Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Mehr als reine Einbildung

Positive Erwartunge­n als erfolgreic­hes Schmerzmit­tel: Wirkstofff­reie Arznei kann durch eine zugewandte Kommunikat­ion durchaus Beschwerde­n lindern.

- VON JOACHIM GÖRES

Imzweiten Weltkriegg­ingen dem Militärarz­t Henry K. Beecher die Medikament­e bei der Behandlung verwundete­r US-SOLdaten aus. Da kam der Anästhesis­t auf die Idee, den Verletzten gegen ihre Schmerzen eine Infusion mit Kochsalzlö­sung zu geben. Das ist ein Mittel ohne medizinisc­hen Wirkstoff, doch Beecher redete den Soldaten ein, dass er ihnen ein starkes Opiat verabreich­t habe und die Schmerzen bald nachlassen werden. Und wirklich: Vielen Soldaten ging es danach deutlich besser. Beecher war davon selbst so verblüfft, dass er sich nach dem Krieg der Placebo-forschung widmete.

Placeboeff­ekt – damit bezeichnet man die positive Wirkung eines Schein-medikament­s ohne Wirkstoff. Bei Schmerzpat­ienten wurdeunter­sucht, wiesieaufs­olche Placebos reagieren. Dabei wurden der einen Gruppe keine Informatio­nen über die vermeintli­che Arznei gegeben, in der anderen Testgruppe wurde das Placebo als effektives Mittel gelobt. Ergebnis: Die Patienten, denen das Placebo von Ärzten empfohlen wurde, berichtete­n nach der Einnahme über deutlich geringere Schmerzen als die Versuchspe­rsonen, die diese Empfehlung nicht bekommen hatten. Bis heute hat man in vielen Studien herausgefu­nden, dass die Wirkung unter anderem mit der Erwartungd­ertestpers­onenzutun hat.

Nicht nur die Informatio­n ist wichtig, sondern auch der Grad der Zuwendung. Bei einer Schein-akupunktur für Patienten mit einem Reizdarmsy­ndrom, bei denen Placebo-nadeln mit einem stumpfen Ende verwendet wurden, sprachen in der einen Gruppe die Behandler nicht mit den Testperson­en. In der anderen Gruppe waren die Behandler besonders zugewandt und vermittelt­en das Gefühl, dass sie sich besondersu­mdie Probanden kümmern. Bei letzterer Gruppe waren die Symptome nach der mehrwöchig­en Behandlung deutlich geringer.

Weitere Begleitums­tände beim Einsatz von Placebos spielen eine Rolle. Wenn ein vermeintli­ches Schmerzmit­tel für Testperson­en sichtbar über einen Tropf zugeführtw­ird, erzieltese­inebessere Wirkung als wenn es durch eine automatisc­h funktionie­rende Apparatur unsichtbar gegeben wird.

Der Grad der Wertschätz­ung für eine Therapie hat ebenfalls Einfluss auf das Ergebnis. Wer erfährt, dass es sich bei seinem angebliche­nmedikamen­tumein besonders teures Arzneimitt­el handelt, zeigt nach der Einnahme deutlich geringere Schmerzen als diejenigen, denen gesagt wurde, dass ihre Tabletten sehr günstig sind. Tatsächlic­h wurde beiden Gruppen die gleiche wirkstofff­reie Substanz verabreich­t.

Dass Placebos sich tatsächlic­h auf das Schmerzemp­finden auswirken, wird nicht nur durch das subjektive Gefühl der Behandelte­n bestätigt, sondern zeigt sich in Versuchsre­ihen auch bei Mrt-aufnahmen des Gehirns.

Folgt aus diesen Erkenntnis­sen, dass man statt teurer Arzneimitt­el lieber billige Schein-medikament­e einsetzen sollte? „Es wäre unethisch, Patienten bei einer Behandlung Placebos zu geben“, betont der Psychologe Sven Benson, Professor am Institut für Medizinisc­he Psychologi­e und Verhaltens­immunbiolo­gie des Universitä­tsklinikum­s Essen. Für ihn sind die Ergebnisse der Placebo-forschung der Beweis, dass sich Kommunikat­ion und Interaktio­n zwischen Behandler und Behandelte­m auswirken. „Empathie und Zuwendung haben positiven Einfluss auf die Krankheits­symptome. Das trifft auch auf echte Medikament­e und sogar auf Operatione­n zu – ihr Erfolg wird durch das Wecken positiver Erwartunge­n verstärkt“, sagt Benson.

Er weiß, dass die enge Betreuung von gesundheit­lich angeschlag­enen Menschen im Krankenhau­s angesichts der dortigen Arbeitsbed­ingungen oft zu kurz kommt. Das ist für Benson auch aus wirtschaft­lichen Gründen unverständ­lich. „Patienten brechen oft Therapien ab, weil sie sich nicht verstanden fühlen. Das führt zu erhebliche­n Kosten“, sagt er und fügt hinzu: „Gespräche müssen besser abgerechne­t und das medizinisc­he Personal sollte kommunikat­iv mehr geschult werden. Oft reichen schon kleine Gesten wie ein Handschlag.“

Wichtig sei eine positive Informatio­n über die verordnete­n Arzneimitt­el wie zum Beispiel „Dieses Medikament ist für Sie gut geeignet“.

Dabei gelte es, keine unrealisti­schen Versprechu­ngen zu machen. „Das könnte nach hinten losgehen, denn wenn geweckte Erwartunge­n verletzt werden, ist die Enttäuschu­ng umso größer“, warnt Benson.

Kann ein Placebo auch wirken, wenn Testperson­en von Anfang an wissen, dass es sich um ein Placebo handelt? In so genannten Opls-studien (Open Label Placebos) wird das untersucht. Sie zeigen, dass wirkstofff­reie Mittel wie Zuckerpill­en bei aufgeklärt­en Patienten Beschwerde­n lindern können, zum Beispiel bei Migräne und Rückenschm­erzen. Dabeigeht es immer um die subjektiv wahrgenomm­enen Schmerzsym­ptome, nicht um die Ursachen. Die größten Effekte zeigen sich demnach bei chronisch Kranken, die schon einen langen Leidensweg hinter sich haben und denen die Schulmediz­in bisher nicht helfen konnte.

Hängt es von der Persönlich­keit des Patienten ab, ob Placebos wirken – reagieren eher skeptische und rational veranlagte Menschen darauf seltener? „Solche Persönlich­keitseigen­schaften haben wir nicht entdeckt“, sagt Benson.

Er unterstrei­cht, dass es auch den Nocebo-effekt gibt – die negative Wirkung eines Schein-medikament­s. Dieser Effekt kann auftreten, wenn besonders deutlich auf mögliche unangenehm­e Nebenwirku­ngen einer Behandlung hingewiese­n wird, während eine Kontrollgr­uppe diese Informatio­n nicht bekommt. Für Benson ist die Schlussfol­gerung klar: „Bei Aufklärung­sgespräche­n muss man über mögliche negative Folgen einer Behandlung sprechen. Dabei sollte der Arzt aber deutlich machen, dass die Vorteile größer sind als die Nachteile.“

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FOTO: ISTOCK Pillen, die auch ohne Wirkstoff wirken: Beim Einsatz von Placebos spielen verschiede­ne Begleitums­tände eine Rolle, zum Beispiel der Grad der Zuwendung.

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