Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost
Von Astronauten und Türmern
Eine Tour durch Bayerisch-schwaben begeistert mit bezaubernden Städtchen, historischen Kulissen, bekannten Sehenswürdigkeiten, ungewöhnlichen Eindrücken, Natur pur – und dem einzigartigen Geopark Ries.
Der Wegbereiter des modernen Denkens, ein Schimmelturm als Wahrzeichen, Apollo-astronauten zur Ausbildung, Türmerrufe in der Nacht und eine Altstadtinsel mit tausendjähriger Geschichte – unsere Radtour immer entlang der Donau von Lauingen nach Donauwörth und einem Abstecher in Nördlingen war eine Erlebnisreise, garniert mit vielen, beeindruckenden Begegnungen und Erlebnissen.
Los geht’s in Lauingen. Das Schmuckstück der Innenstadt ist der Marktplatz, eingerahmt von Giebelhäusern, dem Schimmelturmunddemklassizistischenrathaus. In der Mitte des Platzes steht auf einem Sockel aus schwarzem Marmor die Statue des Heiligen Albertus Magnus. Einer der größten Universalgelehrten seines Zeitaltersundwegbereiter des modernen Denkens wurde um 1200 in Lauingen geboren. Berühmt machte ihn seine Beschäftigung mit den Schriften des antiken Philosophen Aristoteles. Wir philosophieren in einem der Cafés und genießen die ersten Sonnenstrahlen, bevor es mit dem Rad weiter entlang der Donau geht.
Kalte Füße gibt’s in Dillingen,
was ursächlich mit Sebastian Kneipp zu tun hat. Der studierte hier Theologie und kurierte seine lebensbedrohliche Lungenkrankheit durch kalte Bäder in der Donau aus. Seine Wassertherapie habenwir an historischem Ort natürlichauchausprobiert, umanschließend das schwäbische Rom zu erkunden. So wird Dillingen aufgrundseinerzahlreichenkirchtürme genannt. Die am Nordufer der Donau gelegene Stadt blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Jahrhundertelang war sie bedeutende Universitätsstadt, Regierungssitz des Hochstifts Augsburg und Residenz der Augsburgerfürstbischöfe. Bisheutehat Dillingen seinen historischen Charme bewahrt.
Das nächste Etappenziel ist Do
nauwörth, das von den Marketingstrategen vollmundig, aber nachvollziehbar als bayerischschwäbische Donauperle bezeichnet wird. In der Mitte der Romantischen Straße am Zusammenfluss von Donau und Wörnitz gelegen, bietet die ehemals Freie Reichsstadt eine Fülle an Sehenswürdigkeiten aus ihrer über tausendjährigen Stadtgeschichte. Die Reichsstraße, einer der schönsten Straßenzüge Süddeutschlands, die Altstadtinsel Ried, die historischen Kunstschätze der Donauwörther Kirchen und fünf Museen, darunter das berühmte Käthe-kruse-puppen-museum, erkunden wir auf dem etwa 4,5 Kilometer langen kleinen, grünen Spaziergang – ohne Rad. Durchs Rieder Tor geht es dann zum Rathaus, wo täglich ein Glockenspiel zu hören ist. „Das Stück ist aus der Oper ‚Der Zauberberg‘ von Werner Egk, einem Donauwörther Komponisten,“weiß Ulrike Steger, Leiterin der Städtischen Tourist-information.
Das Nördlinger Ries istamnächsten Tag unser Ziel. Diesmal geht’s ohne Vorbereitung aufs Rad, denn Geoparkführer Karl-heinz John radelt mit uns entlang von Wörnitz und Donau durch die sonnenbestrahlte Landschaft mit fantastischen Ausblicken und bemerkenswerten Höhepunkten. Was in diesem Fall auch wörtlich zu nehmenist, denn wir müssen eine kurze, aber beträchtliche Steigung überwinden, um die kleine Kapelle in Wörnitzstein auch von Innenbetrachtenzukönnen. Diekalvarienbergkapelle wurde 1750 errichtet. Dasgebäudeaufeinemhohen, bewaldeten Felsrücken über dem linken Wörnitzufer ist ein geschütztes Baudenkmal. Aber nicht nur Kleinode am Wegesrand machen die kurzen Pausen spannend, es geht auch riesig. Schon von weitem dominiert die Burg Harburg. Die direkt an der Romantischen Straße gelegene Burg zählt zu den größten, ältesten und am besten erhaltenen Burganlagen Süddeutschlands und thront über der gleichnamigen Stadt Harburg an der Wörnitz. Die Geschichte der Harburg reicht nachweislich zurück bis in das Jahr 1150. Ein Rundgang durch die einst stauferzeitliche Reichsburg gibt heute noch eindrucksvoll Einblicke in eine längst vergangene Zeit. Über 700 Jahre verbindet die Harburg mit dem Haus Oettingen. Die Harburg überstand zahlreiche Belagerungen, Schlachten und Kriege. Sie diente einst Herrschern als Wohn- und Regierungssitz, kaiserliche und königliche Berühmtheiten wurden hier empfangen. Dieburgistimposant, aber noch beeindruckender ist die Region, durch die wir radeln.
Auch Karl-heinz John, der sich seit Jahren intensiv mit der Geschichte und den Gesteinen beschäftigt, ließ sich immer wieder vom Nördlinger Ries begeistern. „Das Ries bildet ein nahezu kreisförmiges, flaches und tiefer liegendes Becken von gut 20 Kilometern Durchmesser, das sich deutlich von der Mittelgebirgslandschaft der Alb unterscheidet,“erklärt der 64-jährige Natur- und Landschaftsführer. Aufgrund der im Ries gefundenen Gesteine, insbesondere des Suevits, wurde das Ries zunächst für eine vulkanische Struktur gehalten. Erst 1960 wird nachgewiesen, dass es durch einen Impakt, also den Einschlag eines Asteroiden, vor etwa 14,6 Millionen Jahren entstand. „Das Ries zählt zu den am besten erhaltenen großen Impaktkratern der Erde,“erzählt John nicht ohne Stolz. Noch mehr Informationen als auf unserer Radtour gibt es im RieskraterMuseum, wo auch darüber informiert wird, dass die NASA die Besatzungen von „Apollo 14“und „Apollo 17“zur Ausbildung ins Ries geschickt hat. Vom sensationellen Ries geht’s weiter in eine unglaublich schöne Altstadt.
Wir sind in Nördlingen ange
kommen, das umgeben ist von Deutschlands einziger vollständig erhaltenen und rundum begehbarer Stadtmauer. Ein Spaziergang auf der 2,7 Kilometer langen Wehranlage bietet einen wunderschönen Ausblick auf die mittelalterlichen Gassen. Aber es geht noch besser: Wir klettern die 350 Stufen auf den „Daniel“– den Glockenturm der spätgotischen St.Georgs-kirche – und werden mit einem wunderbaren Rundblick über die Stadt und das Ries belohnt; und einer eher zufälligen Begegnung mit dem hauptamtlichen Türmer Horst Lenner. Der war Frontman in unterschiedlichen Bands, Korrektor und Lektor u.a. bei der Süddeutschen Zeitung und hat viel erlebt. „Ich war in München, ich war in Berlin, ich war in San Francisco, doch von all den Jobs, die ich bisher hatte, von allen Orten, an denen ich je gewesen bin, ist das hier der schönste,“erzählt der 73-Jährige, der das ganze Jahr hindurch seinen Wächterruf „So G’sell so“über die Stadt erschallen lässt. Wer genau hinschaut, erkennt vom 90 Meter hohen Daniel auch den wohl berühmtesten Sohn der Stadt – Gerd Müller. Dem „Bomber Nation“wurde ein Platz gewidmet, natürlich mit einem entsprechenden Denkmal.
Es ist eine laue Nacht – und bei einem Gläschen Rotwein warten wir in der bezaubernden Altstadtum22uhraufden„so, G’sell, so“-ruf des Türmers und beenden damit eine sehr schöne Tour durch Bayerisch-schwaben.