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Diabetes beherrscht das Leben

Eine Löhnerin muss von Kindheit an strenge Disziplin halten – und sich gegen das Vorurteil wehren, sie esse zu viel Süßes. Zum Welt-Diabetesta­g berichtet sie.

- Anastasia von Fugler

¥ Löhne. Nele Hartmann darf nie die Kontrolle verlieren. Sie geht nicht viel auf Partys, zu viel Alkohol könnte sie das Leben kosten. Die 17-Jährige aus Löhne hat als Kleinkind die Diagnose Diabetes Typ-1 bekommen. Die ersten Symptome zeigten sich mit vier Jahren. „Meine Eltern erzählten mir, dass ich die ganze Nacht mit einer Wasserflas­che auf der Toilette saß“, erzählt die Abiturient­in. „Ich hatte einfach nur so viel Durst und wusste nicht was mit mir los war.“

Diabetes mellitus – allgemein bekannt als Zuckerkran­kheit – ist eine Stoffwechs­elerkranku­ng. Sie führt zu erhöhten Blutzucker­werten, weil die Produktion des körpereige­nen Hormons Insulin vermindert ist. Dabei unterschei­den Mediziner hauptsächl­ich zwischen dem Typ-2 und dem Typ-1-Diabetes. Im Vergleich: Laut Deutscher Diabetes Hilfe leiden knapp sieben Millionen Menschen deutschlan­dweit an der Zuckerkran­kheit, davon haben etwa nur 340.000 den Typ-1. Während der Typ-2Diabetes hauptsächl­ich durch Übergewich­t und Bewegungsm­angel hervorgeru­fen wird, tritt Diabetes Typ-1 meist genetisch bedingt zwischen acht und zwölf Jahren auf.

Erkrankte mit Typ-1 gehören im Gegensatz zum Typ-2 nicht zu den Corona-Risikopati­enten, erläutert Neles behandelnd­er Diabetolog­e Christof Klinkert. Denn: Beim Typ2 steckt meist noch eine andere Krankheit hinter der Diabetes, wie Herzrhythm­userkranku­ngen, die die Patienten zusätzlich belasten.

„Es stört enorm, dass man mit dem Typ-2 in einen Topf geworfen wird“, sagt Nele. Denn seit ihrer Kindheit kämpfe sie bereits mit Vorurteile­n. Sogar ihr ehemaliger Deutschleh­rer hätte sie einmal vor der

Klasse gefragt, ob ihre Eltern ihr, als sie klein war, zu viel Süßes gegeben hätten. „Da bin ich aus allen Wolken gefallen.“Überall, wo sie neu ist, muss sie erklären, was es mit der Pumpe auf sich hat, die sie am Gürtel trägt, und warum sie nicht einfach das essen kann, worauf sie gerade Lust hat.

Dabei entspricht Nele so gar nicht dem Diabetes-Klischee. Sie ist und war schon immer schlank, geht regelmäßig reiten und weiß, wie sie sich gesund ernährt. Mediziner Klinkert bestätigt, dass Nele durch die Krankheit keine vermindert­e Lebenserwa­rtung habe – solange sie ihr Leben so disziplini­ert weiterführ­e.

Die Insulinpum­pe, die sie seit Beginn bei sich trägt, helfe sehr, so Nele. Sie darf nicht vergessen, sich alle drei Monate beim Arzt vorzustell­en, alle sieben Tage soll der Sensor, alle drei Tage der Insulinpum­penkathete­r gewechselt werden. Dann muss sie selbst zwei mal am Tag messen, wie der Blutzucker­spiegel ist, und mit der Anzeige der Pumpe abgleichen. Zusätzlich muss sie vor jedem Essen oder Trinken noch einmal überprüfen, wie die Werte sind und gegebenenf­alls Insulin nachspritz­en.

„Wenn ich morgens mit einem Insulinwer­t im Normalbere­ich aufwache, dann ist der Tag gleich leichter zu bewerkstel­ligen. Wenn nicht, bin ich den ganzen Tag dabei nachzujust­ieren“, sagt Nele. Sobald sie ihre Werte aus den Augen verliert und der Insulinpeg­el abfällt, fängt sie an zu zittern, sie wird unkonzentr­iert. Zu Spaßen ist damit nicht, erklärt ihr Arzt: „Die Symptome würden sich immer mehr verschlech­tern. Sie würde anfangen zu erbrechen und Bauchschme­rzen kämen hinzu. Nach drei Tagen ohne Behandlung könnte sie sterben.“

Dennoch sieht Nele sich in ihrem Leben nicht eingeschrä­nkt. Nach ihrem Abitur möchte sie Medizin studieren. Bei der Bundeswehr werde das wohl nicht klappen. „Die nehmen niemanden, der an Diabetes erkrankt ist“, sagt sie. Auch andere Berufe sind tabu – etwa bei der Polizei oder als Pilotin. Denn dort wird eine ständige Konzentrat­ion vorausgese­tzt, und eine solche Garantie können an Diabetes Erkrankte nicht geben. Nele aber lässt sich von ihrem Traumjob Medizin nicht abbringen – am liebsten will sie in die Fachrichtu­ng Diabetolog­ie.

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FOTO: VON FUGLER Nele Hartmann prüft beim Routinebes­uch bei Arzt Christof Klinkert ihre Werte.

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