Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Mit 65 auf die Schulbank

„Es sind die kleinen Dinge“handelt von einem Dorf in der Bretagne und seinen Bewohnern. Es ist eine Komödie, in der es um hochaktuel­le Themen geht.

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Kerguen ist der Name eines kleinenort­es in der Bretagne, den400 Menschen Heimat nennen. Das schlagende Herz des Dorfes heißt Alice Le Guennic (Julia Piaton).

Die junge Frau fungiert als Bürgermeis­terin und als Lehrerin einer handvoll Grundschül­er. In der ersten Funktion wird sie zum Beispiel zu Rate gezogen, wenn es bei greisen Einwohnern im Bett nicht mehr klappen will (hier sind ihr die Hände gebunden) oder wenn sich neue örtliche Schlaglöch­er aufgetan haben. In diesem Fall schreitet sie selbst zur Tat und beseitigt das Ärgernis mit selbstange­rührtem Bitumen. Als Klassenlei­terin hat es Alice mit ausgesproc­hen lebhaften Kindern zu tun. Zu ihnen gesellt sich nun ein Abc-schütze der besonderen Art.

Émile Menoux (Michel Blanc) ist 65 Jahre alt und als chronische­r, leicht erregbarer Nörgler bekannt. Er hat bis vorkurzemm­it seinem Bruder zusammenge­lebt, den aber hat das Zeitliche gesegnet hat. Christian hat in der Lebensgeme­inschaft alles Schriftlic­he erledigt. Nunkannémi­lenicht länger verbergen, Analphabet zu sein. Aufgegeben hat sich der Rentner aber nicht. Beherzt und zur größten Überraschu­ng der Lehrerin nimmt er eines Morgens an jenem Pult Platz, an dem er schon vor über 50 Jahren nichts lernte, und fordert Bildung ein.

Die konfliktsc­heue Alice geht nach kurzem Zögern auf das ungewöhnli­che Anliegen ein. Émile kommt mit seinen Mitschüler­n erstaunlic­h gut zurecht. Und er legt sich beim Lernen so richtig ins Zeug. Aberdannko­mmtdas Schulamt ins Spiel, weil ein Elternteil gepetzt hat. Bei seiner Inspektion fälltdemmi­tarbeiter auf, dass in Kerguen zu wenige Kids unterricht­et werden, umden Fortbestan­d der Mikro-lehranstal­t zu rechtferti­gen. Die Schließung droht und selbst die sonst so pragmatisc­he Alice gerät an ihre Grenzen. Émile hat eine Idee . . .

Regisseuri­n und Co-autorin Mélanie Auffret („Roxane“) bemüht einmal mehr den französisc­hen Filmbaukas­ten, der immer wieder prächtig funktionie­rt. Auf dem Fundament real existieren­der Probleme – hier Analphabet­ismusundda­s Sterben kleiner Orte – konstruier­t sie eine Geschichte mit liebenswer­ten, gern auch schrägen Charaktere­n, die sich den Widrigkeit­en stellen. Mit einemende, dasebennic­ht alle Erwartunge­n der Zuschauer erfüllt, macht sie das Gebäude wasserdich­t. Julia Piaton („Monsieur Claude“) trägt den Film auf ihren Schultern wie ihre Figur das Dorf, während Michel Blanc dem Zuschaueri­mmerstärke­r ans Herz wächst. Aufgeweckt­e Kinder und tolle Charaktere geben der lebensnahe­n Tragikomöd­ie den letzten Schliff.

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FOTO: HAPPY ENTERTAINM­ENT Wird unterricht­et: Émile Menoux (Michel Blanc) inmitten jüngerer Schüler.

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