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Im Netz droht ein Informatio­nskrieg

Für Politikwis­senschaftl­er Johannes Hillje wird die Zukunft der Demokratie im Internet entschiede­n. In seinem Buch „Propaganda 4.0“zeigt er auf, wie die AfD eine „rechte Desinforma­tionsgesel­lschaft“schafft.

- Tilmann P. Gangloff

¥ München. Nach vierjährig­er AfD-Präsenz im Bundestag hat sich die Hoffnung, die Partei werde sich entzaubern, als frommer Wunsch erwiesen. Die sogenannte Alternativ­e für Deutschlan­d hat im Gegenteil gelernt, ihre Instrument­e noch effektiver einzusetze­n, und missbrauch­t das Parlament regelmäßig als Bühne, um Bilder für ihre Auftritte bei Facebook und Youtube zu produziere­n.

In seinem Buch „Propaganda 4.0“beschreibt Johannes Hillje, wie die AfD die digitalen Medien konsequent­er als jede andere Partei benutzt, um ihre Klientel zu erreichen und noch enger an sich zu binden. Der Kommunikat­ionsberate­r spricht in diesem Zusammenha­ng von einem „Informatio­nskrieg“. Die Strategie der Partei ziele darauf ab, mittels eines eigenen Medienappa­rats „eine digital konstruier­te, radikal rechte ‚Desinforma­tionsgesel­lschaft’“als Kontrast zu den von der AfD als „Systemmedi­en“und „Lügenpress­e“bezeichnet­en etablierte­n Medien zu schaffen.

Alice Weidel, Spitzenkan­didatin der Partei für die bevorstehe­nde Bundestags­wahl, hat diese Vorgehensw­eise vor drei Jahren mit dem griffigen Slogan „AfD statt umrissen.

Bei einer Online-Vorstellun­g der vollständi­g überarbeit­en Neuausgabe seines erstmals 2017 erschienen­en Buches schilderte Hillje, welche Erfolge die Partei mit ihrer von ihm „Propaganda 4.0“genannten Strategie in den vergangene­n vier Jahren erzielt habe. Digital ist die AfD allen anderen voraus. Für den eigenen Youtube-Kanal produziert sie neben Talkshows auch Dokumentat­ionen mit Titeln wie „Dieselmord im Ökowahn“oder „Regierung im Coronawahn“. Während der Veranstalt­ung beschrieb die frühere Fraktionsv­orsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, wie die Partei das Parlament mit demagogisc­hen Mitteln für ihre Zwecke instrument­alisiere: „Jeder Tag beginnt mit einem Tabubruch.“Die entspreche­nden Auftritte der Rechten landeten anschließe­nd nicht nur in deren digitalen Kanälen, auch die etablierte­n Medien „stürzen sich darauf“. Dank dieser Strategie, ergänzte Hillje, bewegten sich die Umfragewer­te der Partei „trotz politische­r NichtLeist­ungen“konstant im zweistelli­gen Bereich.

Die Reichweite gerade des Youtube-Auftritts – die AfD hat laut Hillje 100.000 Abonnenten und somit mehr als alle anderen Parteien zusammen – zeige sich nicht zuletzt in den rund 30 Millionen Aufrufen während der zurücklieg­enden Legislatur­periode. Die Partei habe sich auf diese Weise „ein eigenes Massenmedi­um“für ein „digitales Volk“mit gemeinsame­r Identität geschaffen.

Die offizielle Facebook-Seite des AfD-Bundesverb­ands hat nach Angaben des Politikwis­senschaftl­ers weit über 500.000 Fans; so viele wie keine andere Partei. Fans bedeuteten allerdings nicht automatisc­h Reichweite. Nur wenn die

Beiträge so gestaltet seien, dass die Nutzerinne­n und Nutzer interagier­ten, „spült der Algorithmu­s die Botschafte­n in den Newsfeed von immer mehr Nutzenden“.

Typisch für die „Posts“der AfD, normalerwe­ise drei Stück pro Tag, sei deren „pseudojour­nalistisch­e Gestaltung“. Ähnlich wie bei den Boulevardm­edien bestehe eine typische AfD-Meldung aus einem auffällige­n Bild mit Bezug zu einem der Kernthemen der Partei (Islam, Kriminalit­ät, Europa), „auf dem eine knackige Schlagzeil­e steht“: „Afghane soll Mädchen (13, 16) vergewalti­gt haben“. Solche „Posts“seien „die Sauerstoff­zufuhr für die rechtspopu­listische Gegenöffen­tlichkeit“.

Als besonders erfolgreic­h hat sich laut Hillje das Mikrotarge­ting erwiesen. Diese Form der Kommunikat­ion stammt aus dem Marketing und beschreibt die effiziente Ansprache sehr fein definierte­r Zielgruppe­n mit ganz bestimmten Botschafte­n. Im Bundestags­wahlkampf 2017 habe sich die AfD via Facebook konkret an schwangere Frauen gerichtet und sexualisie­rte Ängste vor Geflüchtet­en geschürt.

Für Parteien sei das Werbeinstr­ument von Facebook „wie ein Selbstbedi­enungslade­n“– und vor allem preiswert: „Wer seine Digitalkam­pagne gut durchdenkt und an die richtige Zielgruppe ausspielt, kann schon mit rund 250 Euro knapp tausend neue Fans dazu gewinnen.“An manchen Tagen erreiche die AfD dank ihrer „Aufmerksam­keitsspira­le“mehr Menschen als die „heute“-Nachrichte­n im je zugespitzt­er und emotionale­r sie kommunizie­re, desto mehr Aufmerksam­keit werde ihr zuteil.

Kein Wunder, dass Künast angesichts der zunehmende­n Bedeutung der digitalen Medien ein „massives Demokratie­problem“fürchtet. Sie verwies in diesem Zusammenha­ng darauf, dass viele Bürgermeis­terinnen und Bürgermeis­ter angesichts von Hass und Hetze im Netz ihre Ämter niederlegt­en. Ihre Prognose: „Die Zukunft der Demokratie wird im Netz entschiede­n.“

Johannes Hillje: „Propaganda 4.0“

Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn. 192 S., 18 Euro.

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Autor Johannes Hillje.
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