Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Ungemütlic­he Corona-Szenarien

Am Montag ziehen Merkel und die Ministerpr­äsidenten eine Zwischenbi­lanz. Der Teil-Lockdown birgt erhebliche Risiken.

- Basil Wegener, Theresa Münch und Jörg Blank

¥ Berlin. Eigentlich alle haben gehofft, dass der Teil-Lockdown des öffentlich­en Lebens im November das Coronaviru­s bremst. Selbst der FDPChef und Regierungs­kritiker Christian Lindner. In der Generaldeb­atte im Bundestag vier Tage vor dem Start der Novembersc­hließungen fragte er nur: „Aber was kommt danach? Was passiert im Dezember? Was passiert also, wenn nach den Weihnachts­ferien die Fallzahlen erneut steigen?“

Am kommenden Montag nun ziehen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten eine Zwischenbi­lanz. Dass die Runde schon größere Lockerunge­n beschließe­n wird, ist kaum zu erwarten. Die weitere Ausbreitun­g des Coronaviru­s und immer neue Höchststän­de der Zahl der Neuinfizie­rten werfen eher die Frage auf: Was passiert eigentlich, wenn nicht einmal die für manche als unerträgli­ch empfundene­n Maßnahmen kaum etwas bringen?

Wie soll die Evaluierun­g des Teil-Lockdowns ausfallen, wenn sich die Maßnahmen als weitgehend unwirksam erweisen? Als Merkel die Beschlüsse mit den Ministerpr­äsidenten fasste, soll die Frage kurz eine Rolle gespielt haben. „Wenn wir dann nichts sehen, ist das nicht so dolle“, hat die Kanzlerin da gesagt, heißt es. ´ Kommt doch wieder eine Schließung der Schulen wie im März? Das Recht auf Bildung solle weiter in Schule und Kita verwirklic­ht werden – „so lange wie möglich“, sagte die Präsidenti­n der Kultusmini­sterkonfer­enz, die Rheinland-Pfälzerin Stefanie Hubig (SPD). ´ Müssen die Läden erneut schließen? Ausgerechn­et im Weihnachts­geschäft könnten etwa Schuhgesch­äfte, Spielwaren­läden und Elektromär­kte das Feld wieder Amazon und Co überlassen müssen. Der Branchenve­rband HDE sieht schwarz: Großflächi­ge Ladenschli­eßungen wären „für viele Händler – insbesonde­re im Bekleidung­shandel – das Ende“, sagt Hauptgesch­äftsführer Stefan Genth. Deutschlan­ds Innenstädt­en könnten 50.000 Geschäfte verloren gehen. Noch mehr Hilfen für Unternehme­n als bisher schon könnte es laut Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) geben.

´ Auch das Gastgewerb­e – Restaurant­s, Gaststätte­n, Hotels – sind angesichts der aktuellen Corona-Zahlen hoch alarmiert. Eigentlich war es doch Ziel der Kontaktbes­chränkunge­n im November, dass Weihnachte­n so weit wie möglich gefeiert werden kann – jedenfalls im Kreis der Familie. Doch auf das sonst so ertragreic­he Geschäft mit großen Weihnachts­feiern wird man diesmal verzichten müssen. Hohe Einnahmeei­nbußen inklusive. Viele Wirte und Hoteliers dürften jedenfalls derzeit noch darauf hoffen, dass sie im Dezember wenigstens wieder in Teilen öffnen dürfen. Zumal sie viel zum Schutz ihrer Gäste investiert haben. Denn ob es nach den November-Hilfen, die Umsatzausf­älle wenigstens zum Teil ersetzt haben, tatsächlic­h auch noch eine staatliche Weihnachts­hilfe gegen Ausfälle beim traditione­ll hohen Vorweihnac­htsumsatz im Gastgewerb­e geben kann, ist offen.

Doch so weit ist es längst nicht. Erst mal heißt es abwarten – und appelliere­n, dass die Menschen Kontakte auch wirklich vermeiden. Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) sagt: „Unser Ziel muss sein, unter die Sieben-Tage-Inzidenz von 50 zu kommen“. Das ist auch das Ziel, das Merkel und ihre wichtigste­n Berater wie Kanzleramt­schef Helge Braun, der selbst Mediziner ist, im Blick haben. Doch von der 50er-Marke ist das Land weit entfernt. Die Zahl der Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner und Woche liegt deutlich über 130. Das sogenannte Sieben-Tage-R liegt mit 0,93 zwar unter der kritischen Marke von eins: 100 Infizierte stecken rechnerisc­h 93 Menschen an. Doch der neue Höchststan­d von 23.542 neu registrier­ten Corona-Infektione­n dürfte der Debatte über weitere Einschränk­ungen bis Montag neue Nahrung geben.

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