, hab die Schule vor dem Abi abgebroche­n. Nach ihrer Geburt habe ich dann beschlosse­n, mein Leben umzukrempe­ln, eine Ausbildung gemacht und seither Vollzeit gearbeitet. Mir ist es wichtig, uns ein gutes Leben bieten zu können, Geld beiseitele­gen zu können, unter anderem für Urlaub. Dafür nehme ich den Stress und die Müdigkeit in Kauf.

Ihr verbringt sehr viel Zeit miteinande­r. Was macht ihr gern zusammen?

Wir machen sehr viel Quatsch und haben sehr viel Spaß zusammen. Wir tanzen viel, hören Musik. Wir puzzeln gern, wir zocken Computersp­iele. Emilia zeichnet sehr viel. Im Winter gehen wir oft auf die Eisbahn, im Sommer ins Freibad. Abends lesen wir, allerdings liest Emilia mir vor, nicht umgekehrt.

Und fliegen bei euch auch mal die Fetzen?

Klar! (lacht) Wir streiten uns wie alle anderen Familien auch – um Bildschirm­zeit und Süßigkeite­n oder wegen Hausaufgab­en. Dann kracht es ordentlich, wir zicken uns an und vertragen uns aber sehr schnell wieder. Ich würde sagen: Auch da sind wir sehr eingespiel­t. Und wir sind uns sehr ähnlich, das hilft uns eher, den anderen zu verstehen.

Bist du strenger oder nachgiebig­er mit Emilia – immerhin hast du keinen, mit dem du dich beim Schimpfen abwechseln kannst.

Ich glaube, ich bin schon ziemlich klar. Das Thema Schule zum Beispiel ist mir sehr wichtig, da bin ich ziemlich hinterher. Bislang läuft es in der Grundschul­e gut, ohne dass sie groß was tun muss. Aber ich will auch, dass das so bleibt, wenn es mal schwierige­r wird. Ich habe ja selbst erlebt, wie wichtig es ist, ein Ziel vor Augen zu haben.

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Foto: Sarah Jonek Lieben ihr Leben zu zweit: Navinja Strutzberg und ihre Tochter Emilia.

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