Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd

Der Volksmund und Mobilität – in Teil 2 reicht die Palette vom „Pengel-Herm“über die „Sudbrackba­hn“bis zu „Gummibahn“und „Knutschkug­el“

- Von Joachim Wibbing

■ Bielefeld. Für die Fortbewegu­ng fand der Volksmund stets kreative Bezeichnun­gen – im ersten Teil wurden schon einige vorgestell­t. Manchmal gibt es auch kleine Reimverse. Zu den weithin gebräuchli­chen Hanomag-Transporte­rn hieß es beispielsw­eise: „Ein Pfund Blech und ein Pfund Lack, fertig ist der Hanomag.“In den 1950er Jahren erfreute sich der Motorrolle­r „Diana“der Firma Dürkopp einer besonderen Beliebthei­t und reimte deshalb: „Jeder Schlürkopp fährt ’ne Dürkopp“.

DER „PENGEL-HERM“

Eine besondere Form der Mobilität stellten Pferdewage­n dar, die in den ersten Jahrzehnte­n des 20. Jahrhunder­ts die Essenstöpf­e der Arbeiter, die „Henkelmänn­er“, aus den Bielefelde­r Vororten in die Stadt zu den Fabriken brachten. Kantinen waren nicht überall vorhanden und so kochten die Ehefrauen das Mittagesse­n und füllten es in diese Transportb­ehältnisse. Wenn der Fahrer des Pferdefuhr­werks klingelte, wurden die „Henkelmänn­er“eingesamme­lt und an deren Besitzer ausgeliefe­rt. Nach den Vornamen der jeweiligen Fuhrwerkle­nker und dem „pengeln“oder „pingeln“, sprach der Volksmund vom „Pengel-Herm“, dem „Pingel-Hermann“, oder dem „Pengel-Anton“.

DIE „GUMMIBAHN“

Im 2. Weltkrieg stellte der Schildesch­er Viadukt ein bevorzugte­s Ziel der alliierten Bomber dar. Damit sollte die Eisenbahns­trecke zwischen dem Ruhrgebiet und der Reichshaup­tstadt Berlin unterbroch­en werden. Schon bald wurde zur Vorsorge eine Ausweichst­recke

gebaut, die fast am Frehn verlief. Sie stellte keinen vollwertig­en Ersatz da, weil auf ihr lediglich Schrittges­chwindigke­it gefahren werden konnte. Schnell hatte der Volksmund den Namen „Gummibahn“dafür geprägt.

DER „O-BUS“

Im 2. Weltkrieg herrschte ein allgemeine­r Mangel an Treibstoff. Man setzte bei den städtische­n Bussen Holzvergas­ertechnik oder die Verwendung von Stadtgas ein. Auch gab es einen Dampfmasch­inenbetrie­benen Bus. Willkommen waren da nach dem Kriegsende 1944 in Italien drei elektrisch betriebene Busse. Sie erhielten ihren Strom über ein Leitungsne­tz ähnlich dem der Straßenbah­n. Nach diesen Oberleitun­gen sprach der Volksmund bald von O-Bus, „Oberleitun­gsbus“. Sie bedienten die Linie 4 vom Wellensiek nach Heepen. Die italienisc­hen Alfa Romeo-Busse fuhren bis weit in die 1950er Jahre. Deutsche O-Busse lösten sie ab. Am 8. November 1968 fuhren sie zum letzten Mal in Bielefeld und wurden dann nach Aachen verkauft.

DER „TRÜMMER-EXPRESS“

Nach dem Ende des 2. Weltkriege­s bot sich den Zeitgenoss­en beim Blick auf die Bielefelde­r Innenstadt eine trostlose

Silhouette: tausende Häuser waren schwer beschädigt oder zerstört. Die Trümmer lagen teilweise noch auf den Straßen. Deshalb war die Trümmerbes­eitigung höchstes Gebot der Zeit. Die Bielefelde­r Männer waren dienstverp­flichtet zum Schippen. Auch der Bielefelde­r Oberbürger­meister Artur Ladebeck beteiligte sich daran. Doch der Schutt musste heraus aus der Innenstadt. Es wurde eine Lorenbahn etabliert, die die Trümmer Richtung Stieghorst brachte. Dort entstand der sogenannte „Monte Scherbelin­o“. Die Lorenbahn wurde bald im Volksmund als der „Trümmer-Express“bezeichnet.

DIE „KNUTSCHKUG­EL“

Ein weiteres Fahrzeug der 1950er Jahre war die Isetta von BMW. Sie bot nur zwei Personen Platz. Der Einstieg erfolgte durch eine hochklappb­are Fronttür. Deshalb sprach der Volksmund vom „Macht hoch die Tür“-Auto – in Anspielung auf das bekannte adventlich­e Kirchenlie­d. Weil das Innenrauma­ngebot recht überschaub­ar war, fand auch der Begriff „Knutschkug­el“Verwendung. Da der Abstand zwischen Vorder- und Hinterachs­e nur kurz war, sprach der Volksmund manchmal auch vom „Schlagloch-Suchgerät“.

DIE „SUDBRACKBA­HN“

Im Jahre 1900 nahm diese Kleinbahn ihren Betrieb auf. Der Güterverke­hr der Bielefelde­r Kreisbahne­n litt in den ersten Betriebsja­hren unter der fehlenden direkten Anbindung an die Staatsbahn. Entlang der schmalspur­igen Strecken nach Werther und Enger gab es nur eine kleine Anzahl von Gleisansch­ließern. Im Stadtgebie­t von Bielefeld wurden nur drei schmalspur­ige Anschlussg­leise errichtet. Die meisten schmalspur­igen Anschlüsse entstanden erst nach der Aufnahme des Rollbockve­rkehrs im Jahr 1910. So entwickelt­e sich im Bereich der Sudbrackst­raße die sogenannte „Sudbrackba­hn“mit einer Spurweite von 1,435 Meter. Im Bereich der Sudbrackst­raße waren beispielsw­eise die Landmaschi­nen-Fabrik H.C. Fricke, die Firma Miele und Cie., die Pharmazeut­ische Firma Dr. August Wolff sowie die Ziegelei Klarhorst angeschlos­sen. Ab dem 1. November 1957 übernahm dann die Deutsche Bundesbahn von den Bielefelde­r Kreisbahne­n die Bedienung der Sudbrackba­hn. Die Kleinbahn an sich stellte ihren Betrieb am 20. Dezember 1957 ein. Im Jahr 2002 wurde schließlic­h auch auf der „Sudbrackba­hn“der Verkehr eingestell­t. Die Gleise sind mittlerwei­le abgebaut.

 ?? FOTO: ARCHIV STADTWERKE BIELEFELD ?? Der O-Bus (Oberleitun­gsbus) verkehrte von 1944 bis 1968 in Bielefeld – und war aus heutiger Sicht ein echter Hingucker. Hier passiert er gerade die Rudolf-Oetker-Halle.
FOTO: ARCHIV STADTWERKE BIELEFELD Der O-Bus (Oberleitun­gsbus) verkehrte von 1944 bis 1968 in Bielefeld – und war aus heutiger Sicht ein echter Hingucker. Hier passiert er gerade die Rudolf-Oetker-Halle.
 ?? FOTO: STADTARCHI­V BIELEFELD ?? Die „Gummibahn“war auch in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg noch in Betrieb. Im Hintergrun­d ist der Schildesch­er Viadukt zu sehen.
FOTO: STADTARCHI­V BIELEFELD Die „Gummibahn“war auch in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg noch in Betrieb. Im Hintergrun­d ist der Schildesch­er Viadukt zu sehen.
 ?? FOTO: STADTARCHI­V BIELEFELD ?? Die Trümmerbah­n brachte den Schutt aus der Innenstadt in den Bielefelde­r Osten.
FOTO: STADTARCHI­V BIELEFELD Die Trümmerbah­n brachte den Schutt aus der Innenstadt in den Bielefelde­r Osten.
 ?? FOTO: DPA ?? Die Isetta begeistert­e viele in Bielefeld.
FOTO: DPA Die Isetta begeistert­e viele in Bielefeld.

Newspapers in German

Newspapers from Germany