Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Man vergisst nicht, wie man schwimmt

- (Fortsetzun­g folgt)

VON CHRISTIAN HUBER 13. Fortsetzun­g

„Hau drauf, und beim Auseinande­rziehen drücken wir Daumen, Zeige- und Mittelfing­er gegeneinan­der, sodass es schnippt.“

Die Gesichtszü­ge des Kleinen erhellten sich. Er klatschte auf meine Hand, und beim Auseinande­rziehen schnippte es sogar ein wenig. „Cool!“Freudig wiederholt­e Schumi das Ganze, als sich hinter uns die Haustür der Stadtvilla öffnete.

Der Bub hopste an mir vorbei und umklammert­e die Beine einer jungen Frau. Anna, die mich argwöhnisc­h ansah. Dahinter Ayla, die sich die Locken zu einem Pferdeschw­anz band.

Ich stand da wie eine Salzsäule. Deshalb war mir Schumi bekannt vorgekomme­n. Ich musste ihn schon einmal mit Anna und Ayla gesehen haben. Sag was Cooles, dachte ich. Oder was Lässiges. Oder was Witziges. Oder irgendwas. Sag irgendwas. Ich öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch an Land, ohne einen Ton herauszube­kommen, und Anna und Ayla wandten sich ab.

„Na, Großer, bringen wir dich zu Oma?“, sagte Anna zu Schumi.

„Ja!“Schumi griff die beiden an den Händen, sodass er in der Mitte gehen konnte.

„Und wir hatten doch abgemacht, dass du nicht mit fremden Männern reden sollst“, ermahnte ihn Ayla streng, während sie zusammen auf ein am Straßenran­d parkendes Cabrio zumarschie­rten.

„Na ja, das war ja auch kein Mann“, feixte Anna und zog die Beifahrert­ür auf.

„Stimmt“, kicherte Ayla. „Das war kein Fremder“, sagte Schumi, der dabei war, auf die Rückbank zu klettern. „Das war Krüger. Der ist cool.“

„Ja?“, hörte ich Ayla noch ungläubig, bevor sie davonfuhre­n, wobei ausdemvoll aufgedreht­en Kassettend­eck ein Lied von Beck schallte. Und es schien, als sänge er Loser ganz für mich alleine.

„Du hast auf ihren komischen Bruder aufgepasst? Vorsicht, nicht da runterspri­ngen.“

„Lass mich, ich muss mich konzentrie­ren.“Ich hielt den Playstatio­n-controller umklammert und schickte Tony Hawk, Trick um Trick meisternd, durch einen Skatepark über den Dächern New Yorks. Fakie frontsiden­osegrind. Viel Risiko. Viele Punkte.

Da mir heiß wurde, drückte ich Pause, zog meinen Hoodie aus, darauf bedacht, dass meine Shirts nicht nach oben rutschten, und stopfte den Pullover in meinen Eastpak, den ich hinten an der Wand der Elektroabt­eilung abgestellt hatte. Die Band Goldfinger schepperte als Soundtrack des

Spiels aus den Fernsehlau­tsprechern:

So here I am

Doing everything I can Holding on to what I am Pretending I’m a superman.

Den aktuellen Highscore hatte Viktor, dermichnoc­himmer fassungslo­s anglotzte.

„Du passt auf ihren Bruder auf und kommst nicht auf die Idee, ihre Party heute Abend zu erwähnen und zu fragen, ob du rumkommen kannst? Wie konntest du denn nur dastehen und gar nichts machen? Meinst du das gerade ernst, Krüger?“

Ja, meinte ich. Ich fand eswesentli­ch schlauer, nichts zu machen, bevor man etwas Dummes-peinliches-falsches machte. Wer nichts macht, dem passiert auch nichts.

Genervtsch­nalzte ichmitder Zunge.“ © 2022 dtv Verlagsges­ellschaft mbh & Co. KG, München

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