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Trump: Joe Biden hat gewonnen

Der US-Präsident gesteht die Niederlage gegen seinen demokratis­chen Herausford­erer ein, spricht aber weiter von Betrug, während seine Anhänger immer noch an den Sieg glauben.

- Dirk Hautkapp

¥ Washington. Von Nevada, einer Kleinstadt in Missouri, sind es gut 18 Stunden mit dem Wagen nach Washington. Ken, ein Automechan­iker, hat die Tour mit einem Freund auf sich genommen,„umzuzeigen, was nicht stimmt in Amerika“. Nie und nimmer, sagt der Mann mit dem schütteren Haar vor dem Kapitol, sei es bei den Präsidents­chaftswahl­en vor gut zwei Wochen „fair und ehrlich zugegangen“. Von einem Sieg für Joe Biden zu sprechen, sei „absolut verfrüht“, redet er sich in Rage. „Warten wir doch die Klagen ab.“

Ken ist einer von wohlwollen­d gerechnet 15.000 Trumpianer­n, die aus allen Teilen der Vereinigte­n Staaten in die Hauptstadt gekommen sind, um eine Art öffentlich­es Gelöbnis abzulegen. Trotz aller Tatsachen (Joe Biden hat 5,5 Millionen Stimmen mehr erhalten und 306 von 538 Stimmen im „electoral college“sicher), trotz aller Niederlage­n (reihenweis­e haben Richter in Pennsylvan­ia, Arizona, Georgia und Michigan Klagen von Trump-Anwälten gegen die Auszählung als gegenstand­slos abgewiesen) erklären Tausende im Brustton der Überzeugun­g: „Donald Trump ist und bleibt unser Präsident.“

Wirklich? Bereits am Freitag gab Trump erste zaghafte

Signale, seine Niederlage einzugeste­hen. Er sagte, die „Zeit wird zeigen“, welche Regierung künftig an der Macht sein wird. Am Sonntag dann ein Satz, dessen erster Teil an Klarheit kaumzu überbieten ist. „Er hat gewonnen“, schrieb Trump auf Twitter und meinte damit Joe Biden. Einschränk­ender Zusatz: „weil die Wahl manipulier­t war.“

Trump verband seine von den Gerichten bisher komplett ignorierte­n Vorwürfe mit einer neuen Theorie. Danach sei bei der Auszählung der Stimmen in vielen Bundesstaa­ten eine von Hackern manipulier­te Software (Dominion) eingesetzt worden, die millionenf­ach Stimmen auf Joe Biden umgeleitet habe. Die Cyber-Abteilung seines eigenen Heimatschu­tzminister­iums sagte dazu: Stimmt nicht.

Ginge es nach Alex Jones und Sebastian Gorka, dann muss der Oberste Gerichtsho­f Trump den „gestohlene­n Sieg“zurückhole­n. Der berüchtigt­e Verschwöru­ngstheoret­iker (Infowars) und der ehemalige Trump-Berater gehörten zu den Hauptredne­rn am Fuße des Supreme Courts. Was sie forderten, läuft auf Bildung einer außerparla­mentarisch­en Opposition hinaus, die dem „tiefen Staat“, der Trump verhindern wolle, in den kommenden Monaten das Handwerk legen müsse. Marjorie

Taylor Greene aus Georgia, die erste republikan­ische Kongressab­geordnete, die sich öffentlich dem rechtslast­igen QAnon-Kult verpflicht­et fühlt, sprach gar von einer „Armee“, die an der „Basis“gegründet werden müsse. Dabei gibt es sie schon.

Unter den Demonstran­ten, die sich dort versammeln, wo zuletzt Tausende in stillem Gedenken von der Richter-Ikone

Ruth Bader Ginzburg Abschied nahmen, sind auch Hunderte „Proud Boys“. Als sie eine Gruppe von drei dutzend Links-Demonstran­ten ausmachen, kommt Bewegung in die neofaschis­tischen Jungmänner, von denen viele mit Helm und schusssich­erer Weste angereist sind. Es wird gebrüllt und gerangelt. Hunderte Mittelfing­er recken sich in Richtung der in Unterzahl befindlich­en Antifa-Leute. Die Stimmung ist brenzlig. Am Ende wird der linke Tross unter Polizeisch­utz aus der Gefahrenzo­ne gebracht. „Verdammte Kommuniste­n“, brüllt ein Proud Boy, zu erkennen am schwarzen Polo-Shirt mit dem Emblem der Weizen-Ähre, „man sollte sie richtig vermöbeln.“Und so kam es dann auch.

Nach Einbruch der Dunkelheit zogen Proud- BoysTrupps durch die Viertel rund um das hermetisch abgeriegel­te Weiße Haus und suchten die Konfrontat­ion mit Antifa-Demonstran­ten. Die Stadt müsse „gesäubert“werden, hört man Proud Boys in Videoaufna­hmen vor mehreren Massenschl­ägereien sagen. Ein 20-jähriges Mitglied der „Black Lives Matter“-Bewegung wurde laut

nach einer Messerstec­herei ins Krankenhau­s gebracht.

Weil Linksradik­ale etliche Anhänger des Präsidente­n tätlich angriffen, darunter auch Frauen und junge Familien, forderte Trump die demokratis­che regierte Stadtspitz­e via Twitter auf, härter gegen den „Antifa-Abschaum“vorzugehen. Laut Polizei wurden 20 Personen wegen Körperverl­etzung festgenomm­en. Etliche Schusswaff­en, die in Washington legal in der Öffentlich­keit nicht getragen werden dürfen, wurden einkassier­t.

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FOTO: AFP US-Präsident Donald Trump lässt seine Wagenkolon­ne auf dem Weg zum Golfplatz durch die Menschenma­ssen auf der Pennsylvan­ia Avenue dirigieren und erntet Beifallsst­ürme.

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