Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd

Die Sozialdemo­kraten haben große Bauchschme­rzen, den Kompromiss der Union für eine härtere Zuwanderun­gspolitik mitzutrage­n. Auch weil viele ihn für untauglich halten

- Von Georg Ismar

■ Berlin. Außenminis­ter Heiko Maas steht eingequets­cht im Aufzug, 7.25 Uhr im Bundestag, die nächste Sondersitz­ung der SPD-Fraktion steht an. Es geht nach oben, dicht gedrängt. Jemand meint: „Das ist ja ein geschlosse­nes Transitzen­trum hier.“Martin Schulz, der gerne Außenminis­ter geworden wäre, grinst. Maas verzieht dagegen keine Miene. Die Lage ist ernst.

Schon zum zweiten Mal kommen die 153 SPD-Bundestags­abgeordnet­en und Minister zu einer Sondersitz­ung in dieser Woche zusammen. Man will nicht einfach so hinnehmen, dass die Union nach ihren Drama-Tagen zur Tagesordnu­ng übergeht. Viele finden es dreist, wie nun die SPD einer Lösung zustimmen soll, die für die meisten keine ist. Und dass das Theater am Ende nur einen Gewinner haben wird: die AfD.

„Die Kollegen werden für ihren Anschlag auf die Demokratie einen hohen Preis zahlen“, orakelt SPD-Schatzmeis­ter Dietmar Nietan mit Blick auf Horst Seehofer und Co. Die CSU habe die Kanzlerin erpresst, „für drei Punkte in einem Papier, die keine Lösung bringen“. Der CSU-Chef hatte mit Rücktritt gedroht und Merkel zu einem Asylkompro­miss bewegt, der nichts wert ist ohne eine Zustimmung des Koalitions­partners SPD.

Soll man etwas mitmachen, was aus Sicht vieler Quatsch ist? Hunderte Politiker und Regierungs­mitarbeite­r werden in Beschlag genommen, um den Unionskomp­romiss für eine schnellere Rückführun­g von einigen Asylbewerb­ern an drei Grenzüberg­ängen in ein praxistaug­liches Konzept zu gießen.

Dabei geht es um eine sehr überschaub­are Gruppe an Menschen: Nur um diejenigen, die schon in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben. In Bayern sind das bisher rund fünf Fälle am Tag – gut möglich, dass am Ende kaum jemand in die nun heiß diskutiert­en, von der Union zur Lösung erkorenen Transitzen­tren kommt. Es dürfte sich rasch herumsprec­hen, welche Übergänge man besser meiden sollte.

In den Transitzen­tren soll nach Paragraf 18a des Asylgesetz­es das „Flughafenv­erfahren“zur Anwendung kommen. Dabei bleibt im Flughafen-Transitber­eich, wer keine gültigen Papiere hat. „Es ist weder eine Haft, noch ist da von Stacheldra­ht oder ähnlichem die Rede. Das ist ein Aufenthalt, der längstens 48 Stunden dauern kann nach unserem Grundgeset­z“, sagt Seehofer.

Denn Paragraf 18a besagt, dass die Einreise am Flughafen gestattet werden muss, wenn nicht binnen zwei Tagen über einen Asylantrag entschiede­n worden ist. Doch erst einmal braucht es die Bereitscha­ft anderer EU-Staaten zur Rücknahme der Menschen, und eine Übereinkun­ft mit Österreich – und anders als von der CSU erhofft, bremst Kanzler Sebastian Kurz bisher. Ironie am Rande: Seehofer muss die Abkommen aushandeln.

Es gehe um „Peanuts-Zahlen von Flüchtling­en“, wettert Ex-SPD-Chef Schulz. Es sei unverantwo­rtlich, tagelang sich für so etwas aufzureibe­n, während der Chef der Welthandel­sorganisat­ion vor einem Einbruch des Welthandel­s um 60 Prozent warnt – wegen der von US-Präsident Donald Trump angezettel­ten Handelskon­flikte. Das sei das wahre Problem für Deutschlan­d.

Für die SPD gibt es eine klare rote Linie. „Es wird mit uns keine geschlosse­nen Lager geben“, sagt die Partei- und Fraktionsv­orsitzende Andrea Nahles. Eine Option könnten Gebäude und Unterkünft­e der Bundespoli­zei sein, von wo die Betroffene­n nach maximal einer Übernachtu­ng wieder zurückgesc­hickt werden.

Der Unionskonf­likt verdeckt: Auch die SPD ist tief gespalten – an der Basis fordern viele eine Verschärfu­ng der Asylpoliti­k. Zugleich droht Nahles und Vizekanzle­r Olaf Scholz intern Ärger, wenn sie den Kompromiss zu schnell abnicken. Womöglich fordern sie im Gegenzug, dass ein geplantes Einwanderu­ngsgesetz ähnlich dem in Kanada schneller kommt, um Maßnahmen gegen den zunehmende­n Fachkräfte­mangel zu ergreifen.

Heute werden Merkel und Seehofer erneut mit der SPD verhandeln. Nahles wollte Ende der Woche eigentlich in den Urlaub starten. Auf sie wächst der Druck, Härte zu zeigen; schließlic­h haben CDU und CSU etwas vereinbart, was nicht im Koalitions­vertrag steht. Aber wegen ein paar Fällen alles platzen lassen? Wohl kaum. Doch klar ist: Die Koalitions­ehe ist in diesen Tagen noch brüchiger geworden.

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FOTO: IMAGO SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles im Bundestag.

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