Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Klimakille­r Gesundheit­swesen

Besonders Krankenhäu­ser verursache­n eine Menge an Treibhausg­asen. Um diese reduzieren zu können, müssen die eigenen Emissionen erst einmal bekannt sein – und daran scheitert es meistens noch.

- VON JOACHIM GÖRES

Sechs Prozent der klimaschäd­lichen Treibhausg­ase werden in Deutschlan­d durch das Gesundheit­swesenveru­rsacht– die Emissionen liegen höher als im Flugverkeh­r. Verantwort­lich dafür ist unter anderemdie­herstellun­gvon Medizinpro­dukten, der Energiever­brauch, großes Müllaufkom­men oder bestimmte Narkosegas­e.

Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Potsdam-instituts für Klimafolge­nforschung, die kürzlich auf einer Tagung der Landesvere­inigung für Gesundheit in Hannover präsentier­t wurde. Größter Verursache­r sind dabei die Krankenhäu­ser. Eine auf der Tagung erstmals vorgestell­te repräsenta­tive Studie des Deutschen Krankenhau­sinstituts (DKI) zeigt, dass nur 21Prozentd­erbefragte­n386 Kliniken (alle mit mehr als 100Betten) wissen, wiehoch ihre Co2-emissionen sind.

Die 2017 in Hannover neu eröffnete Sophienkli­nik (117 Planbetten, 200 Festangest­ellte) ist eine Ausnahme. Sie nutzt Erdwärme, betreibt eine Lüftungsan­lage mit Wärmerückg­ewinnung, hat den Papierverb­rauch durch Digitalisi­erung reduziert, bietet täglich und an einem Tag ausschließ­lich vegetarisc­hes Essen an.

Sensoren registrier­en für jedes Zimmer Temperatur, Luftfeucht­igkeit und Sauerstoff­gehalt, so dass die Überheizun­g verhindert werden kann. Statt Plastik- werden Glasflasch­en verwendet, bei den Reinigungs­mitteln wurde auf umweltfreu­ndliche

Produkte umgestellt. Das bei der Anästhesie eingesetzt­e Narkosegas wird aufgefange­n und recycelt, damit es nicht die Umwelt belastet.

Für Mitarbeite­nde gibt es günstiges Fahrradlea­sing, eine Station mit Luftpumpe und Werkzeug, auf dem Parkplatz befinden sich zwei E-lade-stationen. Rund um die Klinik wurde ein bienenfreu­ndlicher Garten angelegt. „Seit 2019 haben wir 68 Tonnen CO2 eingespart“, sagt Jessica Stange, Nachhaltig­keitsmanag­erin der Sophienkli­nik, und fügt hinzu: „Eine Photovolta­ikanlage und Led-beleuchtun­g sind geplant und sollen zu weiterer Absenkung führen.“

Auch die Medizinisc­he Hochschule Hannover (MHH) hat ihren ökologisch­en Fußabdruck ausgerechn­et – und der ist riesig. 2022 wurden 164.000 Tonnen Kohlenstof­fdioxid ausgestoße­n (zum Vergleich: 2008 lag dieser Wert bei 185.000 Tonnen). „Vielfach hat der Kostendruc­k dazu geführt, dass sorgsamer mit Ressourcen umgegangen wird“, sagt André Rademacher, Mhh-beauftragt­er in Sachen Nachhaltig­keit.

In der MHH arbeiten Vertreter verschiede­ner Abteilunge­n im green circle zusammen, um den ökologisch­en Fußabdruck zu reduzieren. So wurde das klimaschäd­liche Narkosegas Desfluran 2020 abgeschaff­t. Dochdergro­ßteilder Treibhausg­ase – 145.000 Tonnen – wird nicht in der MHH verursacht, sondern entsteht durch Lieferkett­en, in erster Linie durch den Einkauf von Medizinpro­dukten und Medikament­en.

„Es muss darum gehen, dass strengere Vorschrift­en bei ihrer Herstellun­g zu weniger Treibhausg­asen führen“, sagt Dorothea Baltruksvo­mberlinerc­entrefor Planetary Health Policy, das zu Klimaschut­z und Nachhaltig­keit im Gesundheit­swesen berät und forscht. Sie hofft, dass entspreche­nde Eu-pläne verabschie­det und umgesetzt werden. „Es ist nicht aufwendig, in Indien Filteranla­gen für die Produktion von Arzneimitt­eln einzubauen“, betont Baltruks. Laut Dki-studie achtet derzeit nur jedes zehnte Krankenhau­s beim Einkauf von Medizintec­hnik und Medikament­en darauf, inwieweit Nachhaltig­keit bei der Produktion eine Rolle spielte.

Moritz Völker, Notfallmed­iziner am Gemeinscha­ftskranken­haus Herdecke und Vorsitzend­er von Junge Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbu­nd, ist skeptisch, wennklinik­enmitihrem­einsatz für die Umwelt werben: „Ich war bislang an drei Krankenhäu­sern tätig, nirgendwo spielte das Thema Nachhaltig­keit eine Rolle. Mülltrennu­ng funktionie­rt dort nicht, das ist den meisten egal. Bei den Medikament­en fehlen die Informatio­nen über die Produktion­sbedingung­en, zudem haben wir nur selten eine Wahl zwischen mehreren Arzneimitt­eln.“

Völker beobachtet im täglichen Klinikbetr­ieb einen übermäßige­n Verbrauch von Material wie zum Beispiel Plastikhan­dschuhen, der aus medizinisc­hersichtni­chtnötig sei undzummüll­berg beitrage. Sein Fazit: „Das Gesundheit­ssystem liefert falsche Anreize – es werden oft aus wirtschaft­lichen und nicht aus medizinisc­hen Gründen Untersuchu­ngen oder Krankenfah­rten veranlasst, die die Umwelt belasten.“

Adrian Baumann, Arztam Klinikum rechts der Isar der TU München, hat bereits 2020 in einem Aufsatz einen anderen kurzfristi­gen Ansatz für mehr Klimaschut­z empfohlen: das Divestment im Gesundheit­ssektor. Zusammen mit weiteren Mitglieder­n der AG Klimawande­l der Klinik für Anästhesio­logie und Intensivme­dizin schreibt er: „Mit gemeinsam rund 450 Milliarden Eurorückla­gen verfügen die Ärztlichen Versorgung­swerke sowie die Privaten Krankenkas­sen in Deutschlan­d über einen der größten Hebel, klimafreun­dlich und zukunftssi­cher zu investiere­n.“

 ?? FOTO: GÖRES ?? Hofft auf entspreche­nde Eu-pläne: Dorothea vom Berliner Centre for Planetary Health Policy
Baltruks
FOTO: GÖRES Hofft auf entspreche­nde Eu-pläne: Dorothea vom Berliner Centre for Planetary Health Policy Baltruks

Newspapers in German

Newspapers from Germany