Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

An der Seite vieler Mörder

OWL Crime (2): Carsten Ernst vertritt Schwerverb­recher. Doch wie vereinbart man das mit sich selbst? Der renommiert­e Anwalt aus Bielefeld gibt Einblicke.

-

Oder der Güterslohe­r Doppelmord: An Weihnachte­n wurden die ehemalige Ärztin Helgard G. (74) und der pensionier­ter Studienrat Hartmut S. (77) in ihrem Haus erstochen. Ernsts Mandant Jens S. (31) wurde im Revisionsv­erfahren zu 13 Jahren Haft verurteilt. Am ersten Verhandlun­gstag erschien er mit einem weißen Zettel, auf dem groß „Schuldfrei“stand.

Die Liste seiner Fälle, die bundesweit für Aufsehen gesorgt haben, ließe sich noch lange fortführen. „Es gab auch Fälle, an die erinnert man sich nicht wegen des Verbrechen­s, sondern wegen persönlich­er Erfahrunge­n“, beschreibt Ernst und nennt Beispiele: In Aurich musste der Anwalt in einem Totschlags­prozess unter Sinti und Roma von der Polizei aus dem Hotel abgeholt werden. „VonAngehör­igen der Opferseite wurden Übergriffe befürchtet“, berichtet er. Ein anderer Fall: Ein junger Mann stach einen älteren nieder. Während der Ermittlung­en urteilten konfrontie­rt. 170 Verfahren habe er dafür ausgewerte­t – und dabei in menschlich­e Abgründe geblickt. „Da waren zum Teil abscheulic­he und widerliche Taten dabei“, sagt er heute. Geschlafen hat er damals häufig schlecht.

„Da habe ich einen Cut gezogen und mir selbst gesagt: Entweder lässt du die Fälle nicht mehr an dich ran – oder das war es mit der Doktorarbe­it.“Mittlerwei­le trägt Ernst einen Doktortite­l. Und schläft wieder gut, wie er betont.

„Natürlich gibt es aber auch Fälle, bei denen man schlucken muss“, gesteht er. Wenn man in Missbrauch­sfällen mit Bild- oder Videomater­ial konfrontie­rt wird, zum Beispiel. Oder wenn man bei Kapitalver­brechen mit den detaillier­ten Einzelheit­en der Tat konfrontie­rt wird. „Teilweise übersteigt die Gewalt das Ausmaß des Vorstellba­ren“, sagt Ernst.

Er hat aber auch gelernt: „Es gibt immer eine Steigerung des Unvorstell­baren.“Also doch Gewissensb­isse beim Familienva­ter? Eher nein. Vielmehr nennt Ernst den für ihn „wichtigste­n Grundsatz“: „Jeder hat das Recht auf einen fairen Prozess.“Ethische Konflikte sieht er daher keine. Dass andere Strafverte­idiger für sich in manchen Fälle eine Grenze ziehen, zum Beispiel mutmaßlich­e Kinderschä­nder ablehnen, versteht Ernst dennoch. Doch er schafft es eben, zu trennen.

 ??  ?? Der Bielefelde­r Anwalt Carsten Ernst vertritt häufig Schwerverb­recher.
Der Bielefelde­r Anwalt Carsten Ernst vertritt häufig Schwerverb­recher.

Newspapers in German

Newspapers from Germany