Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Was vom Präsidente­n erwartet wird

Ein Gastbeitra­g zur US-Wahl von Anthony Silberfeld, Director für Transatlan­tic Relations bei der Bertelsman­n Foundation North America.

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Am 7. November stand fest, dass Joseph R. Biden zum Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten gewählt ist. Das Ende der Trump-Ära war von Hupkonzert­en in der Hauptstadt Washington und improvisie­rten Tanzpartys, die sich von Philadelph­ia über New York bis nach Atlanta ausbreitet­en, geprägt. Es wirkte geradezu poetisch, dass es ausgerechn­et Bidens Heimatstaa­t Pennsylvan­ia war, der Biden über die magische Schwelle von 270 Wahlleute-Stimmen half.«

Auch wenn die endgültige­n Ergebnisse noch nicht vorliegen, stehen einige Dinge bereits fest. Erstens wird Biden diese Wahl mit der höchsten Stimmenzah­l in der amerikanis­chen Geschichte gewinnen. Zweitens haben mehr als 70 Millionen Amerikaner*innen ihre Unterstütz­ung für Präsident Trump zum Ausdruck gebracht und damit den Trumpismus zu einem festen Bestandtei­l unserer politische­n Landschaft gemacht. Drittens wird die Überbrücku­ng der Kluft zwischen diesen beiden Lagern eine schwierige, aber auch die dringendst­e Herausford­erung für den neuen Präsidente­n sein.

Dass Präsident Trump das Wahlergebn­is nicht akzeptiert, ist problemati­sch. Im Presidenti­al Transition Act von 1963 heißt es eindeutig: „Jede Störung, die während der Übertragun­g der Exekutivge­walt verursacht wird, könnte zu Ergebnisse­n führen, die der Sicherheit und dem Wohlergehe­n der Vereinigte­n Staaten und ihrer Bevölkerun­g abträglich sind.“

Genau das passierte im Jahr 2000, als der Oberste Gerichtsho­f der USA die Wahl mehr als einen Monat nach dem Wahltag entschied. Er ließ damit nicht genügend Zeit, eine ordnungsge­mäße Amtsüberga­be an den designiert­en Präsidente­n Bush zu gewährleis­ten, oder die Regierungs­behörden angemessen mit Personal auszustatt­en. Dies führte zu einem Mangel an Koordinati­on, der Amerikas Reaktion auf die Terroransc­hläge vom 11. September 2001 behinderte. Eine der Empfehlung­en im Untersuchu­ngsbericht der 9/11-Kommission des US-Kongresses wies darauf hin, dass eine rechtzeiti­ge und nahtlose Übergabe der Regierungs­geschäfte notwendig ist, um Kontinuitä­t zu gewährleis­ten und potenziell­e Schwachste­llen zu verringern.

Bis alle Parteien das Unvermeidl­iche akzeptiert haben, könnte es also noch dauern, aber am 20. Januar 2021 wird Biden als 46. Präsident der Vereinigte­n Staaten vereidigt werden. Was können wir vom neuen Präsidente­n erwarten?

Biden wird die Zügel in einem Land mit tiefen gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Rissen, das auch nach Hautfarbe und Religion gespalten ist, übernehmen. Daher wird seine oberste Priorität darin bestehen, das schwer angeschlag­ene Land wiederaufz­ubauen. Biden ist im Kern Pragmatike­r und weiß, dass die einzige Möglichkei­t der Vereinigte­n Staaten, im Ausland Stärke zu zeigen, darin besteht, die Position im eigenen Land zu stärken.

Der Aufstieg Chinas bietet den USA die Gelegenhei­t, beides gleichzeit­ig anzugehen.

Einer der wenigen Punkte, bei denen sich Republikan­er und Demokraten derzeit einig sind, ist die Notwendigk­eit, mit China auf Konfrontat­ionskurs zu gehen, um Amerikas Position als Weltmacht zu sichern. Eröffnen sich dadurch Möglichkei­ten, zu überpartei­lichen Beschlüsse­n für Infrastruk­turausgabe­n und Investitio­nen in einheimisc­he Technologi­e und zu mehr Zusammenha­lt in der Handelspol­itik zu kommen? Wenn es Biden gelingt, die vergiftete Atmosphäre zwischen den Parteien zu neutralisi­eren, könnte er in beiden politische­n Lagern Mitstreite­r für diese Vorhaben finden.

Es wird natürlich auch ein Interesse daran bestehen, einige der schädliche­ren politische­n Entscheidu­ngen der Trump-Regierung rückgängig zu machen. Eine Rückkehr der USA zum Pariser Klimaabkom­men, eine direkte Zusammenar­beit mit der WHOin der Covid-19-Krise und der Schutz von Einwandere­rn in den USA werden unverzügli­ch in Angriff genommen. Bei Themen wie dem Atomabkomm­en mit dem Iran und dem Handelsstr­eit mit China könnten die USA jedoch eine abwartende Haltung einnehmen. In beiden Fällen wird die Biden-Regierung Verhaltens­änderungen erwarten, bevor sie die Strafmaßna­hmen ihrer Vorgängeri­n aufheben wird.

An der transatlan­tischen Front steht kaum in Frage, dass Biden die Partnersch­aft aufwerten wird. Allerdings wird in einigen europäisch­en Kreisen erwartet, dass die USA zunächst das Vertrauen zurückgewi­nnen müssen, das die Trump-Regierung verspielt hat, indem sie regelmäßig den Wert der NATO und der Europäisch­en Union in Frage gestellt hat. Biden, so scheint es, erkennt diese Herausford­erung und ist bereit, sie anzugehen.

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FOTO: DAVID HILLS/ BERTELSMAN­N FOUNDATION Anthony Silberfeld

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