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„Wir Kreative tragen Verantwortung“
„Ich wusste nicht, wie ich dieses Monster spielen sollte“– Serienstar Jonas Nay über Dreharbeiten in Ss-uniform, seine Verkörperung des Bösen in der Holocaustserie „The Tattooist of Auschwitz“und die Umfrageerfolge der AFD.
Herr Nay, wie ist das, als deutscher Schauspieler in eine SSUniform zu schlüpfen und einen Nazi zu spielen?
Jonas Nay: Es ist ein sehr beklemmendes Gefühl, eine Nazi-uniform anzuziehen, in diesem Fall die eines SS-SOLdaten, der in Auschwitz als Blockführer tätig war. Ich habe an vielen Drehtagen als Einziger in Uniform und Stiefeln das Set in der Nähe Bratislavas betreten, das dem Konzentrationslager sehr authentisch nachgebaut war, während die anderen Schauspieler Häftlingskleidung trugen. Es war eine unheimliche Last, die ich da auf den Schultern spürte. Ich habe nach den Dreharbeiten lange gebraucht, diese Verkörperung des Bösen ganz abzustreifen und wieder frei atmen zu können.
Die Serie „The Tattooist of Auschwitz“basiert auf der wahren Geschichte des slowakischen Juden Lale Sokolov, der in Auschwitz Mitgefangenen die Häftlingsnummer eintätowieren musste und dabei die Liebe seines Lebens fand. Kannten Sie Sokolovs Roman-autobiografie, die ein Bestseller ist?
Ja, ich kannte das Buch, bevor ich die Anfrage für die Serie bekommen habe, und ich wussteauchumdie Rolle Stefanbaretzkis in dieser Geschichte.
Der von Ihnen gespielte Stefan Baretzki ist eine historische Figur, er war Wachmann in Auschwitz-birkenau und wurde 1965 im ersten Frankfurter AuschwitzProzess wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
Es gibt Aufnahmen von ihm aus dem Frankfurter Gerichtsprozess. Da kann man sich anhören, wie er versucht, sich zu verteidigen und davon überzeugt ist, dass seine Gräueltaten eine Legitimation hatten, wie er die Verantwortung abschiebt. Die ganze Banalität des Bösen. Wenn man sich dann Aufnahmen von HolocaustÜberlebenden über die sadistischen, tödlichen Spiele anhört, die Stefan Baretzki mit den Inhaftierten trieb, ergibt das zusammen ein verstörendes Bild.
Hattensie anfangszweifel, ob Sie wirklich den sadistischen Ss-mann verkörpern wollen, der so schreckliche Verbrechen begeht?
Ob ich es wollte stand für mich eigentlich weniger zur Debatte. Gerade hat ja eine Studie ergeben, dass 22 Prozent der 14bis 29-Jährigen AFD wählen würden, eine Partei, die unsere deutsche Geschichte verharmlost. Dafühle ich eine große Verantwortung, dass solche Stoffe erzählt werden, und um das zu tun, spiele ich auch einen real existierenden SSMann. Allerdings wusste ich lange Zeit nicht, wie ich dieses Monster spielen sollte. Ich kam immer wieder an Punkte, wo ich mir gesagt habe: Ich kann das nicht.
Was hat Ihnen über diese Momente hinweggeholfen?
Ich habe mich mit Heather Morris getroffen, der Autorin derromanvorlage, der Lale Sokolov seine Lebenserinnerungen erzählt hatte. Sie hat mir in einer sehr langen Session anvertraut, was Sokolov ihr über Stefan Baretzki erzählt hatte. Er war wohl auf der Suche nach einem Rest von Menschlichkeit in sich und hat Sokolov bewundert als jemanden, der es schaffte, an diesem unmenschlichen Ort Dinge wie Humor, Zuneigung, Liebe zu empfinden. Er hat deshalb versucht, Lale an sich zu binden, eine unmögliche Freundschaft herzustellen, und das war mit ein Grund, warum Lale und seine spätere Ehefrau Gita das KZ Auschwitz überlebt haben.
Muss man als Schauspieler aufpassen, dass man einen
Nazi nicht als Zerrbild anlegt?
Eine der Grundmessages der Regisseurin an mich war: Wir dürfen kein eindimensionales Stereotyp zeichnen. Ich habe versucht, Baretzki als Menschen zu zeigen, der unberechenbar ist und viele Gesichter hat. Natürlich wollte ich auf gar keinen Fall Sympathie erwecken, ich wollte auch keine Rechtfertigung oder Verständnis erzielen. Aber es wird der deutschen Geschichte nicht gerecht, wenn wir die Täter als Figuren zeichnen, die keine menschlichen Facetten in sich tragen. Denn es waren ja Menschen, die all dieseunmenschlichen Dinge getan haben. Das müssen wir zeigen, so verstörend das auch ist.
Wiewurdedafür gesorgt, dass die Dreharbeiten nicht traumatisierend auf die Beteiligten wirken?
Wir hatten Intimitätscoaches für alle Szenen, die mit Nacktheit zu tun hatten. Daswarzum Beispiel für die Komparsen wichtig, die als nackte Häftlinge zu sehen sind. Darüber hinaus gab es am Set psychologische Unterstützung, da konnte man in Vieraugengesprächen über alles reden. Für viele Crewmitglieder war das alles ja wirklich belastend. Es war ein Cast mit vielen Israelis und Menschen, die in ihrer Familie das Holocaust-trauma tragen. Die Regie hatte einen jüdischen Background, der Kameramann, meine Spielpartner wie Harvey Keitel. Dass ich als Deutscher da reinkomme, um diese Rolle zu verkörpern, das war emotional nicht leicht.
Was für einen Background haben Sie selber denn? Ehrlich gesagt kann ich über die Rolle meiner Urgroßeltern während des Zweiten Weltkrieges nichts sagen, da sie darüber nie gesprochen haben.
Können Sie es verstehen, wenn manche deutsche Schauspieler sagen, sie wollen keine Nazis spielen?
Also mir persönlich hat das noch kein Kollege gesagt. Mich selber treibt das Thema einfach um. Es ist mir unverständlich, dass wir in einem Land mit unserer Geschichte eine junge Wählerschaft haben, die eine zum Teil rechtsradikale Partei wählen würde. Viele junge Menschen wissen erschreckend wenig über die deutsche Vergangenheit. Ich habe das Gefühl, dass wir als Kreative die Verantwortung haben, das zu ändern. Dafür setze ich mich als Schauspieler ein, das ist mir ein Anliegen. Es wird nie der Punkt kommen, an dem wir genug Stoffe über das Dritte Reich, den Holocaust, unsere NaziVergangenheit gemacht haben. Es gibt unendlich viele Schicksale, die erzählt werden sollten.
Wie war es eigentlich, mit Superstar Harvey Keitel zu drehen, der in der Rahmenhandlung den betagten Lale Sokolov spielt?
Harvey ist eine echte Legende, ich hatte am Anfang wirklich meine Momente, wo ich mich bewusst aus meiner Fan-boyHaltung entfernen musste. Er war wahnsinnig wohlwollend und respektvoll, er hat es mir wirklich leicht gemacht.
Das Gespräch führte Cornelia Wystrichowski