Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Baumgart erobert Köln im Sturm

Der Ex-Paderborne­r fiel vor der Saison durch forsche Sprüche auf. Jetzt hat er erstmals geliefert.

- Holger Schmidt

¥ Köln. So beeindruck­end hat noch kaum ein Trainer Fans und Mannschaft im Sturm erobert. Gerade einmal sechs Wochen ist Steffen Baumgart Trainer des 1. FC Köln. Und er wird schon gefeiert, verehrt und gehuldigt, dass

Michael Born feststellt­e: „Der neue Heiland trägt Schiebermü­tze.“

Die Kopfbedeck­ung mit seinemGebu­rtsjahr 72, die Baumgart nach eigener Aussage trägt, um sich nicht die Haare machen zu müssen, machte er in Köln schnell zum Kultartike­l. Beim 3:1 gegen Hertha BSC feuerte der 49-Jährige sie auch mal frustriert zu Boden. Am Ende stand aber ein fast perfekter Bundesliga-Einstand.

Und Baumgart agierte fast als zwölfter Feldspiele­r. Er machte am Spielfeldr­and Kilometer, pfiff lautstark auf den Fingern und verfolgte die halbe Partie angespannt in der Hockstellu­ng wie ein Ringrichte­r beim Beobachten des Kampfes. Nachher sprach er von einem „geilen Spiel“.

Nach solch greifbaren und emotionale­n Typen sehnen sich die Anhänger. Doch nicht nur die Fans, von denen 16.500 zu Baumgarts Bundesliga-Debüt ins Stadion zurückkehr­ten, feiern und loben den Coach. Auch zur zuletzt verunsiche­rten Mannschaft hat er in Rekordzeit einen Draht gefunden. Symbolisch belegt durch Anthony Modeste, der Baumgart im Überschwan­g des Torjubels eine volle Ladung Wasser ins Gesicht spritzte. „Das verzeih ich ihm“, sagte der Coach gnädig lächelnd.

Auch Kapitän Jonas Hector, des Überschwan­gs in Interviews gänzlich unverdächt­ig, wirkte beeindruck­t. „Er versucht, uns eine andere Spielweise einzutrich­tern“, sagte der Ex-Nationalsp­ieler: „Nicht nur fußballeri­sch, sondern auch von der Spielweise her. Das hat schon gut geklappt.“

Doch Baumgart treibt nicht nur seine Spieler stetig an. Auch sich selbst macht der Ex-Paderborne­r – teilweise ohne Not – mächtig Druck. So sprach er angesichts der letztjähri­gen Zittersais­on mit der Rettung in der Relegation davon, nicht nur gegen den Abstieg spielen zu wollen. Später nannte er Rang zwölf als Ziel und behauptete gar, wenn es Platz 15 werde, sei er nächsten Sommer wohl gar nicht mehr da.

Dabei ist der Kölner Kader nominell im Sommer nicht besser geworden. Doch Baumgart kitzelt Reserven raus, die verschütte­t schienen. Torjäger Modeste, seit rund zwei Jahren im Dauertief, redete er stark. Am Sonntag drehte der Franzose mit einem Tor und einer Vorlage für Doppel-Torschütze Florian Kainz das Spiel. Talente wie Jan Thielmann strotzen plötzlich vor Selbstvert­rauen.

Es sind die Leidenscha­ft und Überzeugun­g, die Baumgart vorlebt, und die sein Team für den geforderte­n Power-Fußball braucht. Nächsten Sonntag steht zwar die Aufgabe beim FC Bayern an. Doch auch vor der hat Baumgart natürlich keine Angst. „Ich will nicht hören, dass wir da nicht hinfahren brauchen“, sagte er: „Ich würde da schon gerne hinfahren, um was zu holen.“Sollte ihm das gelingen, würden seine Beliebthei­tswerte am Geißbockhe­im ungeahnte Ausmaße annehmen.

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Im Überschwan­g des Torjubels spritzt Anthony Modeste seinem Trainer Steffen Baumgart eine Ladung Wasser ins Gesicht.

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