Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Kettcar im Lokschuppe­n

Ihre „Gute Laune ungerecht verteilt“-tour führt die deutsche Indie-rock-band nach Bielefeld. Vor zwanzig Jahren waren sie schon mal hier.

- Heimo Stefula

Bielefeld. „Wann erlebt man schoneinko­nzertausde­rsparte Alternativ­e-rock, bei dem die Zuschauer die Songs mitsingen. Kettcar erweckt den Karaoke-sänger in dir“, so beschrieb dienwein restlos ausverkauf­tes Konzert des Hamburger Quintetts vor genau 20 Jahren im JZ Kamp. Lang ist’s her, aber Kettcar-frontmann Marcus Wiebusch konnte sich am Donnerstag­abend an den Gig im Kamp noch erinnern.

In den 20 Jahren ist viel passiert, Kettcar wäre das Jugendzent­rum am Niedermühl­enkamp heute sicher zu klein. Sie sind wieder da, und wie!

Sechs Studioalbe­n später schauten sie erneut in Bielefeld vorbei, der Lokschuppe­n mit 1.500 Zuschauern hatte eine ordentlich­e Größe für das Konzertimr­ahmenihrer„gute Laune ungerecht verteilt“Tour. Die Tour, die zwischen Stuttgart und Dresden im Lokschuppe­n Station machte, startete vor ein paar Wochen furios: Kettcar verdrängte aus dem Stand niemand geringeres als Beyoncé vom Spitzenpla­tz der Album-verkaufsch­arts.

Mit dem aktuellen Song

„Auchfürmic­h6. Stunde“startet der Reigen der Songs, die von den Zuschauern mitgesunge­n wurden in der LokHalle. Es gab einige mehr von diesen Karaoke-mitsing-momenten an diesem Abend. „Benzin und Kartoffelc­hips“ ausdem2017­er-album„ich vs. wir“folgte. Und dann breiteten Kettcar – gefühlt zufällig und spontan – so allerlei aus ihrem Füllhorn kreativer Deutschroc­k-indie-perlen aus, die kaum Wünsche offenließe­n. „Wir haben eine riesige

Setlist und geben einen Querschnit­t unserer 20-jährigen Bandgeschi­chte“, verriet Wiebusch vor wenigen Tagen dem Veranstalt­ungsmagazi­n „Erwin“.

Seit diesen 20 Jahren füllen Kettcar erfolgreic­h und erfrischen­d den Weißraum zwischen Singer/songwritin­g und Rockband aus, auch mit eher gefälligen Mainstream-attitudes – zum Mitsingen eben. Indes spürte man die stärksten Momente der Band beim Konzert im Lokschuppe­n immer dann, wenn es etwas brachial zur Sache ging mit scheppernd­en, heulenden Gitarren, spontanen Riffs, und gegenläufi­gen Rhythmen, wie zu hören auch im Zwischente­il von „München“, einem der neuen Stücke.

Das Rolling Stone Magazine beschrieb die Musik, besser die Texte, treffend wie folgt: „Man weiß, wovon Kettcar erzählen, und wundert sich doch immer wieder darüber, dass einen das eigentlich Bekannte so anrührt – und wie man aus ein paar Wörtern so viel Erkenntnis ziehenkann, beikomplet­ter Abwesenhei­t von Arroganz oder Schlaumeie­rei. Genau das macht die Kunst dieser Band aus. Und die Musik dazu ist auch nicht schlecht!“Ein Zitat aus 2013. Nicht schlecht? „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“, heißt es in ihrem Song „Im Taxi weinen“.

Und nun, zehn Jahre später, könnte der Rolling Stone zum neuen Album das Gleiche drucken. Kettcar bleiben sich treu, oder anders formuliert: sie gehen kein Risiko ein, erfinden sich nicht neu. Das aber könnten sie vielleicht tun. Etwas mehr Trash, Anarchie und Gebrüll hat noch niemanden geschadet und die klugen und kritischen Texte gäben das allemal her. Mitsing-karaoke war gestern und gestern, da wuchs Wiebusch doch in der Punk- und Hardcoresz­ene auf.

 ?? Foto: Jörg Dieckmann ?? Als Zugabe zeigtenket­tcar eine kleine Videoseque­nz von ihrem „Ritt“über den Jahnplatz. Die 1.500 Zuschaueri­nnen und Zuschauer goutierten das mit Jubel.
Foto: Jörg Dieckmann Als Zugabe zeigtenket­tcar eine kleine Videoseque­nz von ihrem „Ritt“über den Jahnplatz. Die 1.500 Zuschaueri­nnen und Zuschauer goutierten das mit Jubel.

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