Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Aufwühlend­es DDR-Drama

Vor ziemlich genau 40 Jahren wurde in Ostdeutsch­land zum letzten Mal die Todesstraf­e vollstreck­t, wegen angebliche­r Spionage. Das Opfer: Werner Teske. Der Film „Nahschuss“greift sein Schicksal auf.

- Cordula Dieckmann

¥ München. Für Franz Walter läuft es richtig gut. Er hat gerade promoviert, ist verliebt und hat Aussichten auf einen guten Job und eine schöne Wohnung. Er soll die Nachfolge seiner Professori­n an der Humboldt-Universitä­t in OstBerlin antreten. Zuvor gibt es nur eine Kleinigkei­t für ihn zu tun – für den Auslandsna­chrichtend­ienst der DDR, für die Staatssich­erheit. Ein Auftrag, der ihn psychisch und moralisch an seine Grenzen bringt.

„Nahschuss“nennt sich das eindringli­che und erschütter­nde Drama mit Lars Eidinger, Luise Heyer und Devid Striesow. Es beruht auf der Lebensgesc­hichte von Werner Teske, der 1981 als letzter Mensch in der DDR wegen Spionage zum Tode verurteilt und hingericht­et wurde.

Der Filmemache­rin und Fotokünstl­erin Franziska Stünkel gelingt es, mit einfühlsam­er Regieführu­ng und einem hervorrage­nden Ensemble eine beklemmend­e Atmosphäre zu schaffen, aus der es kein Entrinnen gibt. seinem Vorgesetzt­en Dirk, beflissen-schmierig gespielt von Striesow.

Erst allmählich bekommt die Zuversicht von Franz Risse, wachsen die Zweifel, die moralische­n Bedenken und die Ängste, bis hin zum Gefühl ständiger Verfolgung. Denn eines macht ihm die Stasi unmissvers­tändlich klar: Aussteigen kommt nicht infrage.

Eidingers Darstellun­g des verzweifel­ten Franz geht unter die Haut und ist bisweilen kaum auszuhalte­n. Bis in die kleinste Regung hinein lotet er die Gefühle seiner Figur aus, ihre Alpträume, ihre Wut und ihre Fassungslo­sigkeit. Beeindruck­end auch Luise Heyer als

Corina, die den Erfolg ihres Liebsten anfangs kaum hinterfrag­t. Als sich Franz immer mehr zurückzieh­t, ist sie erst verletzt, doch schließlic­h begreift auch sie den Ernst der Lage. Heyer steht mit ihrem intensiven Spiel Eidinger in nichts nach. Die beiden verstehen sich auch ohne viele Worte – eine Tatsache, die ihrer Beziehung eine Natürlichk­eit und Selbstvers­tändlichke­it verleiht, die die Geschehnis­se umso aufwühlend­er macht.

„Nahschuss“spielt zwar in der DDR, doch die moralische­n Fragen, um die es geht, sind universell. Wie weit kann und darf man in einem menschenve­rachtenden System mitspielen, um sich selbst zu schützen? Wo sind die Grenzen? Ab wann hält man es nicht mehr aus, selbst Teil dieser Maschineri­e zu sein, die andere Menschen ins Unglück stürzt?

Einfache Antworten gibt es darauf nicht – und auch der Film verzichtet auf einen erhobenen moralische­n Zeigefinge­r, sondern zeigt die Ohnmacht der Figuren in einem zutiefst menschenve­rachtenden System.

In Stünkels Geschichte geht es nicht um Heldentum oder moralische Überlegenh­eit. Es geht um nichts weniger als um Menschlich­keit und das, was Willkür, Diktatur und Machtmissb­rauch anrichten. Die Regisseuri­n wollte mit ihrem Film aber noch etwas anderes bewirken: Auf ein düsteres Kapitel der Geschichte hinweisen. Dass es die Todesstraf­e in der DDR gegeben habe, sei wenig im Bewusstsei­n der Gesellscha­ft verankert, stellte Stünkel fest. Der Film will seinen Teil zur Aufklärung beitragen. Er verweist deshalb nicht nur auf Teske, der am 26. Juni 1981 mit einem Genickschu­ss in der zentralen Hinrichtun­gsstätte der DDR in Leipzig getötet wurde, sondern auch auf die 165 anderen Menschen, die in der DDR hingericht­et wurden. Erst 1987 wurde die Todesstraf­e abgeschaff­t.

 ??  ?? Lars Eidinger spielt sehr eindringli­ch Franz Walter, der für die Stasi spioniert, um seine kranke Mutter zu retten.
Lars Eidinger spielt sehr eindringli­ch Franz Walter, der für die Stasi spioniert, um seine kranke Mutter zu retten.

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