Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

23-Jähriger sieht Bruder sterben und wirdkrimin­ell

Um Drogen zu finanziere­n, überfällt der bis dahin unbescholt­ene Mann mehrere Tankstelle­n.

- Nils Middelhauv­e

Der 6. Mai 2022 hat alles verändert – und alles zerstört: An jenem Abend musste Aras J. (Name geändert) sehen, wie sein älterer Bruder bei einer Auseinande­rsetzung am Gelände der Plaßschule getötet wurde. Aras J. flüchtete sich in Drogen, schließlic­h überfiel er binnen kurzer Zeit vier Tankstelle­n. Das Landgerich­t verurteilt­e den 23-jährigen Herfordern­un zu sieben Jahren und drei Monaten Gefängnis.

Dass für ihren Mandanten nur eine Freiheitss­trafe in Betracht kommt, daran ließen auch die Verteidige­r Bahattin Koyun und Tim Gruner keinen Zweifel. Doch wiesen sie in der Verhandlun­g vor der I. Großen Strafkamme­r des Landgerich­ts eindringli­ch auf das Ereignis hin, das eigentlich zu den nun in Rede stehenden Taten geführt hatte. Etwas, das – so Tim Gruner in seinem Schlussvor­trag – außer dem Angeklagte­n „wohl niemand hier im Saal erleben musste“.

Bis zum 5. Mai vor zwei Jahren hatte Aras J. ein weitgehend unauffälli­ges Leben geführt. Er arbeitete, hatte eine Freundin, mit Drogen hatte er nichts am Hut und war noch niemitderj­ustiz inkonflikt­gekommen.

Dann kam der 6. Mai 2022, an dem sich für ihn alles ändern sollte: An jenem Abend kam es am Gelände der Plaßschule zu einer Auseinande­rsetzung unter jungen Leuten. Am Ende war sein älterer Bruder, der mutmaßlich nur schlichten wollte und mit dem Streit gar nichts zu tun hatte, tot. Erstochen vor den Augen der beiden jüngeren Brüder.

Aras J. bekam die Bilder nicht mehr aus dem Kopf, machte sich selber große Vorwürfe. „Ich wollte nicht mehr fühlen, was ich fühlte“, sagte er in der Verhandlun­g vor dem Landgerich­t. Der 23-Jährige begann Drogen zu nehmen, um zu flüchten. Zunächst Marihuana. Als das nicht mehr ausreichte, griff J. zu Kokain. Der Herforder suchte Vergessen in der Club- undparty-szene.

Eine Abwärtsspi­rale setzte sich in Gang, in deren Folge Aras J. seinen Job verlor. Er versuchte noch eine Weile, Partys und Drogen auf legalem Weg zu finanziere­n. Doch irgendwann funktionie­rte das nicht mehr und er überfiel im September des vergangene­n Jahrs binnen weniger Wochen vier Tankstelle­n in Brake, Heepen, Löhne und Herford. Dabei erbeutete er – maskiert und unter Vorhalt eines Messers – Ware undbargeld im Wert von rund 2.500 Euro.

Anfang Oktober kontrollie­rten Polizeibea­mte nach einem Einbruch in Bielefeld einen Audi A4, der nicht mehr für den Straßenver­kehr zugelassen war. In diesem Auto befand sich neben Gegenständ­en, die im Zusammenha­ng mit den Raubtaten standen, auch der 23-jährige Herforder. Aras J. wurde am 6. Oktober vorläufig festgenomm­en, seither sitzt er in Untersuchu­ngshaft.

Kassiereri­n hat Überfall nicht verwunden

Doch auch wenn drei der vier Überfallen­en das Geschehenm­ehroder weniger gut verarbeite­t haben, so gehört es doch auch zur Wahrheit, dass der Raub für eine Kassiereri­n ein bislang nicht verwundene­s Erlebnis darstellt. „Ich dachte, er will mich umbringen“, gab die Frau vor Gericht ihre Eindrücke des Tatabends preis. In der Folge musste sie psychologi­sche Hilfe in Anspruch nehmen, ihre Arbeit an der Tankstelle konnte sie nicht mehr ausüben.

„Ich kann das alles nicht ungeschehe­n machen“, sagte Aras J. vor Gericht, „ich schäme mich dafür.“Die Kammer unter dem Vorsitz von Richter Sven-helge Kleine verurteilt­e den nach anfänglich­em Schweigen geständige­n J. schließlic­h zu sieben Jahren und drei Monaten Gefängnis.

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