Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd
Vom Johannisberg bis Horst Wessels Geburtshaus
Bielefeld.wasmachteinenort böse? Mit Blick auf den Nationalsozialismus ist die Frage oft schnell beantwortet: Es sind die Verbrechen und Gräueltaten, die an ihnen begangen wurden – und an die auch in Bielefeld an vielen Stellen mit Gedenksteinen oder Bronzetafeln erinnert wird. Doch die Nazis haben viel mehr als diese Orte mit ihrem ideologischen Gift getränkt, ganze Gebäude oder Plätze für sich und ihre Propaganda vereinnahmt. „Es waren Orte, die sie zur Selbstfaszination genutzt haben“, sagt der Historiker Hans-jörg Kühne. Und genau diese Orte will er heute Abend im Historischen Museum wieder in Erinnerung bringen.
„Böse Orte in Bielefeld?“hat Kühne seinen Vortrag genannt. Damit fügt er sich zum einen in die aktuelle Ausstellungsund Veranstaltungsreihe „Verbrannte Orte“ein, mit der an die Bücherverbrennung durch die Nazis 1933 erinnert wird. Zum anderen lehnt er sich an das von Stephan Porombka und Hilmar Schmundt herausgegebene „Böse Orte. Stätten nationalsozialistischer Selbstdarstellung – heute“an. Darin wird beschrieben, dass sich abseits des offiziellen Gedenkens an Orten des Verbrechens auch weitere Orte, an denen die Nsdiktatur Spuren oder zumindest ihren Geist hinterlassen habe, über die Jahre hinweg mit einer „bösen Aura“aufgeladen hätten – etwa das Olympiastadion in Berlin, das weitestgehend zerstörte Ns-parteitagsgelände in Nürnberg oder das dem Erdboden gleichgemachte Gut Carinhall von Reichsmarschallhermanngöring in der brandenburgischen Schorfheide. „Davon ausgehend habe ich Bielefeld abgeklopft“, erläutert Kühne. Und seine Suche nach Orten, an denen sich die Nazis selber in Szene setzten, dauerte nicht allzu lange.
Bücherverbrennungen habe es in Bielefeld nicht gegeben, vor dem Alten Rathaus zündeten Nationalsozialisten am 9. März 1933 stattdessen Parteifahnen der politischen Gegner an. Stattdessen setzten die Nazis im eher sozialdemokratisch geprägten Bielefeld Pomp und Strahlkraft, etwa als an Hitlers 44. Geburtstag 1933 der Bürgerpark mit einem Fackelumzug und einer mit einem leuchtenden Hakenkreuz illuminierten Oetkerhalle zum „Adolf-hitler-park“umbenannt wurde – komplett. Wenige Wochen später erstrahlte dann zum 1. Mai das Hakenkreuz am Turm der Sparrenburg, ehe im August 1933 die Bielefelder Schützen auf dem Johannisberg eine Hitler-eiche pflanzten. Auch dem „großen Sohn der Stadt“, dem von Propagandaminister Joseph Goebbels zum Märtyrer hochstilisierten Sa-mann Horst Wessel, wurde an mehreren Stellen Bielefelds gehuldigt – sowohl sein Denkmal als auch der Horst-wessel-stein im Teutoburger Wald sind heute verschwunden.
Kühne führt seine Zuhörer in seinem reich bebilderten Vortrag zu genau diesen Orten – und wird kritisch hinterfragen, inwieweit das Konzept der „Bösen Orte“trägt und überhaupt neue Erkenntnisse zur Zeit des Nationalsozialismus verspricht.
♦ Der Vortrag „Böse Orte in Bielefeld?“beginnt heute um 19 Uhr im Historischen Museum, Ravensberger Park 2. Der Eintritt kostet 5 Euro.
Der Horst-wessel-stein wurde im April 1946 gesprengt.
Exemplarisch werden hier 13 Orte aufgeführt, die zu den „Bösen Orten“in Bielefeld zählen könnten.
1. Rudolf-oetker-halle. An Hitlers 44. Geburtstag wurde am 20. April 1933 der Bürgerpark in „Adolf-hitler-park“umbenannt – komplett mit Fackelzug, Scheinwerfern und beleuchtetem Hakenkreuz.
2. Sparrenburg. Zum ersten „Tag der nationalen Einheit“oder dem „Tag der Arbeit“am
1. Mai 1933 wurde der Turm mit großem Pomp und Feuerwerk zu Bielefelds größter Nswerbefläche.
3. Heeper Fichten. Hier mündete der Aufmarsch zum 1. Mai 1933. Tausende Bielefelder waren auf den Beinen – vor allem, weil alle dazu verpflichtet wurden, mitzumarschieren. Die Route des Umzuges wurde bewusst durch den sozialdemokratisch und kommunistisch geprägten Bielefelder Osten geleitet.
4. Johannisberg. Beim Schützenfest 1933 wurde Adolf Hitler zum „Schützenkönig ehrenhalber“ernannt und eine Hitler-eiche gepflanzt. Die heute noch sichtbare Hindenburg-eiche folgte 1934.
5. Ausstellungshalle. In der im Krieg zerstörten und 1961 abgerissenen Halle an der Eckendorfer Straße hatte Hitler beim Wahlkampf 1930 seinen einzigen Auftritt in Bielefeld.
6. Hochbunker Neustädter Straße. Der Bunker wurde 1942 im „Führer Sofortprogramm“errichtet. Nach dem Krieg war er der einzige atombombensichere Bunker ganz Bielefelds.
7. Sedan-bunker. Der Luftschutzbunker hätte mehr als 1.000 Personen Platz geboten – wenn nicht 1944 die Befehlsstelle der Luftschutzleitung eingezogen wäre.
Die Ausstellungshalle stand an der Eckendorfer Straße und war Schauplatz des einzigen großen Auftritts von Hitler in Bielefeld.
8. Altes Rathaus. Eine Woche nach dem Luftangriff am
30. September 1944 zog das Ns-regime zur Beisetzung der Bombenopfer noch einmal alle Register. Mit viel Pomp wurden die Toten zum Sennefriedhof überführt – mangels Fahrzeugen sogar per Straßenbahn, was einigen Zeitgenossen als pietätlos aufstieß.
9. Horst-wessel-stein. Der riesige Findling auf dem Kamm des Teuto erinnerte an den in Bielefeld geborenen „Märtyrer“der Ns-bewegung. Er wurde nach dem Krieg von den Briten gesprengt.
10. Windelsbleiche. Im Juli 1933 landete Hitler als Reichskanzler mit seiner Junkers auf dem Flugplatz. An Bielefeld selbst fuhr er dann mit seiner Mercedes-karosse vorbei – was von der gleichgeschalteten Presse mit Enttäuschung quittiert wurde.
11. Autobahn Lämershagen. Das Prestigeprojekt der Nazis wurde 1938 durch Gauleiter Alfred Meyer eingeweiht.
12. Standortoffiziersheim. Wie wichtig den Nationalsozialisten die Stadt Bielefeld war, zeigt sich auch an den zahlreichen Kasernen, die ab 1935 errichtet
Diesparrenburgam1.mai1933. wurden. Ein Teil davon ist das Offiziersheim an der Osningstraße, das nach dem Krieg von der britischen Armee genutzt wurde.
13. Geburtshaus von Horst Wessel. Dervondennaziszum Helden erhobene Sa-mann lebte nur kurze Zeit als Kind in Bielefeld – was die Bielefelder Nazis aber nicht daran hinderte, sich immer wieder mit dem Etikett „Geburtsstadt Horst Wessels“zu schmücken. Die August-bebel-straße, an der sein Geburtshaus lag, hieß entsprechend bis 1945 auch „Horst-wessel-straße“.
Bielefeld. Zur zehnten Auflage der Woche für Pflegende Angehörige in Bielefeld wird von Samstag, 7. September, bis Sonntag, 15. September, eingeladen.
Laut aktuellen Zahlen werden 17.226 Personen in Bielefeld ambulant versorgt – mehr als 12.000 davon rein privat, also ohne Unterstützung durch einen ambulanten Pflegedienst. Um den Angehörigen etwas zurückzugeben und gleichzeitig die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Engagement zu fördern, wurde dieaktionswocheinslebengerufen. Sie richtet sich an alle Bielefelder, die ihre Eltern, Partnerinnen und Partner, Kinder, andere Verwandte, Bekannte, Nachbarn oder Freunde (mit-)versorgen. Das Vorbereitungsteam hat ein buntes Programm aus kulinarischen und kulturellen Highlights zusammengestellt. Der Flyer wird im Juni erscheinen und in Arztpraxen, Apotheken, Stadtteilzentren und anderen sozialen Einrichtungen ausliegen. Ab Anfang Juli ist eine Anmeldung möglich.