Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld Süd
Cdu-urgestein Brok: „Deutschlands Außenpolitik ist ein Fall von Überheblichkeit“
Der Bielefelder war 39 Jahre lang Abgeordneter im Eu-parlament. Seine Erfahrungen und Erlebnisse, auch mit zweifelhaften Gesprächspartnern, hat er jetzt in einem Buch aufgeschrieben. Darin geht er mit der aktuellen deutschen Politik hart ins Gericht – auch mit seiner Partei.
Herr Brok, Sie haben in Ihrer politischen Karriere viele Staatschefs getroffen, darunter auch sehr zweifelhafte und schwierige Gesprächspartner wie den russischen Außenminister Lawrow und den türkischen Präsidenten Erdogan. Wie haben Sie diese Politiker im Eins zu eins erlebt?
Elmar Brok: Sie sind mitunter anders und weniger auftrumpfend als in der öffentlichen Wahrnehmung. Man muss zu ihnen langsam Vertrauen aufbauen. Das ist vor allem gelungen, indem ich nie über Gesprächsinhalte öffentlich geredet habe. Die Gesprächspartner müssen wissen: ’Dem Brok kann ich was sagen, ohne dass das sofort in den Medien steht’. Heute geht die Entwicklung ja leider eher in die andere Richtung.
Bleibt Ihnen ein Gespräch besonders in Erinnerung? Exemplarisch steht für mich 1996 ein Treffen mit dem damaligen Kanzler Helmut Kohl in Bonn über die Verhandlung für den Vertrag von Amsterdam. Ich war damals Verhandler des Eu-parlaments und wir sprachen ganze drei Stunden in seinem Büro. Dort wurde ich von ihm quasi auf Herz und Nieren geprüft – und beim Rausgehen sagte er zu mir: ’Ruf mich nicht jeden Tag an, um zu berichten. Und lies auch nicht alle Anweisungen der Beamten. Ich vertraue dir – aber achte darauf, dass wir als Bundesrepublik am Ende des Gipfels an der Seite der kleinen Länder stehen werden.’ Diesen wohltuenden Pragmatismus fand ich irre. Heute würden wir drei Kommissionen einsetzen und hätten immer noch keine Entscheidung. Kohl gab Vertrauen und erhielt Vertrauen von den anderen Ländern.
Hat sich unsere Führungsrolle in der EU im Vergleich zu Kohl-zeiten verändert?
Ja, es handelt sich leider um eine Bevormundung anderer Staaten. In Berlin hat sich längst eine gewisse Arroganz durchgesetzt – das betrifft alle Parteien mehr oder weniger. Kanzler wie Brandt, Schmidt, Adenauer, Merkel und Kohl haben im Ausland nie auf deutsche Führung gepocht. Sie haben auch stets auf ein gutes deutsch-französisches Verhältnis geachtet. Das ist heute anders. Das Verhalten von Außenministerin Baerbock im Zuge der Eu-migrationsgesetzgebung 2023 war zum Beispiel solch ein Fall von Selbstvergessenheit, auch ihre Nahost-reisen, als könne sie allein diesen regionalen und globalen Konflikt lösen.
Muss ein Land wie Deutschland denn keinen Führungsanspruch haben?
Mit welcher Rechtfertigung wollen wir denn international Führung verlangen? Wir haben in der Energie- und Sicherheitspolitik der jüngsten Jahre versagt. Und wir haben auch keine Mittel, um Konflikte wie im Nahen Osten zum Beispiel in Form von Sicherheitsgarantien zu lösen. Welche Garantien könnten wir denn allein aussprechen? Wenn wir dann aber stets betonen, dass wir führen wollen, verlieren wir immer mehr Sympathien. Der frühere Usaußenminister Kissinger hat Konrad Adenauer in seinem letzten Buch gerühmt, Macht durch Bescheidenheit erreicht zu haben. Heute herrscht bei uns Überheblichkeit. Das ist ein großer Fehler. Wir müssen mit Frankreich, Polen und anderen als EU agieren, um gemeinsam Souveränität gegen Russland, China und USA für uns zu sichern.
Die CDU hat ein neues Grundsatzprogramm – und beschäftigt sich darin auch mit Europa. Wie finden Sie die Ansätze?
Im Entwurf wird die EU als eine Gemeinschaft souveräner Nationen mit einigen supranationalen Merkmalen bezeichnet. Seit der Montanunion, seit Schumann und Adenauer ist die heutige EU eine insgesamt supranationale Einrichtung mit eigenständiger Gesetzgebung und Rechtsprechung. In den Bereichen, in denen die Mitgliedsstaaten ihre Kompetenzen übertragen haben. Das muss also dringend verändert werden. Wenn das so Bestand hätte, wäre das die Abkehr der Eu-politik seit Konrad Adenauer. Das müssen wir auf dem Bundesparteitag unbedingt bekämpfen.
In Ihrem Buch „Verspielt Europa nicht“monieren Sie eine fehlende soziale Ausrichtung Ihrer Partei. Was meinen Sie?
Ich habe manchmal den Eindruck, die jungen Leute in unserer Partei wissen nicht mehr, was die katholische Soziallehre ist. Subsidiarität und Solidarität gehören zusammen. Nur aus diesem Spannungsverhältnis erwächst das Gemeinwohl. Konkret heißt das: Der Markt ist der beste Platz, um Ressourcen und Investitionen zu platzieren und Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Das kann ein staatsgeführtes System nie. Doch der Markt braucht einen regelbasierten sozial-, umwelt- und wettbewerbspolitischen Rahmen. Nur das ist Soziale Marktwirtschaft. Diese Balance fehlt mir oft aktuell in den Debatten in unserer Partei. Die CDU ist immer auch eine Arbeitnehmerpartei gewesen. Ohne dem gäbe es die Volkspartei und ihre Erfolge nicht. Für Kohl war das selbstverständlich.
Ist das Kritik am Parteichef? Friedrich Merz hat inzwischen erkannt, dass eine Volkspartei nicht nur auf die Wirtschaft setzen kann. Und es stimmt mich hoffnungsvoll, dass Karl-josef Laumann Bundesvize werden soll, weil er den Sozialflügel stärken wird.
Sie haben als Politiker viele Länder gesehen – waren aber auch stets in OWL präsent. War das anstrengend?
Ich habe das nie als Widerspruchempfunden. je mehr ich unterwegs war, desto mehr hat es mich wieder nach Hause gezogen. Die Wertigkeit der eigenen Heimat ist für mich durch die vielen Reisen eher noch gewachsen. Ich bin Teil dieses Menschenschlags.
Das Gespräch führt Ingo Kalischek