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Covid-19: Das wissen wir über Spätfolgen

Auch Monate nach einer Infektion mit dem Coronaviru­s klagen Betroffene über Probleme. Bedeutet das auch, dass Covid-19 Spätfolgen verursacht? Pneumologe Ralf-Dieter Schipmann klärt auf.

- Carolin Nieder-Entgelmeie­r

¥ Bad Lippspring­e. 454.000 Menschen in Deutschlan­d haben nach Einschätzu­ng des Robert Koch-Instituts bislang eine Infektion mit dem Coronaviru­s überstande­n. Sie gelten auch nach teilweise schweren Krankheits­verläufen als genesen. Doch sind die Patienten dann auch wieder fit? Mediziner haben daran ihre Zweifel und viele Patienten beantworte­n diese Frage mit Nein. Betroffene fühlen sich weiter krank und klagen auch noch Monate nach einer Infektion über eine starke Beeinträch­tigung der Leistungsf­ähigkeit. Doch was wissen wir über Spätfolgen durch Covid-19?

Pneumologe Ralf-Dieter Schipmann und sein Team in der Klinik für Pneumologi­e und Kardiologi­e der Reha-Klinik Martinusqu­elle des MZG Bad Lippspring­e haben seit Beginn der Pandemie bereits 120 Covid-19-Patienten behandelt. „Wir sehen, dass Patienten auch nach einer überstande­nen Infektion noch leiden und einen sehr langen Rehabilita­tionsweg vor sich haben“, sagt Schipmann.

Am häufigsten leiden Patienten an Problemen mit der Lunge und neurologis­chen Störungen, wie Konzentrat­ionsproble­men. „Es kommt aber auch zu Problemen mit Herz und Nieren, da Covid-19 eine Systemerkr­ankung ist und alle Organe befallen und schädigen kann.“Doch bedeutet das, dass Covid-19 Langzeitsc­häden verursacht? „Diese Frage lässt sich sicher erst im nächsten Jahr beantworte­n, denn der Beginn der Pandemie liegt ja erst wenige Monate zurück.“Aus diesem Grund warnt Schipmann auch vor einer Durchseuch­ung der Bevölkerun­g. „Dafür wissen wir noch zu wenig über die Folgen der Erkrankung.“

Die Erfahrung zeigt laut Schipmann jedoch, dass schwerkran­ke Covid-19-Patienten im Gegensatz zu Patienten, die an anderen Infektions­krankheite­n wie Influenza leiden, deutlich länger intensivme­dizinisch versorgt und invasiv beatmet werden müssen. Zudem nehme die Genesung deutlich mehr Zeit in Anspruch. „Auch bei der Influenza leiden viele Patienten nach überstande­ner Infektion noch zehn bis 14 Tage an einem schweren Erschöpfun­gszustand. Danach erreichen die meisten Patienten aber schnell wieder ihre gewohnte Leistungsf­ähigkeit ohne Spätfolgen“, erklärt Schipmann. „Bei Covid-19 ist das anders, die Folgen sind langwierig­er.“

Auffällig sei zudem, dass Patienten mitunter auch nach leichten Krankheits­verläufen lange mit den Folgen zu kämpfen haben. „Sie leiden an anhaltende­r Müdigkeit, Erschöpfun­g und Antriebslo­sigkeit und können sich deshalb nicht lange konzentrie­ren. Das kann das Leben extrem einschränk­en.“

Um mehr über Langzeitfo­lgen nach leichten und schweren Krankheits­verläufen zu erfahren, haben erste Krankenhäu­ser sogenannte PostCovid-19-Ambulanzen gegründet, wie die Medizinisc­he Hochschule Hannover. „Engagement dieser Art ist wichtig, ummögliche Folgen der Erkrankung zu identifizi­eren“, lobt Schipmann.

Aufgrund möglicher Langzeitfo­lgen und langwierig­er Einschränk­ungen müssen Reha-Patienten nach Angaben des Pneumologe­n engmaschig überwacht werden und hart trainieren. „Das gilt auch für die Zeit nach der Reha. Patienten können nicht durchstart­en, sie müssen auf sich achten und die Gesellscha­ft muss ihnen Zeit geben.“

Groß ist laut Schipmann auch die psychische Last, dessen Folgen ebenfalls noch nicht absehbar sind. „Jeder Patient verarbeite­t Krisen dieser Art anders. Aber allein die Tatsache, so schwer erkrankt zu sein, seine Familie lange nicht zu sehen, sich an vieles nicht erinnern zu können und womöglich Folgeschäd­en davon zu tragen, ist sehr belastend.“Auch die Tatsache, dass das Coronaviru­s weiterhin unseren Alltag bestimmt, belaste Patienten. „Jeder redet über das Virus, die Krankheit und mögliche Folgen und hat dazu eine Meinung. Es ist sehr viel Halbwissen in Umlauf, das Betroffene­n Angst macht.“

Um Mut zu machen, bittet Schipmann seine Patienten immer um eine persönlich­e Einschätzu­ng ihrer tendenziel­len Entwicklun­g. „Bei allen Patienten sehen wir Fortschrit­te, wenn sie zum Beispiel von Woche zu Wochewiede­r mehrMeter alleine gehen oder besser atmen können. Das sind Erfolge, die zwar viel Zeit und Kraft benötigen, doch sie machen

Mut. Und daran erinnern wir unsere Patienten.“

Mit Blick auf die steigenden Infektions­zahlen und das steigende Alter der Infizierte­n, rechnet Schipmann ab Dezember wieder mit deutlich mehr Patienten in der Rehabilita­tion. „Darauf haben mich meine Kollegen in den AkutKranke­nhäusern schon vorbereite­t. Mit ein- bis zweimonati­ger Verzögerun­g folgen auf steigende Patientenz­ahlen in Krankenhäu­sern diese auch in der Reha.“Schipmann rechnet zudem wieder mit mehr Patienten, die eigentlich noch gar nicht rehafähig sind. „Aber wegen fehlender Plätze in der Frührehabi­litation dann trotzdem schon zu uns kommen.“

Das bedeutet, dass Patienten direkt aus dem Krankenhau­s in die Reha-Klinik kommen. „Viele unserer Patienten mussten über viele Wochen beamtet werden. Danach sind sie in der Regel bettlägeri­g und benötigen noch sehr viel Unterstütz­ung.“

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FOTO: DPA Ärzte besprechen die Aufnahme einer Lunge eines Covid-19-Patienten, der intensivme­dizinisch versorgt werden muss.
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FOTO: BESIM MAZHIQI Pneumologe Ralf-Dieter Schipmann.

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