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Brexit-Hardliner verlassen Johnson
Strippenzieher Cummings geht – gelingt noch ein Vertrag mit Brüssel?
¥ Brüssel/London. Er war einer der Strippenzieher beim britischen EU-Austritt, der Vater der erfolgreichen BrexitKampagne 2016 und bislang als „Chefberater“der umstrittene Einflüsterer von Premier Boris Johnson: Doch jetzt wirft Dominic Cummings überraschend hin. Er wird nach übereinstimmenden Medienberichten die britische Regierungszentrale spätestens zum Jahreswechsel verlassen. Cummings vermied eine klare Stellungnahme, Kabinettsmitglieder kommentierten aber schon seinen Abgang.
Nicht nur der „Fürst der Finsternis“, wie Cummings von seinen vielen Gegnern genannt wird, geht: Zuvor hatte schon Cummings rechte Hand, Kommunikationsdirektor Lee Cain, seine Demission angekündigt – auch er ein Anhänger des kompromisslosen EUAustritts des Königreichs, der die „Vote Leave“-Kampagne entscheidend prägte. Die Aufregung umdie Rücktritte reicht bis in die EU-Hauptstadt Brüssel: Binnen weniger Tage entscheiden sich zwei wichtige Brexit-Hardliner aus Downing Street Nummer 10 zum Rückzug – mitten im Schlussspurt der zähen Verhandlungen mit der Europäischen Union über einen Handelsvertrag, acht Wochen vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase.
Ein Signal für einen Kurswechsel Johnsons bei den Nach-Brexit-Verhandlungen? In Brüssel waren beteiligte Beamte vorsichtig, denn das Chaos in Downing Street könne die Gespräche „natürlich auch stören“, wie es hieß. Aber die Hoffnungen sind groß: Kommt es doch noch zu einem Vertrag, wenn die Anhänger des harten Brexits jetzt ihren Einfluss verlieren? „Die Chance ist da – jetzt oder nie“, sagte ein EU-Diplomat.
Die jüngsten Turbulenzen haben ihren Ursprung offenbar in einem sehr privaten Machtkampf im inneren Zirkel der Regierungszentrale. Johnsons Verlobte Carrie Symonds, einst Kommunikationschefin der konservativen Tories, versucht seit Längerem, den Einfluss Cummings und seiner Vertrauten zu beschneiden. Symonds soll jetzt verhindert haben, dass Cain Stabschef wird. Ein Grund: Cain würde dann ihrer Freundin Allegra Stratton im Weg stehen, die im Januar als Sonder-Pressesprecherin und TVGesicht der Regierung bei Johnson anheuert. Der so düpierte Cain reichte die Kündigung ein, dem folgt nun Cummings.
Ob geplant oder nicht: Mit dem Abgang der „Brexit Boys“hat Johnson nun Spielraum für eine Brexit-Wende in letzter Minute. London zeigte sich lange wenig kompromissbereit, die Chancen auf ein Abkommen schätzten Eingeweihte zuletzt auf allenfalls 50 Prozent.