Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd
Der Volksmund und Mobilität – in Teil 2 reicht die Palette vom „Pengel-Herm“über die „Sudbrackbahn“bis zu „Gummibahn“und „Knutschkugel“
■ Bielefeld. Für die Fortbewegung fand der Volksmund stets kreative Bezeichnungen – im ersten Teil wurden schon einige vorgestellt. Manchmal gibt es auch kleine Reimverse. Zu den weithin gebräuchlichen Hanomag-Transportern hieß es beispielsweise: „Ein Pfund Blech und ein Pfund Lack, fertig ist der Hanomag.“In den 1950er Jahren erfreute sich der Motorroller „Diana“der Firma Dürkopp einer besonderen Beliebtheit und reimte deshalb: „Jeder Schlürkopp fährt ’ne Dürkopp“.
DER „PENGEL-HERM“
Eine besondere Form der Mobilität stellten Pferdewagen dar, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts die Essenstöpfe der Arbeiter, die „Henkelmänner“, aus den Bielefelder Vororten in die Stadt zu den Fabriken brachten. Kantinen waren nicht überall vorhanden und so kochten die Ehefrauen das Mittagessen und füllten es in diese Transportbehältnisse. Wenn der Fahrer des Pferdefuhrwerks klingelte, wurden die „Henkelmänner“eingesammelt und an deren Besitzer ausgeliefert. Nach den Vornamen der jeweiligen Fuhrwerklenker und dem „pengeln“oder „pingeln“, sprach der Volksmund vom „Pengel-Herm“, dem „Pingel-Hermann“, oder dem „Pengel-Anton“.
DIE „GUMMIBAHN“
Im 2. Weltkrieg stellte der Schildescher Viadukt ein bevorzugtes Ziel der alliierten Bomber dar. Damit sollte die Eisenbahnstrecke zwischen dem Ruhrgebiet und der Reichshauptstadt Berlin unterbrochen werden. Schon bald wurde zur Vorsorge eine Ausweichstrecke
gebaut, die fast am Frehn verlief. Sie stellte keinen vollwertigen Ersatz da, weil auf ihr lediglich Schrittgeschwindigkeit gefahren werden konnte. Schnell hatte der Volksmund den Namen „Gummibahn“dafür geprägt.
DER „O-BUS“
Im 2. Weltkrieg herrschte ein allgemeiner Mangel an Treibstoff. Man setzte bei den städtischen Bussen Holzvergasertechnik oder die Verwendung von Stadtgas ein. Auch gab es einen Dampfmaschinenbetriebenen Bus. Willkommen waren da nach dem Kriegsende 1944 in Italien drei elektrisch betriebene Busse. Sie erhielten ihren Strom über ein Leitungsnetz ähnlich dem der Straßenbahn. Nach diesen Oberleitungen sprach der Volksmund bald von O-Bus, „Oberleitungsbus“. Sie bedienten die Linie 4 vom Wellensiek nach Heepen. Die italienischen Alfa Romeo-Busse fuhren bis weit in die 1950er Jahre. Deutsche O-Busse lösten sie ab. Am 8. November 1968 fuhren sie zum letzten Mal in Bielefeld und wurden dann nach Aachen verkauft.
DER „TRÜMMER-EXPRESS“
Nach dem Ende des 2. Weltkrieges bot sich den Zeitgenossen beim Blick auf die Bielefelder Innenstadt eine trostlose
Silhouette: tausende Häuser waren schwer beschädigt oder zerstört. Die Trümmer lagen teilweise noch auf den Straßen. Deshalb war die Trümmerbeseitigung höchstes Gebot der Zeit. Die Bielefelder Männer waren dienstverpflichtet zum Schippen. Auch der Bielefelder Oberbürgermeister Artur Ladebeck beteiligte sich daran. Doch der Schutt musste heraus aus der Innenstadt. Es wurde eine Lorenbahn etabliert, die die Trümmer Richtung Stieghorst brachte. Dort entstand der sogenannte „Monte Scherbelino“. Die Lorenbahn wurde bald im Volksmund als der „Trümmer-Express“bezeichnet.
DIE „KNUTSCHKUGEL“
Ein weiteres Fahrzeug der 1950er Jahre war die Isetta von BMW. Sie bot nur zwei Personen Platz. Der Einstieg erfolgte durch eine hochklappbare Fronttür. Deshalb sprach der Volksmund vom „Macht hoch die Tür“-Auto – in Anspielung auf das bekannte adventliche Kirchenlied. Weil das Innenraumangebot recht überschaubar war, fand auch der Begriff „Knutschkugel“Verwendung. Da der Abstand zwischen Vorder- und Hinterachse nur kurz war, sprach der Volksmund manchmal auch vom „Schlagloch-Suchgerät“.
DIE „SUDBRACKBAHN“
Im Jahre 1900 nahm diese Kleinbahn ihren Betrieb auf. Der Güterverkehr der Bielefelder Kreisbahnen litt in den ersten Betriebsjahren unter der fehlenden direkten Anbindung an die Staatsbahn. Entlang der schmalspurigen Strecken nach Werther und Enger gab es nur eine kleine Anzahl von Gleisanschließern. Im Stadtgebiet von Bielefeld wurden nur drei schmalspurige Anschlussgleise errichtet. Die meisten schmalspurigen Anschlüsse entstanden erst nach der Aufnahme des Rollbockverkehrs im Jahr 1910. So entwickelte sich im Bereich der Sudbrackstraße die sogenannte „Sudbrackbahn“mit einer Spurweite von 1,435 Meter. Im Bereich der Sudbrackstraße waren beispielsweise die Landmaschinen-Fabrik H.C. Fricke, die Firma Miele und Cie., die Pharmazeutische Firma Dr. August Wolff sowie die Ziegelei Klarhorst angeschlossen. Ab dem 1. November 1957 übernahm dann die Deutsche Bundesbahn von den Bielefelder Kreisbahnen die Bedienung der Sudbrackbahn. Die Kleinbahn an sich stellte ihren Betrieb am 20. Dezember 1957 ein. Im Jahr 2002 wurde schließlich auch auf der „Sudbrackbahn“der Verkehr eingestellt. Die Gleise sind mittlerweile abgebaut.