Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Ost

Neue Westfälisc­he

- Heimo Stefula

Bielefeld. Mina Richman hat viele Facetten: Im Hochsommer 2022 stand sie allein mit ihrer Gitarre auf einer Pop-upBühne auf dem Siegfriedp­latz und spielte vor ein paar Handvoll Leuten bei einem Festival der Initiative „Seebrücke“melancholi­sche Lieder. Diesesmal hatte sie ihre Band dabei und zwanzig Auftritte im Rahmen ihrer „Grown up“-releaseTou­r durch ganz Deutschlan­d hinter sich. Ihr Gig im Forum war der Größte und auch der letzte Tour-termin.

Vorknappzw­ei Jahren stand Mina Richman auf der Bühne, ohne zu lächeln, zu tanzen oder irgendwelc­he Faxen zu machen. Dem Anlass entspreche­nd: Es ging darum, Aufmerksam­keit schaffen für Geflüchtet­e, die im Mittelmeer auf Seelenverk­äufern „Tod durch Ertrinken“droht. Ihr Gesang tief unter die Haut. Ganz anders ihr Auftritt bei einer Sat-1-talentshow. Dort sorgte sie für ausgelasse­ne Stimmung mit dem Partyhit „(Hey) Nah Neh Nah“. „Du bist ’n Girlboss“, sagte ein TVJuror seinerzeit. „Den Song sing’ ich fürmeinenp­apa“, moderierte die damals 23-jährige Mina ihren Auftritt selbst an.

Und dieser Papa stand im Pulk der 600 Zuschaueri­nnen und Zuschauern, die Mina Richman jetzt im ausverkauf­ten Forum Bielefeld abfeierten. Ergriffen, begeistern­d klatschend und – soweit man das im Saaldunkel erkennen konnte– mit Pipi in den Augen, verriet der stolze Vater: „Das hier ist erst das zweite Konzert von ihr, das ich besuche.“

Im Forum zeigte Mina Richman alle Facetten, die sie hat: die melancholi­sch-sentimenta­le, die fröhliche und unbekümmer­te, die selbstbest­immte undunabhän­gigeund ja, natürlich ist sie als „Girlboss“der Fokus, auf dem sich alle Blicke richteten. Auf ihre Band konnte sie sich in jeder Phase verlassen: ein harmonisch aufspielen­des Team, dem sie bei einem Song eine kleine Pause gönnte.

„Baba Said“– ein Lied wie ein Monument, gewidmet den iranischen Frauen, die bis heute vommullah-regime in dem persischen Land unterdrück­t werden. Ein Lied, inspiriert vom gewaltsame­n Tod einer jungenkurd­in, die sich imiran weigerte, ein Kopftuch zu tragen.

„Wäre sie noch am Leben, würde sie sagen: Reißes runter, schmeißes ins Feuer und schau zu, wie es brennt, so wie alles, was sie uns weggenomme­n haben, die Freiheit, zu lieben, ... glauben sie wirklich, wir würden nicht kämpfen?“, heißt es in der Ballade. Der Protestson­g „Baba Said“wurde millionenf­ach auf der ganzen Welt in den sozialen Medien geteilt und angeklickt. Er ist eine Art Freiheitsh­ymne geworden. „Ich habe keinen Bock mehr auf den Song, aber ich spiele ihn so lange, bis das iranische Regime gestürzt ist“, erklärt Mina.

Man sah und spürte bei ihrem Tour-finale im Forum, dass sie gelöst, ausgelasse­nund locker war, grad’ so, als ob eine Last von ihr gefallenwä­re, vielleicht war es aber auch nur Heimspiel-freude. Nichts mehr war zu erkennen von der gedankenve­rlorenen Schüchtern­heit auf dem Siggi. Ihre sechswöchi­ge Tour sei sehr gut gelaufen, sagt Cayan Cankatli vom lokalenver­anstalter, dem Kulturkomb­inat Kamp.

Natürlich präsentier­te Mina Richman nicht nur die Stücke ihrer ersten LP „Grown up“, sondern auch Lieder von „Jaywalker“, ihrerepvon­2022. So auch das poppig-sentimenta­le Titelstück mit OhrwurmGef­ahr oder „Bad Girls“, ein Stückzummi­twippenund­fingerschn­ippen. Beim aktuellen Titelstück bewiessie sogar, dass sie rappen kann.

Bei fast allen Liedern hörte man einen bluesig-jazzigen Unterton heraus, vorgetrage­n mal mit Lebensfreu­de, oft aber auchmitzer­brechlichk­eit. Wie gesagt: viel Facetten.

Derwegvon „Girlboss“Mina, die nicht nur eine fantastisc­hestimmemi­thohemwied­ererkennun­gspotenzia­l hat, sondern auch ein feines Gespür fürs Songwritin­g, kann nur weiter nach oben führen.

Im Sommer nimmt Mina Richmanein paar Festivals mit, in der Nähe ihrer Wahlheimat steht die Deutsch-iranerin dann erst wieder im September in Oerlinghau­sen im Soziokultu­rellen Zentrum Knup auf der Bühne.

Anschrift für Redaktion und Verlag: Zeitungsve­rlag NEUE WESTFÄLISC­HE Gmbh & Co. KG, 33602 Bielefeld, Niedernstr­aße 21–27, Pressehaus, Postfach 10 02 25, 33502 Bielefeld, Telefon (05 21) 5 55-0, Telefax 5 55-3 48 und -3 49.

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Foto: Peter Unger

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