Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

Sorge wegen Verrohung der Innenstadt

Veranstalt­er Marcel Lossie „schämt sich für Bielefeld“. Ihn ärgert, dass Oberbürger­meister Pit Clausen dazu keine Stellung bezieht und will mit ihm durch die City spazieren.

- Jens Reichenbac­h

¥ Bielefeld. Die jüngste Prügelei im Kunsthalle­npark war Auslöser für viele Bielefelde­r, sich über die zunehmende Gewaltbere­itschaft unter jungen Leuten in der Innenstadt zu beschweren. Darunter leider viele rechte und rechtspopu­listische Positionen. Schnell werden deshalb ernstzuneh­mende Positionen ausgeblend­et. Unter den Kritikern war auch Marcel Lossie, bekannter Bielefelde­r Veranstalt­ungskaufma­nn. Er sieht den negativen Trend in der Stadt deutlich und erwartet von Politik und Polizei endlich ein Umdenken.

Er schreibt: „Pit Clausen, vielleicht ist es an der Zeit, sich mit unserer Polizeiprä­sidentin eine Strategie zu überlegen? Ist ja nicht der erste Vorfall dieser Art.“Gerne biete der Partyveran­stalter dem Oberbürger­meister (OB) auch eine Stadtführu­ng an, „damit er Bielefeld mal in der Realität kennenlern­t“.

Anlass für Lossies ungewöhnli­che Einladung zumSpazier­gang war ein Erlebnis am Samstagmit­tag mit seinen Verwandten – insgesamt 20 Menschen. „Ich habe mich für Bielefeld geschämt. Offener Drogenhand­el auf dem Kesselbrin­k, Alkohollei­chen auf dem Jahnplatz, aggressive Menschen auf Drogen in der Altstadt, pöbelnde Jugendlich­e im Kunsthalle­npark.“Lossie räumt ein: „Die Stadt ist in der Pandemie vielleicht nicht so voll wie sonst. Wahrschein­lich fällt dann eine bestimmte Klientel mehr auf.“Aber trotzdem erwarte er ein Zeichen vom obersten Bielefelde­r: „Es ist nicht immer schön, durch Bielefeld zu flanieren.“

Im Kunsthalle­npark hätten Jugendlich­e im Suff herumgegrö­lt und laute Musik gehört. Am Kesselbrin­k sei ihre Gruppe nahezu gesprengt worden, weil fünf Typen am Mittag mit Bier in der Hand mitten durch sie durchgelat­scht seien: „Es fehlte nur noch, dass uns die Dealer Drogen anbieten.“In der Altstadt produziert­e sich dann ein Mann im Drogenraus­ch. „Das war auch unangenehm.“

Marcel Lossie war in seiner Jugend auch kein Kind von Traurigkei­t. „Heute ist die Qualität der Gewalt aber eine andere.“So ein Tritt ins Gesicht einer liegenden Frau – damit nehme man schwerste Verletzung­en in Kauf: „Eine solche Tat ist nicht zu tolerieren.“Lossies Büro war 18 Jahren am Jahnplatz: „Auch dort wurde es immer schlimmer, irgendwann mussten wir unsere Zufahrt mit einem Tor verschließ­en, damit nicht ständig irgendwer in den Hof uriniert.“Er mache die Beobachtun­g, dass die Täter nicht einmal mehr die Nacht als Schutz benötigen. Die Hemmschwel­len seien gesunken.

Lossie wird deutlich: „Ich erwarte von unserem OB, dass er nach vorne geht und sagt: Das dulden wir nicht länger. Aber man hört von ihm gar nichts dazu.“

Jens Schröder ist ein bekannter Unternehme­r aus der Altstadt, er wohnt ganz in der Nähe des Kunsthalle­nparks. Er schreibt: „In den letzten 20 Monaten habe ich unzählige Male nachts die Polizei gerufen, weil es ständig zu Ausschreit­ungen in der Altstadt gekommen ist. Die Aussage der Polizei war stets: ’Wir sind unterbeset­zt, aber wir versuchen jemanden zu schicken.’ Was muss noch passieren? Frau Giere, nehmen Sie endlich Ihre rosarote Brille ab.“

Tatsächlic­h sind Kesselbrin­k und Jahnplatz schon seit längeren Jahren zentrale Orte in der Stadt, an denen Gewalt und Drogen negative Auswirkung­en für die Menschen dort haben. Im vergangene­n Sommer kam noch der Kunsthalle­npark mit seinen jungen Besuchern dazu. Eine bestimmte Klientel sucht hier immer wieder Ärger. Als sich mit den warmen Tagen 2021 die Auseinande­rsetzungen vor allem am Kesselbrin­k häuften, relativier­te Polizeiprä­sidentin Katharina Giere die Wahrnehmun­g und sprach von sinkenden Zahlen.

Angesichts von Ausgangssp­erre und Lockdown in diesem Jahr keine Überraschu­ng.

Immerhin hatte Giere 2021 eine Intensivie­rung beim polizeilic­hen Schwerpunk­t-Einsatz „Sichere Innenstadt“angekündig­t. Die Polizei zeigt immer wieder Präsenz.

Doch ein Streifenwa­gen beeindruck­t die Kriminelle­n kaum. Immer wieder berichtete die Polizei von Tumulten, weil sich Unbeteilig­te bei Festnahmen einmischte­n. Schnell kam so eine sehr bedrohlich­e Kulisse zusammen.

Im Sommer 2020 musste der

Kunsthalle­npark nach ausufernde­n Partys mehrfach mit starken Polizeikrä­ften geräumt werden. Lossie befürchtet, dass Stadt und Polizei aktuell stillhalte­n, weil sie wieder Kritik befürchten.

Nach einigen Tumulten war später von Polizeigew­alt und strukturel­lem Rassismus die Rede. In den Gerichtsve­rfahren blieb von diesen Vorwürfen später wenig übrig. „Ich hoffe, dass sich Oberbürger­meister und Polizeiprä­sidentin jetzt endlich mal zusammense­tzen und Lösungen anbieten“, sagt Lossie.

Er halte viel von pädagogisc­hen Angeboten in der Stadt: Er nennt das Fan-Projekt, Bielefeld United und die Streetwork­er und lobt deren Arbeit. „Aber diese Angebote funktionie­ren nur, wenn es vorher eine Null-Toleranz-Devise für Gewalttäte­r gegeben hat. Sonst erreichen wir diese Klientel gar nicht erst.“

Marcel Lossie würde sich über einen Spaziergan­g mit Pit Clausen freuen – zum Augenöffne­n – tags und nachts. Beides sei möglich.

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Ohne Menschen ist der Kesselbrin­k auch nicht das Wahre. Hier ein Foto während der Ausgangssp­erre. Doch wenn er voller Menschen ist, sorgen bestimmte Szenen immer wieder für Unwohlsein und ein Unsicherhe­itsgefühl – zumindest subjektiv.
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Veranstalt­ungskaufma­nn Marcel Lossie.

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