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Wie das Afghanistan-Debakel an Bidens Image kratzt
Der US-Präsident präsentiert sich als Gegenentwurf zu Donald Trump. Mit dem chaotischen Abzug erinnert er aber an seinen ungeliebten Vorgänger. Die größte außenpolitische Krise seiner Amtszeit lässt den Demokraten in einem neuen Licht erscheinen.
¥ Washington. Wo ist dieser Joe Biden? Jener Biden, der sich üblicherweise als volksnaher und gutmütiger Präsident inszeniert, als besonnener und umsichtiger Regierungschef. In seiner bislang schwersten außenpolitischen Krise zeigt Biden nun ganz andere Seiten. Eine Auswahl:
DER ANTI-TRUMP
Biden hat die Wahl im vergangenen November auch damit gewonnen, sich als Gegenentwurf zu seinem umstrittenen Vorgänger zu präsentieren. Er trat an mit der Verheißung, Chaos und Drama zu beenden, stattdessen mit ruhiger Hand und Weitsicht zu regieren. Die bezeichnete Bidens Entscheidung, die Abzugspläne seines Vorgängers durchzuziehen, in einem Kommentar nun aber als Katastrophe und formulierte spitz: „Kann es sein, dass Donald Trump nicht wirklich aus dem Präsidentenamt ausgeschieden ist? Wenn doch, warum haben wir noch seine Außenpolitik?“In Afghanistan habe Biden eine „freiwillige Niederlage“eingesteckt – und Trumps „America First“Politik habe einen „spirituellen Sieg“verzeichnet.
DER KÜMMERER
Der Demokrat setzt Emotionen und Persönliches in seiner Politik gezielt ein, gibt sich als Meister des Mitgefühls. Mit Blick auf Afghanistan aber trat er nun aber kühl und distanziert auf. „Die Szenen, die wir in Afghanistan sehen, sind herzzerreißend“, sagte Biden zwar nach der Machtübernahme der Taliban in Kabul. Viel mehr Gefühliges kam ihm aber nicht über die Lippen. Gleichzeitig verteidigte er seinen Kurs vehement – und machte klar, den USA sei es in Afghanistan nie um die Schaffung „einer einheitlichen, zentralisierten Demokratie“gegangen, sondern nur darum, neue Terrorangriffe zu verhindern.
Biden betont bei jeder Gelegenheit seine Erfahrung und Kompetenz in der Weltpolitik, die er seit Jahrzehnten gesammelt hat: Erst als Senator, dann als Vizepräsident von Barack Obama. Trotzdem ist es Biden nicht gelungen, die Katastrophe in Afghanistan abzuwenden. Er stellt die Lage so dar, als hätte es nur zwei Optionen gegeben: Abzuziehen oder Tausende US-Soldaten als
Verstärkung zu schicken, um den Krieg mit den Taliban zu eskalieren. Tatsächlich lagen zwischen diesen beiden Extremen andere Optionen: Etwa jene, den Abzug an Erfolge bei Friedensverhandlungen zu knüpfen.
DER PARTNER
„Amerika ist zurück“wurde ein Mantra Bidens zu Beginn seiner Amtszeit. Aus Afghanistan ist Amerika auf absehbare
Zeit weg, zumindest nach dem Ende der notwendig gewordenen Evakuierungsmission. Biden hat den Verbündeten wiederholt zugesichert, dass nach den Trump-Jahren eine neue Zeitrechnung der Zusammenarbeit anbreche. Die Entscheidung, die Truppen bedingungslos aus Afghanistan abzuziehen, traf er dennoch alleine und gegen die Überzeugung anderer Bündnispartner.
DER SELBSTKRITISCHE
Biden hat versprochen, Fehler offen einzugestehen. Trotz einer Flut an Kritik auch aus seiner eigenen Partei sieht er dazu im Fall Afghanistans aber keinerlei Anlass. Er räumte lediglich ein, dass er nicht mit der Geschwindigkeit des Taliban-Siegeszugs gerechnet habe, verteidigte seinen Entschluss ansonsten aber rigoros und fast trotzig. Zwar sagte Biden auch, als Präsident liege alle Verantwortung bei ihm. Prompt schob er die Verantwortung für die verheerende Lage dann aber anderen zu.