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Corona: Viele Todesfälle nach Klinikaufenthalt
Die erste bundesweite Langzeitstudie zeigt, dass 30 Prozent der Covid-19-Patienten sechs Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus sterben. Zudem müssen ebenso viele Patienten nach dem ersten Klinikaufenthalt erneut eingewiesen werden.
¥ Berlin/Bielefeld. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie hat Covid-19 in Deutschland bislang 91.834 Menschen das Leben gekostet. Die erste bundesweite Langzeitstudie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (Wido) zeigt nun, dass die Zahl der Opfer deutlich nach oben korrigiert werden muss, da 30 Prozent der stationär behandelten Covid19-Patienten sechs Monate nach ihrem Klinikaufenthalt sterben. „Diese Zahlen zeigen, dass Covid-19 auch nach dem initialen Krankenhausaufenthalt zu vielen Todesfällen führt, insbesondere bei älteren Menschen. Die Krankheit hat damit auch langfristig schwerwiegende Folgen“, sagt Studienleiter Christian Günster.
Untersuchung
In die Studie sind die Daten von 8.679 bei der AOK versicherten Covid-19-Erkrankten einbezogen worden, die während der ersten Welle vom 1. Februar bis zum 30. April 2020 nach einer Infektion mit dem Coronavirus stationär behandelt wurden. Das Durchschnittsalter der Patienten liegt bei 69 Jahren. Die Studie ist repräsentativ, da die Abrechnungsdaten der AOK etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung abbilden.
Ergebnisse
Das Ergebnis der Untersuchung: 25 Prozent der 8.679 Covid-19-Patienten verstarben im Krankenhaus. Von den 6.235 Überlebenden mussten 27 Prozent, also 1.668 Patienten, innerhalb eines halben Jahres nach der ersten Klinikbehandlung wieder im Krankenhaus aufgenommen werden. In den meisten Fällen aufgrund von Atemproblemen oder neurologischen Störungen.
„Der Befund aus früheren Auswertungen, dass ungefähr ein Viertel der stationär behandelten Covid-19-Patienten während des Krankenhausaufenthalts stirbt, hat sich auch in unserer Analyse bestätigt“, sagt Günster. „Die längerfristige Betrachtung ermöglicht nun zusätzlich einen Blick auf die schwerwiegenden Langzeitfolgen der Erkrankung.“So starben von den 8.679 Erkrankten 24 Prozent im ersten Monat nach der Krankenhausaufnahme. Drei Monate nach der Erstaufnahme lag der Anteil der Verstorbenen bereits bei 28 Prozent, sechs Monate danach bei 30 Prozent.
Risikofaktoren
Besonders häufig betroffen sind davon laut der Studie Patienten im hohen Alter und mit bestimmten Vorerkrankungen: „Mehr als jeder zweite über 80-Jährige war ein halbes Jahr nach stationär behandeltem Covid-19 verstorben“, erklärt Günster. Der größte Anstieg der Sterblichkeit war zudem bei Patienten mit Blutgerinnungsstörungen, Lebererkrankungen und Adipositas mit einem Body-MassIndex von über 40 zu verzeichnen.
Überwachung
Doch können die vielen Todesfälle nach den Klinikaufenthalten verhindert werden? Die Studienautoren fordern, dass Covid-19-Patienten, die nach schweren Krankheitsverläufen aus der Klinik entlassen werden, in der Nachsorge engmaschig überwacht werden. Dazu rät auch Intensivmediziner Bernd Schönhofer, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin am Evangelischen Klinikum Bethel: „Die Untersuchung zeigt deutlich, dass neben hochbetagten Patienten auch solche mit Blutgerinnungsstörungen, Lebererkrankungen und Übergewicht ein stark erhöhtes Sterblichkeitsrisiko nach der Klinikentlassung haben, weshalb sie sehr genau überwacht wererfasst und viele Patienten, die in der Statistik als genesen gelten, sind es nicht.“
Besonders häufig verstarben laut der Studie beatmete Covid-19-Patienten, insgesamt 52 Prozent. Bei nicht beatmeten Patienten lag die Sterblichkeit nur bei 24 Prozent. Für Pneumologe Maik Brandes, Chefarzt der Klinik für Pneumologie, Schlaf- und Beatmungsmedizin am Klinikum Lippe, ist das nicht überraschend. „Auf der Intensivstation müssen häufig sehr alte und mehrfach erkrankte Menschen beatmet werden, die zwar dank der guten Versorgung auch eine schwere Krankheit wie Covid-19 überleben können, jedoch nicht von ihren Grunderkrankungen geheilt werden können.“
Zudem schwächt eine intensivmedizinische Versorgung Patienten laut Brandes stark. „Der Allgemeinzustand der Patienten verschlechtert sich häufig, in dessen Folge das Sterblichkeitsrisiko auch nach dem Klinikaufenthalt deutlich erhöht bleiben kann. Das gilt für Covid-19, aber auch für andere schwere Erkrankungen.“
Folgen
Die Untersuchung sollte aus Sicht der Studienautoren zudem zum Anlass für eine Bewertung genommen werden, umherauszufinden, ob die derzeitige Intensivtherapie – insbesondere die Beatmung bei Patienten über 80 Jahre – angesichts der hohen Sterblichkeitsraten wirklich wirksam ist. Dafür sprechen sich auch die Intensivmediziner Brandes und Schönhofer aus OWL aus.
„Die Ausschöpfung aller therapeutischen Maßnahmen dient nicht immer dem Wohl der Patienten, das gilt insbesondere für hochbetagte und multimorbide Menschen, die im Pflegeheim leben“, sagt Brandes.
Entscheiden sich Patienten oder Angehörige informiert gegen eine Behandlung auf der Intensivstation, müsse das akzeptiert werden. „Ebenso wie der Wunsch, die Therapiemöglichkeiten voll auszuschöpfen.“Die Studie macht laut Schönhofer zudem deutlich, dass auch die bestmögliche intensivmedizinische Versorgung Grenzen hat.