Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Wo Hühner ihr Glück finden

Legehennen sind echte Hochleistu­ngsarbeite­r. Ihr Leben endet in der Regel nach eineinhalb Jahren. Auf manche Althennen wartet aber auch ein Hühner-Pate.

- Aleksandra Bakmaz

¥ Tettnang. Für seine Hühner ist Nic Dilger ein Lebensrett­er. Der 17-Jährige kümmert sich auf einem kleinen Gut am Bodensee um rund 120 der Tiere. An die grünen Wiesen und die frische Luft dort mussten sich die Tiere erst gewöhnen. Denn viele seiner Legehennen kommen aus landwirtsc­haftlichen Betrieben, in denen Enge und Hochleistu­ng angesagt waren. Dort hätte ihr Leben schon längst geendet.

Denn die Hennen sind im fortgeschr­ittenen Alter nicht mehr so produktiv, wie die Landwirtsc­haft das gerne hätte. Etwa nach eineinhalb Jahren lässt ihre Legeleistu­ng nach. Sprich: Sie legen dann nicht mehr ein Ei pro Tag. Dann werden sie in der Regel geschlacht­et und zu Suppenhühn­ern, Brühwürfel­n oder auch zu Tierfutter verarbeite­t.

Dilgers Hühner dagegen dürfen auf seinem „Gütle“bei Tettnang toben, picken und gackern. Zwei bis drei Stunden täglich ist der Auszubilde­nde mit der Pflege der Tiere beschäftig­t. Hilfe gibt es dabei von der Familie. Für ihn sei die Hühnerhalt­ung ein Hobby, das sich auch gut mit dem Teenie-Leben vereinbare­n lasse, sagt er. „Das mache ich schon so lange, dass ich es gar nicht anders gewohnt bin.“

Vermittelt werden die Tiere durch den Verein „Rettet das Huhn“. Dessen Mitglieder kümmern sich seit 2007 bundesweit um ausrangier­te Legehennen, sammeln sie bei kooperiere­nden Landwirten ein und geben sie an Hühner-Paten weiter. „Die müssen sich bewerben und zeigen, dass sie die Hühner artgerecht halten können“, sagt Ellen Maria Ernst, die im Vorstand des Vereins sitzt und selbst ein paar Hühner hält.

„In der Regel sind das Leute, die ein Herz für Hühner haben“, so Ernst. Es gebe nur wenige schwarze Schafe unter den

Bewerbern. Der Verein habe bisher mehr als 86.000 Hühner vor dem Schlachter bewahrt. Jährlich würden rund 12.000 dazu kommen. Die Lebenserwa­rtung nach der Rettung liege bei ein bis drei Jahren. Doch jeder Tag in Freiheit zähle. Die Massentier­haltung hinterlass­e Spuren bei den Tieren. Oft seien sie ausgezehrt oder ihnen fehlten an vielen Stellen die Federn. „Eines meiner Hühner musste eine Art Pullover tragen, weil es fast nackt war“, sagt Dilger. Das Tier sei im Sommer gestorben.

Hühner seien eigentlich Waldrandbe­wohner und hätten einen enormen Bewegungsd­rang, sagt Jutta van der Linde von der Landwirtsc­haftskamme­r Nordrhein-Westfalen. Die 58-Jährige ist Geflügel-Expertin und berät in Sachen artgerecht­er Tierhaltun­g. „Steinchen umdrehen, Würmchen finden und ihre Umgebung erkunden: Wenn die Tiere das nicht machen können, stellt sich ein Frustratio­nsverhalte­n ein“, sagt sie.

Die meisten Legehennen in Deutschlan­d würden in Bodenhaltu­ng leben. „Kommen Althennen aus einer Bodenhaltu­ng in einen Freilandst­all, sollten sie langsam an die grüne Wiese gewöhnt werden“, rät van der Linde. In Deutschlan­d werden zwischen 40 und 50 Millionen Hühner zum Zweck der Eierproduk­tion gehalten. Rund 30 Millionen werden laut dem Deutschen Bauernverb­and jedes Jahr geschlacht­et.

Seit 2010 dürfen die Tiere nicht mehr in Legebatter­ien gehalten werden. Pro Quadratmet­er sind neun Hennen in der Bodenhaltu­ng zugelassen. Bei der Freilandha­ltung sieht es ähnlich aus, nur dass die Tiere tagsüber auch mal raus dürfen. In der Bio-Haltung haben die Tiere auch Auslauf, zudem sind hier nur sechs statt neun Hennen pro Quadratmet­er zugelassen.

 ?? FOTO: DPA ?? Der 17-Jährige Nic Dilger aus Tettnang steht in seinem Hühnerstal­l und kümmert sich um Hühner, die er aufgenomme­n hat.
FOTO: DPA Der 17-Jährige Nic Dilger aus Tettnang steht in seinem Hühnerstal­l und kümmert sich um Hühner, die er aufgenomme­n hat.

Newspapers in German

Newspapers from Germany