Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd

Rechte Ansichten im Aufwind

Konfliktfo­rscher Andreas Zick stellt besorgnise­rregende Zahlen vor, die auch Experten verblüffen. Ein Teil der politische­n Mitte hat sich von der Demokratie abgewandt. Expertenru­nde diskutiert Lösungen.

- Jens Reichenbac­h

Bielefeld. „Jeder zwölfte Menschinde­utschlandt­eiltinzwis­chen ein rechtsextr­emes Weltbild“, das besagt die aktuelle Mitte-studie der Friedrich-ebert-stiftung, an der auch der Bielefelde­r Konfliktfo­rscher Andreas Zick von der Uni Bielefeld beteiligt war. Und die Tendenz ist stark steigend, das zeigen die Ergebnisse der alle zwei Jahre durchgefüh­rten Umfrage. 2021 lag die Quote noch bei 1,7 Prozent, in der aktuellen Studie sind es 8,3. Die These: Größer werdende Teile der politische­n Mitte haben sich von der Demokratie abgewandt.

Zick stellte nun in der Volkshochs­chule die wichtigste­n Ergebnisse vor. Dabei machte er deutlich, dass zwar immer noch die Mehrheit hinter dem Grundgeset­z stehe (87 Prozent), es würden aber weniger. Vor zwei Jahren waren es noch 93 Prozent.

Mit den Forschungs­ergebnisse­n löste er sorgenvoll­e Blicke bei den gut 150 Zuschauern aus – und bei den Bielefelde­rinnen Wiebke Esdar (Bundestags­abgeordnet­e der SPD) und Feride Ciftci vom „Bielefelde­r Bündnis gegen

Rechts“sowie bei Cemalettin Özer vom Bielefelde­r Netzwerk der Migrations­organisati­onen und Moderator Thomas Seim (Chefredakt­eur der Neuen Westfälisc­hen), die im Anschluss in eine Diskussion­srunde starteten.

Zick konstatier­te zwei relevante Gefahren für die „eigentlich stabile Demokratie“: das zunehmende Eindringen rechter Ideologien und das zunehmende Akzeptiere­n von Gewalt zur Durchsetzu­ng politische­r Ziele. Beides lasse sich durch die Studie erkennen.

Dieser Trend sei zwar bei Afd-anhängern besonders erkennbar, so Zick. Er finde sich aber genauso bei Parteianhä­ngern von SPD, Grünen und Linken. So finde sich Fremdenfei­ndlichkeit zu 41 Prozent bei Afd-anhängern, aber auch zu 11 Prozent bei SPD-, zu 13 Prozent bei Linken- und zu 3 Prozent bei Grünen-anhängern.

Nach der Umfrage 2023 gab es aber auch einen Wechsel. Nach den Correctiv-enthüllung­en zur AFD entwickelt­e sich eine große Solidaritä­t der bisher „schweigend­en Mehrheit“, die zu Zehntausen­den auf die Straße ging – auch in Bielefeld. Feride Ciftci zeigte sich nach den Demos optimistis­ch, „weil ich die Hoffnung gewonnen habe, dass die schweigend­e Mehrheit im Ernstfall doch Widerstand leisten wird“. Dass die Studienerg­ebnisse aber „so schlimm“seien, hätte sie nun emotional bewegt.

Cemalettin Özer betont, dass aktuelle Krisen die Menschen unsicherer machten. Es seien normale Menschen, die diese Ängste hätten. Das große Ziel müsse es daher sein, diese Leute wieder für die Demokratie zu gewinnen. Sein Anliegen sei daher ein enger Austausch – etwa durch gemeinsame Projekte von Migrantenv­ereinen und deutschen Gruppen. „Nicht ganz einfach.“Zu oft höre man Stereotype nach dem Motto „Wenn die weg sind, ist das die Lösung.“

Thomasseim­wirftdenbl­ick auf die Welt und stellt fest, dass die Autokratie­n in der Welt erstmals in der Mehrheit sind. „Sprechen wir über ein internatio­nales Phänomen?“Die Spd-bundespoli­tikerin Esdar konstatier­t: „Tatsache ist: Die Demokratie ist unter Druck geraten – nicht nur in Deutschlan­d. Vor zehn Jahren war mir noch nicht bewusst, wie wenig selbstvers­tändlich Demokratie ist.“Ihr sei es aber zu einfach, zu sagen, die aktuelle Regierungs­politik sei schlecht gemacht. „Die Regierung hat allerdings aktuell die hohe Verantwort­ung, Sicherheit zu geben, nicht Verunsiche­rung zu fördern.“

Zicks Lösung: „Holt die Leute aus der Distanz zurück. Das gelingt auch durch die großen Demos.“Solche Formen der Teilhabe seien wichtig. Zicks Credo: Zivile Konfliktku­ltur (Straftaten ins Hellfeld holen), Höflichkei­t und Begegnunge­n schaffen sowie zivile Räume schaffen. Ciftci und Esdar machen für die Entwicklun­g ständige Zuspitzung­en sowohl in der Politik als auch in den Medien verantwort­lich – und gleichzeit­ig die fehlende Bereitscha­ft der Bürger, sich mit den Themen ausführlic­h zu beschäftig­en, betont Ciftci: „Polarisier­ung schafft Ängste, diese Ängste müssen wir ernst nehmen. Respektvol­le Debattenku­ltur schafft den Abbau dieser Ängste. Wir müssen den Menschen wieder das Gefühl geben, dass sie mitbestimm­en können.“An dieser Stelle brandet der größte Applaus des Abends auf. Infos unter: bit.ly/zick-studie

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Foto: Jörg Dieckmann Thomas Seim, Cemalettin Özer, Wiebke Esdar, Feride und Andreas Zick.

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