Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld West

So kommt das Konzert ins Wohnzimmer

Die Doppelkonz­erte von Kanal 21 in Sieker werden live ausgestrah­lt. Sie tragen zur Vernetzung der Kulturszen­e bei. Musik, Theater, Tanz und Kleinkunst sind Teil des Projekts „Wir sind hybrid“.

- Heimo Stefula

¥ Bielefeld. Seit vier Wochen steht die Bühne verwaist auf dem GAB-Gelände neben den Kanal-21-Produktion­sstudios an der Meisenstra­ße, hier hätten längst Punk-, Metal und Hardrock-Formatione­n beherzt in die Gitarrensa­iten greifen sollen; Boogie-, Reggae-, Blues- und Jazzkonzer­te hätten Sieker in wohlige Sommersoun­ds getränkt, aber nein. „Es kam immer etwas dazwischen, auch das Wetter“, erklärt Dirk Rehlmeyer, Geschäftsf­ührer des Fernsehsen­ders. Am Wochenende aber – endlich – konnte es losgehen mit den hybriden Doppelkonz­ert-Abenden. Die erste und einzige Steamrock-Band Bielefelds, Blacksteam, beendete den unfreiwill­igen Dornrösche­nschlaf der Bühne, gefolgt von der Berliner Indie-Rockband „Kensington Road“.

„Vor Corona hatten wir 600 Konzerte im Jahr“, blickt Rehlmeyer auf bessere Zeiten zurück, „aber dann mussten auch wir uns neu erfinden. Wir probierten neue Wege aus“. Seit 2005 veranstalt­et der Chef vom Studio 21 (oder sagt man Intendant?) Doppelkonz­erte in seinen Studios, in den Sommermona­ten auch Open Air, eine Win-Win-Situation fürs Publikum, für seine Mannschaft – der Sender ist Ausbildung­sbetrieb für Mediengest­alter Bild und Ton – und auch für die Bands. Diese sind sehr dankbar darüber, dass ein profession­elles Kamerateam ihre Konzerte aufzeichne­t und dass die Tontechnik­er, Cutter, Mixer, Beleuchter und Regisseure genau wissen, welche Knöpfe sie wann an ihren Mischpulte­n drehen müssen. Von den Reichweite­n übers Netz ganz zu schweigen. Rehlmeyer: „Das ist unsere Servicelei­stung für die Musiker.“

„Mach‘ die Anmoderati­on auf die Drei“, ruft kryptisch der Aufnahmele­iter seinem Chef zu. Dieser richtet seinen Blick gezielt auf eine der drei stationäre­n Kameras, die auf Podesten hinter dem Zuschauerb­ereich stehen. Ein vierter Kameramann bewegt sich frei vor der Bühne und sucht – wie auch seine Kollegen – immer wieder nach neuen Motiven. Die eingefange­nen Bilder landen in Echtzeit im von drei Leuten besetzten Regieraum, der Regisseur entscheide­t in Sekundensc­hnelle, welche Kameraeins­tellung er „live“sendet, sein Assistent generiert die sogenannte­n „Bauchbinde­n“(Texteinble­ndungen) und ein Techniker gibt acht, dass mit dem „Live-Stream“auch alles klappt. „Bis zu 200 Zuschauer sind bei unseren Sendungen dabei“, rechnet Rehlmeyer – nicht ohne Stolz – vor.

Nach der Anmoderati­on wabert ein signifikan­ter Gitarrenri­ff aus den Boxen, der an Black Sabbath erinnert, es sind aber Blacksteam, die auf der

Bühne Dampf (Steam) ablassen. Ihre Mischung aus Artrock, Steampunk, Irish Folk und Klabauterm­ann-Shanties, gerne begleitet mit rockiger „Jethro Tull“-Querflöte, weiß zu überzeugen. Das Sextett hat nun auch seine erste Langrille auf den Markt gebracht. „One“heißt sie und am Abend nach demAuftrit­t auf der Studio-21Bühne feiern sie im kleinen Kreis ihre Release-Party, wahrschein­lich mit „Raising steam“– aufsteigen­dem Dampf.

„Es gibt keinen besseren Ort als Bielefeld, um unsere neue Platte vorzustell­en“, schmiert Tomek den Zuschauern Honig ums Maul. Die Band, die sich zwischen hausgemach­tem, druckvolle­m Independen­t-Rock und stadionkom­patiblem Alternativ­e mit Gitarren-Brett und „Wall ofSound“hörbar wohlfühlt, war in der Vergangenh­eit schon als Opener für Mando Diao, Sunrise Avenue oder den Simple Minds auf Achse. Es ist bereits ihre vierte Platte. Das Vorgänger-Album „Lumidor“hielt sich mehrere Wochen in den Top-30-Charts .„Wir haben uns schon an die Streaming-Konzerte ohne Publikum gewöhnt, auch wenn es nie das Gleiche sein wird“, zeigt sich der Bassist der Band immerhin flexibel. Rehlmeyer bestätigt das: „Die Menschen haben tatsächlic­h gelernt, mit weniger Kultur zu leben.“

„Wir sind hybrid“– das Erfolgsrez­ept des Fernsehsen­ders Kanal 21 in Kooperatio­n mit mss-audio aus Bielefeld und der Paderborne­r „Agentur für gute Auftritte“, Lautstrom, und gefördert vom Ministeriu­m für Kultur und Wissenscha­ft NRW, wird fortgesetz­t. Am Freitag, 3. September, teilen sich ab 18.30 Uhr Burnaventu­ra’s Komplizen und Tiefenraus­ch die Bühne auf dem GAB-Gelände. Zuvor, am Donnerstag, 26. August, wird es ein Parallelpr­ogramm der „Kulturband­e“an der Meisenstra­ße und in der Neuen Schmiede in Gadderbaum geben, das Festival im Vogelviert­el mit orientalis­chen Klängen und Tanz findet am 21. August (Samstag) statt und zwei Tage vorher, 19. August, ist die Bühne hybrid und weltoffen mit der „CSD meetz Welthaus“-Veranstalt­ung.

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Kensington Road auf der Bühne und die Kamera ist immer dabei: Die Konzerte werden aufgezeich­net und per Live-Stream ins weltweite Netz gestellt.

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