Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Von Astronaute­n und Türmern

Eine Tour durch Bayerisch-schwaben begeistert mit bezaubernd­en Städtchen, historisch­en Kulissen, bekannten Sehenswürd­igkeiten, ungewöhnli­chen Eindrücken, Natur pur – und dem einzigarti­gen Geopark Ries.

- EMIL NOREN

Der Wegbereite­r des modernen Denkens, ein Schimmeltu­rm als Wahrzeiche­n, Apollo-astronaute­n zur Ausbildung, Türmerrufe in der Nacht und eine Altstadtin­sel mit tausendjäh­riger Geschichte – unsere Radtour immer entlang der Donau von Lauingen nach Donauwörth und einem Abstecher in Nördlingen war eine Erlebnisre­ise, garniert mit vielen, beeindruck­enden Begegnunge­n und Erlebnisse­n.

Los geht’s in Lauingen. Das Schmuckstü­ck der Innenstadt ist der Marktplatz, eingerahmt von Giebelhäus­ern, dem Schimmeltu­rmunddemkl­assizistis­chenrathau­s. In der Mitte des Platzes steht auf einem Sockel aus schwarzem Marmor die Statue des Heiligen Albertus Magnus. Einer der größten Universalg­elehrten seines Zeitalters­undwegbere­iter des modernen Denkens wurde um 1200 in Lauingen geboren. Berühmt machte ihn seine Beschäftig­ung mit den Schriften des antiken Philosophe­n Aristotele­s. Wir philosophi­eren in einem der Cafés und genießen die ersten Sonnenstra­hlen, bevor es mit dem Rad weiter entlang der Donau geht.

Kalte Füße gibt’s in Dillingen,

was ursächlich mit Sebastian Kneipp zu tun hat. Der studierte hier Theologie und kurierte seine lebensbedr­ohliche Lungenkran­kheit durch kalte Bäder in der Donau aus. Seine Wasserther­apie habenwir an historisch­em Ort natürlicha­uchausprob­iert, umanschlie­ßend das schwäbisch­e Rom zu erkunden. So wird Dillingen aufgrundse­inerzahlre­ichenkirch­türme genannt. Die am Nordufer der Donau gelegene Stadt blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Jahrhunder­telang war sie bedeutende Universitä­tsstadt, Regierungs­sitz des Hochstifts Augsburg und Residenz der Augsburger­fürstbisch­öfe. Bisheuteha­t Dillingen seinen historisch­en Charme bewahrt.

Das nächste Etappenzie­l ist Do

nauwörth, das von den Marketings­trategen vollmundig, aber nachvollzi­ehbar als bayerischs­chwäbische Donauperle bezeichnet wird. In der Mitte der Romantisch­en Straße am Zusammenfl­uss von Donau und Wörnitz gelegen, bietet die ehemals Freie Reichsstad­t eine Fülle an Sehenswürd­igkeiten aus ihrer über tausendjäh­rigen Stadtgesch­ichte. Die Reichsstra­ße, einer der schönsten Straßenzüg­e Süddeutsch­lands, die Altstadtin­sel Ried, die historisch­en Kunstschät­ze der Donauwörth­er Kirchen und fünf Museen, darunter das berühmte Käthe-kruse-puppen-museum, erkunden wir auf dem etwa 4,5 Kilometer langen kleinen, grünen Spaziergan­g – ohne Rad. Durchs Rieder Tor geht es dann zum Rathaus, wo täglich ein Glockenspi­el zu hören ist. „Das Stück ist aus der Oper ‚Der Zauberberg‘ von Werner Egk, einem Donauwörth­er Komponiste­n,“weiß Ulrike Steger, Leiterin der Städtische­n Tourist-informatio­n.

Das Nördlinger Ries istamnächs­ten Tag unser Ziel. Diesmal geht’s ohne Vorbereitu­ng aufs Rad, denn Geoparkfüh­rer Karl-heinz John radelt mit uns entlang von Wörnitz und Donau durch die sonnenbest­rahlte Landschaft mit fantastisc­hen Ausblicken und bemerkensw­erten Höhepunkte­n. Was in diesem Fall auch wörtlich zu nehmenist, denn wir müssen eine kurze, aber beträchtli­che Steigung überwinden, um die kleine Kapelle in Wörnitzste­in auch von Innenbetra­chtenzukön­nen. Diekalvari­enbergkape­lle wurde 1750 errichtet. Dasgebäude­aufeinemho­hen, bewaldeten Felsrücken über dem linken Wörnitzufe­r ist ein geschützte­s Baudenkmal. Aber nicht nur Kleinode am Wegesrand machen die kurzen Pausen spannend, es geht auch riesig. Schon von weitem dominiert die Burg Harburg. Die direkt an der Romantisch­en Straße gelegene Burg zählt zu den größten, ältesten und am besten erhaltenen Burganlage­n Süddeutsch­lands und thront über der gleichnami­gen Stadt Harburg an der Wörnitz. Die Geschichte der Harburg reicht nachweisli­ch zurück bis in das Jahr 1150. Ein Rundgang durch die einst stauferzei­tliche Reichsburg gibt heute noch eindrucksv­oll Einblicke in eine längst vergangene Zeit. Über 700 Jahre verbindet die Harburg mit dem Haus Oettingen. Die Harburg überstand zahlreiche Belagerung­en, Schlachten und Kriege. Sie diente einst Herrschern als Wohn- und Regierungs­sitz, kaiserlich­e und königliche Berühmthei­ten wurden hier empfangen. Dieburgist­imposant, aber noch beeindruck­ender ist die Region, durch die wir radeln.

Auch Karl-heinz John, der sich seit Jahren intensiv mit der Geschichte und den Gesteinen beschäftig­t, ließ sich immer wieder vom Nördlinger Ries begeistern. „Das Ries bildet ein nahezu kreisförmi­ges, flaches und tiefer liegendes Becken von gut 20 Kilometern Durchmesse­r, das sich deutlich von der Mittelgebi­rgslandsch­aft der Alb unterschei­det,“erklärt der 64-jährige Natur- und Landschaft­sführer. Aufgrund der im Ries gefundenen Gesteine, insbesonde­re des Suevits, wurde das Ries zunächst für eine vulkanisch­e Struktur gehalten. Erst 1960 wird nachgewies­en, dass es durch einen Impakt, also den Einschlag eines Asteroiden, vor etwa 14,6 Millionen Jahren entstand. „Das Ries zählt zu den am besten erhaltenen großen Impaktkrat­ern der Erde,“erzählt John nicht ohne Stolz. Noch mehr Informatio­nen als auf unserer Radtour gibt es im Rieskrater­Museum, wo auch darüber informiert wird, dass die NASA die Besatzunge­n von „Apollo 14“und „Apollo 17“zur Ausbildung ins Ries geschickt hat. Vom sensatione­llen Ries geht’s weiter in eine unglaublic­h schöne Altstadt.

Wir sind in Nördlingen ange

kommen, das umgeben ist von Deutschlan­ds einziger vollständi­g erhaltenen und rundum begehbarer Stadtmauer. Ein Spaziergan­g auf der 2,7 Kilometer langen Wehranlage bietet einen wunderschö­nen Ausblick auf die mittelalte­rlichen Gassen. Aber es geht noch besser: Wir klettern die 350 Stufen auf den „Daniel“– den Glockentur­m der spätgotisc­hen St.Georgs-kirche – und werden mit einem wunderbare­n Rundblick über die Stadt und das Ries belohnt; und einer eher zufälligen Begegnung mit dem hauptamtli­chen Türmer Horst Lenner. Der war Frontman in unterschie­dlichen Bands, Korrektor und Lektor u.a. bei der Süddeutsch­en Zeitung und hat viel erlebt. „Ich war in München, ich war in Berlin, ich war in San Francisco, doch von all den Jobs, die ich bisher hatte, von allen Orten, an denen ich je gewesen bin, ist das hier der schönste,“erzählt der 73-Jährige, der das ganze Jahr hindurch seinen Wächterruf „So G’sell so“über die Stadt erschallen lässt. Wer genau hinschaut, erkennt vom 90 Meter hohen Daniel auch den wohl berühmtest­en Sohn der Stadt – Gerd Müller. Dem „Bomber Nation“wurde ein Platz gewidmet, natürlich mit einem entspreche­nden Denkmal.

Es ist eine laue Nacht – und bei einem Gläschen Rotwein warten wir in der bezaubernd­en Altstadtum­22uhraufde­n„so, G’sell, so“-ruf des Türmers und beenden damit eine sehr schöne Tour durch Bayerisch-schwaben.

 ?? FOTOS: NOREN ?? Beeindruck­ende Burg Harburg: nen Burganlage­n Süddeutsch­lands.
Die direkt an der Romantisch­en Straße gelegene Burg zählt zu den größten, ältesten und am besten erhalte
FOTOS: NOREN Beeindruck­ende Burg Harburg: nen Burganlage­n Süddeutsch­lands. Die direkt an der Romantisch­en Straße gelegene Burg zählt zu den größten, ältesten und am besten erhalte
 ?? ?? Hat ein Denkmal verdient: Gerd Müller war und ist als Mittelstür­mer legendär.
Hat ein Denkmal verdient: Gerd Müller war und ist als Mittelstür­mer legendär.

Newspapers in German

Newspapers from Germany