Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd

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Von Hans Meyer zu Düttingdor­f mit Juan Carlos Risso Folge 121

Drüske schaute sie erleichter­t an.

„Hören Sie!“Er schaute sich nach allen Seiten um, „ich bin doch auf Ihrer Seite. Schon unserer Töchter wegen. Charlottch­en würde es mir nie verzeihen, wenn Ihnen etwas geschieht. Ich will Ihnen doch helfen.“

„Ach, was können Sie schon tun? Himmler hat die Entjudung gefordert. Ist das hier der Anfang?“

„Was soll ich denn machen? Gesetz ist nun einmal Gesetz. Ich habe mir das schließlic­h alles nicht ausgedacht. Aber ich habe da eine Idee.“

„Eine Idee?“Hoffnung keimte in Herta Ahrenfelss auf.

„Ja, ich habe mich mit dem Ortsgruppe­nführer abgestimmt“

„Mit Rieger?“

„Ja, Rieger.“

„Ausgerechn­et!“Ephraim verdrehte verächtlic­h die Augen. „Der hat uns das alles hier doch überhaupt erst eingebrock­t.“

„Hören Sie mir doch erst mal zu. Ich habe mir Folgendes überlegt: Sie verkaufen ihr Haus an die Stadt, ich regele das.“

„Aber ...“

„Warten Sie, lassen Sie mich ausreden. Schauen Sie, Sie verlieren Ihr Miet- und Wohnrecht sowieso. Sie verkaufen also an die Stadt, leider kann ich Ihnen keinen guten Kaufpreis in Aussicht stellen. Aber darum geht es mir auch nicht. Wenn die Stadt Eigentümer ist, dann werden wir Haus und Laden als Judenhaus deklariere­n. Dafür haben wir nämlich noch keines ausgewählt.“

„Als Judenhaus?“

„Hören Sie mir doch endlich mal zu, dann werden Sie sehen, dass es für Sie gar nicht so furchtbar werden wird. Ihr Haus und der Laden werden also zum Judenhaus, und Sie brauchen nicht umzuziehen, Sie bleiben einfach hier wohnen, es ändert sich nichts.“

„Aber wenn alle Juden zusammenwo­hnen sollen, dann ziehen doch alle anderen hier auch ein. Von wegen, da ändert sich nichts.“

„Wohin sollen die anderen denn ziehen? Etwa in einen leergeräum­ten Laden im Rohbau, der so zerstört ist, dass er erst einmal saniert werden müsste und bei dem die Sanierung sich hinzieht, weil die Stadt dafür keinen Etat hat?“ „Im Rohbau? Sanierung? Keinen Etat?“

„Das sagt zumindest meine Akte. Und da ich mit der ganzen Sache betraut wurde, wird sich an der Aktenlage auch vorerst nichts ändern.“Charlottes Vater klappte zufrieden seine Tasche wieder zu.

„Judenhäuse­r?! Mutter, ich bin kein kleines Kind mehr. Ich bin vierzehn Jahre alt. Erzähle mir doch nicht, dass es gar nicht so schlecht sei, dass sie Judenhäuse­r einrichten, dass wir uns darin besser schützten könnten. Sie pferchen uns wie die Karnickel in Ställe zusammen, das ist die Wahrheit. Und was macht man mit Karnickeln?“

„Henriette!“

„Ist doch wahr!“Henriette schmiss die Ladentür hinter sich zu und rannte zurück zu Charlotte. Vielleicht war die ja noch da. Sie hatten schließlic­h verabredet, dass Henriette berichtete, was Charlottes Vater bei ihnen zu schaffen hatte. Charlotte heulte. Henriette hatte ihr bittere Vorwürfe gemacht. Nach einiger Zeit hatten sich beide wieder beruhigt.

„Ach, Charlotte, tut mir leid, es ist ja alles nicht deine Schuld.“Henriettes Freundin schniefte.

„Gehst du jetzt auch weg?“

„Wie meinst du?“

„Na, nach England. So wie Sarah Eisenbloom, die ist doch weggegange­n. Weißt du das gar nicht?“Henriette hielt sich lieber bedeckt. Sie schickten jüdische Kinder über den Kanal in fremde Familien. Das wurde von deutschen Juden mit Hilfe von Gemeinden in England und den Niederland­en organisier­t. Sie nahmen nur die Kinder, nicht die Eltern. Dass jemand aus Küstrin dabei sein würde, das war ihr neu. Sie hatte gedacht, dass sei eher etwas für die Großstädte­r, Berlin, Hamburg, München und so. Henriette schwieg. Sie wollte außerhalb ihrer Familie nicht über jüdische Angelegenh­eiten sprechen, nicht mehr. Es war zu gefährlich geworden. Bei aller Freundscha­ft wusste man heutzutage nie, was irgendwer irgendwo an irgendwen mal ausplauder­n könnte oder müsste.

„Habt ihr von Sarah Eisenbloom gehört?“ (Fortsetzun­g folgt) © Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2017

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