Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West
Aufstand der Kleinen im neuen Rat
CDU, SPD, Grüne, FDP und Linke änderten die Geschäftsordnung, um Auswüchse der AfD zu stoppen – und ernteten heftige Kritik von Einzelvertretern und Satirepartei. Der Ton wird deutlich rauer.
¥ Bielefeld. Das hatten sich die etablierten Parteien leichter vorgestellt: Mit dem Kniff, die Geschäftsordnung des Stadtrates so zu ändern, dass die AfD in ihre Schranken verwiesen wird, ernteten sie einen Sturm der Empörung bei allen kleinen Parteien und lösten genau den heftigen Streit aus, den sie zu befrieden hofften. Michael Gugat (LiB) drohte gar mit Klage. Doch CDU, SPD, Grüne, Linke und FDP ließen sich nicht beirren und beschlossen die strengen Regeln.
Das Problem des neuen Rates ist, dass elf Parteien oder Gruppierungen dort vertreten sind, und mit der AfD eine stramm rechte, gegen die alle anderen kämpfen, und der Satirepartei „Die Partei“und der Liste BIG schwer einschätzbare Akteure sich einmischen.
REGELN VERSCHÄRFT
Deshalb verhandelten die „Großen“intensiv über eine Verschärfung der Regeln, um die Effektivität der Ratsarbeit nicht zu gefährden. So sind im Ältestenrat, der Formalien des Rates klärt, nur noch Fraktionen vertreten, kann der Oberbürgermeister bei Beleidigungen und Verstößen gegen die Ordnung im Rat nicht nur ermahnen, sondern notfalls auch Sitzungsteilnehmer ausschließen. Daneben können kleine Parteien keine Anträge stellen, Anfragen werden erst nach denen der großen mündlich beantwortet, nach einer halben Stunde nur schriftlich.
BESCHIMPFUNGEN
Das stieß nicht nur bei der AfD, sondern auch bei Partei, Bürgernähe, LiB undBIGsauer auf. Gugat verlangte eine Vertagung, blitzte aber ab. Die Folge: Heftige Kritik in der Debatte von rechts und links. Die AfDler Florian Sander und Maximilian Kneller warfen den großen Parteien „Angst in ihrer heilen Konsenswelt“, „Hinterzimmer-Politik der Blockparteien“und „Schmierentheater“vor. Für „Die Partei“kanzelte Lena Oberbäumer darauf die AfD als „Faschisten“ab und zeigte sich „superwütend“über die großen Parteien, die die demokratische Idee verletzten, indem sie die kleinen von der Teilhabe ausschlössen. Gugat ergänzte: „Sie provozieren Chaos.“
Vertreter der großen ließen sich nicht provozieren, verteidigten aber vehement ihren
Eingriff. Klaus Rees (Grüne): „Wir wollen Leitplanken für den Umgang setzen.“Die neue Geschäftsordnung sei präziser, schränke demokratische Rechte nicht ein, reagiere aber auf negative Erfahrungen mit der AfD in anderen Städten: „Wir hoffen, dass sie nicht eingesetzt werden muss.“Ralf Nettelstroth (CDU) erwiderte auf die AfD: „Nicht wir haben Angst, sondern Sie, dass wir Sie hier stellen. Es geht um Sachund nicht um Weltpolitik.“
DEMO UND EID
Schon vor der Stadthalle, in der der Rat aus Corona-Gründen tagte, weil der Ratssaal zu klein wäre, spielte der Konflikt mit der AfD eine Rolle: Knapp 150 Demonstranten des „Bündnisses gegen Rechts“warnten vor der Störung der Demokratie. Im Saal ging es erst ruhig zu, Alterspräsident Werner Thole (CDU) vereidigte Pit Clausen (SPD) als Oberbürgermeister.
DRITTER BÜRGERMEISTER
Zum Konflikt mit den Kleinen kam es schon bei der Wahl der Bürgermeister. Hier wehrten sich „Die Partei“und LiB dagegen, dass ein dritter Posten geschaffen werde, der laut Gugat in der Wahlperiode rund 35.000 Euro kosten würde. Kneller warf ein, das „Establishment schustert sich Posten zu“. Nettelstroth verteidigte den Schritt: Bielefeld sei eine wachsende Stadt und pro Jahr fielen 2.500 Repräsentationstermine an.
Gedrängt auf den dritten Bürgermeister hatten die Grünen: Und ihr Mitglied Christina Osei nimmt das Amt ein neben Andreas Rüther (CDU) und Karin Schrader (SPD), die bestätigt wurden.
PRÜFUNG DER WAHL
Ausgebremst wurde die AfD bei der Besetzung des Wahlprüfungsausschusses, der mögliche Unregelmäßigkeiten im Bezirk Stauteiche untersuchen muss. Hier holten CDU, SPD, Grüne, FDP und Linke mit einer gemeinsamen Liste zwölf Sitze und „Die Partei“mit einer zweiten Liste, für die auch Gugat und eine Linke stimmten, den 13. Sitz. Dadurch ging die AfD leer aus.
Und beim Punkt „Geld für Fraktionen und Gruppen im Rat“folgten auch die Grünen CDU und SPD nicht: Denn bei den Personalkosten verschoben sie die Staffelung, so dass sie jeweils eine halbe Stelle mehr erhalten. Der Etat für die Ratsarbeit steigt von 1,1 auf 1,4 Millionen Euro im Jahr.