Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd
Die Sozialdemokraten haben große Bauchschmerzen, den Kompromiss der Union für eine härtere Zuwanderungspolitik mitzutragen. Auch weil viele ihn für untauglich halten
■ Berlin. Außenminister Heiko Maas steht eingequetscht im Aufzug, 7.25 Uhr im Bundestag, die nächste Sondersitzung der SPD-Fraktion steht an. Es geht nach oben, dicht gedrängt. Jemand meint: „Das ist ja ein geschlossenes Transitzentrum hier.“Martin Schulz, der gerne Außenminister geworden wäre, grinst. Maas verzieht dagegen keine Miene. Die Lage ist ernst.
Schon zum zweiten Mal kommen die 153 SPD-Bundestagsabgeordneten und Minister zu einer Sondersitzung in dieser Woche zusammen. Man will nicht einfach so hinnehmen, dass die Union nach ihren Drama-Tagen zur Tagesordnung übergeht. Viele finden es dreist, wie nun die SPD einer Lösung zustimmen soll, die für die meisten keine ist. Und dass das Theater am Ende nur einen Gewinner haben wird: die AfD.
„Die Kollegen werden für ihren Anschlag auf die Demokratie einen hohen Preis zahlen“, orakelt SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan mit Blick auf Horst Seehofer und Co. Die CSU habe die Kanzlerin erpresst, „für drei Punkte in einem Papier, die keine Lösung bringen“. Der CSU-Chef hatte mit Rücktritt gedroht und Merkel zu einem Asylkompromiss bewegt, der nichts wert ist ohne eine Zustimmung des Koalitionspartners SPD.
Soll man etwas mitmachen, was aus Sicht vieler Quatsch ist? Hunderte Politiker und Regierungsmitarbeiter werden in Beschlag genommen, um den Unionskompromiss für eine schnellere Rückführung von einigen Asylbewerbern an drei Grenzübergängen in ein praxistaugliches Konzept zu gießen.
Dabei geht es um eine sehr überschaubare Gruppe an Menschen: Nur um diejenigen, die schon in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben. In Bayern sind das bisher rund fünf Fälle am Tag – gut möglich, dass am Ende kaum jemand in die nun heiß diskutierten, von der Union zur Lösung erkorenen Transitzentren kommt. Es dürfte sich rasch herumsprechen, welche Übergänge man besser meiden sollte.
In den Transitzentren soll nach Paragraf 18a des Asylgesetzes das „Flughafenverfahren“zur Anwendung kommen. Dabei bleibt im Flughafen-Transitbereich, wer keine gültigen Papiere hat. „Es ist weder eine Haft, noch ist da von Stacheldraht oder ähnlichem die Rede. Das ist ein Aufenthalt, der längstens 48 Stunden dauern kann nach unserem Grundgesetz“, sagt Seehofer.
Denn Paragraf 18a besagt, dass die Einreise am Flughafen gestattet werden muss, wenn nicht binnen zwei Tagen über einen Asylantrag entschieden worden ist. Doch erst einmal braucht es die Bereitschaft anderer EU-Staaten zur Rücknahme der Menschen, und eine Übereinkunft mit Österreich – und anders als von der CSU erhofft, bremst Kanzler Sebastian Kurz bisher. Ironie am Rande: Seehofer muss die Abkommen aushandeln.
Es gehe um „Peanuts-Zahlen von Flüchtlingen“, wettert Ex-SPD-Chef Schulz. Es sei unverantwortlich, tagelang sich für so etwas aufzureiben, während der Chef der Welthandelsorganisation vor einem Einbruch des Welthandels um 60 Prozent warnt – wegen der von US-Präsident Donald Trump angezettelten Handelskonflikte. Das sei das wahre Problem für Deutschland.
Für die SPD gibt es eine klare rote Linie. „Es wird mit uns keine geschlossenen Lager geben“, sagt die Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles. Eine Option könnten Gebäude und Unterkünfte der Bundespolizei sein, von wo die Betroffenen nach maximal einer Übernachtung wieder zurückgeschickt werden.
Der Unionskonflikt verdeckt: Auch die SPD ist tief gespalten – an der Basis fordern viele eine Verschärfung der Asylpolitik. Zugleich droht Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz intern Ärger, wenn sie den Kompromiss zu schnell abnicken. Womöglich fordern sie im Gegenzug, dass ein geplantes Einwanderungsgesetz ähnlich dem in Kanada schneller kommt, um Maßnahmen gegen den zunehmenden Fachkräftemangel zu ergreifen.
Heute werden Merkel und Seehofer erneut mit der SPD verhandeln. Nahles wollte Ende der Woche eigentlich in den Urlaub starten. Auf sie wächst der Druck, Härte zu zeigen; schließlich haben CDU und CSU etwas vereinbart, was nicht im Koalitionsvertrag steht. Aber wegen ein paar Fällen alles platzen lassen? Wohl kaum. Doch klar ist: Die Koalitionsehe ist in diesen Tagen noch brüchiger geworden.