Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West
„Die Kultur bringt ein Sonderopfer“
Der Jazz-Trompeter Till Brönner wurde über Nacht zur Galionsfigur der Kulturbranche, die die Rigorosität der Corona-Maßnahmen kritisiert. Seine Sorge: Teile der Szene werden verschwinden.
damit wir nicht an kulturellem Skorbut sterben. Sie spiegelt Missstände und muss aufrütteln und inspirieren, damit wir beweglich im Kopf bleiben. Das kostet Kraft, Geld und benötigt Freiheit zum Arbeiten statt Angst vor Irrelevanz. Man konnte den Wirtschaftszweig Kultur- und Veranstaltungsbranche immer relativ entspannt sich selbst überlassen. Die Steuern dieser Menschen hat der Staat aber gerne mitgenommen. Man kann nicht einfach einen flächendeckenden und schlecht kommunizierten Berufsstopp verhängen und sagen: Das war ja euer eigenes Risiko! sen wurde dabei, dass die Branche bereits seit März darniederliegt und an keine versprochenen Gelder herankommt, weil man keine Lebenshaltungskosten geltend machen kann. Ich habe den Eindruck, dass diese Szene für so etwas wie eine Baumarkt-Kette gehalten wird, für die pünktlich zum November das Weihnachtsgeschäft beginnt. Danach richtet man sich aus. Die Lebenswirklichkeit der Szene ist in der Politik nicht bekannt. Letztlich darf man sicher feststellen: Kein einziger Politiker befindet sich selbst in einer solchen Situation. mit zu vielen Menschen zusammenzutreffen. Man kann aber eine Branche, die ausgereifte Hygienekonzepte umgesetzt hat und keinen einzigen registrierten Covid-19-Ausbruch zu verzeichnen hat, nicht zum Superspreader stempeln. Und sie sich selbst überlassen. Diese wirtschaftlich einträgliche Truppe bringt gerade ein Sonderopfer. Da muss die Allgemeinheit auch dafür sorgen, dass es diese Szene nachher noch gibt. Die Politik scheint überhaupt nicht zu verstehen, dass Strukturen der freien Szene, wenn die erst weg sind, nach Ende der Pandemie nicht mal eben reaktiviert werden können. Das ist ein Kahlschlag, von dem sich dieses Land nicht so bald erholt.
Wir kennen uns seit 14 Jahren. Vor zwei Jahren beim Kampen Jazzfestival auf Sylt haben wir eine Kooperation eingestielt. In der Provence haben wir uns danach für 14 Tage eingeschlossen. Das war eine sehr intensive Zeit – nicht ohne Rangeleien. Wir gehören ja auch verschiedenen Generationen an. Kurz bevor wir beinahe die Brocken hingeschmissen hätten, hatten wir plötzlich den Klang des Albums vor Augen und im Ohr. Von da an ging alles sehr schnell.