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Rechte Esoteriker zieht es nach OWL
In einer Internetanzeige suchen mutmaßliche Anhänger der Anastasia-Bewegung ein Grundstück und weitere Gleichgesinnte im Kreis Lippe. Experten warnen vor der rechtsesoterischen Ideologie.
¥ Bielefeld. Anhänger der sektenähnlichen Anastasia-Bewegung suchen in OWL ein Haus, um offenbar ein Siedlungsprojekt zu starten. Im Internet kursiert eine entsprechende Anzeige. Doch was steckt hinter der esoterischen Bewegung, die an antisemitische und rassistische Verschwörungsmythen glaubt?
Anhänger der Anastasia-Bewegung haben ihr Leben nach einer Buchreihe ausgerichtet. Einer Buchreihe, in der neben naturreligiösen Anschauungen auch rechte und antisemitische Verschwörungsmythen sowie Demokratiefeindlichkeit verbreitet werden: die „Anastasia“-Bücher.
Zehn Teile sind erschienen, geschrieben von dem Russen Wladimir Megre. Manche Anhänger der Bewegung versuchen, nach den Büchern zu leben, vorwiegend durch Schaffung von Familienlandsitzen. Ein Lebensstil, der in die Richtung der Selbstverwalter geht. Der Tenor allerdings: Die Welt wird untergehen, die Gesellschaft ist am Ende. Da liegt der kritische Punkt: Experten und Verfassungsschützer sehen in der Bewegung verschwörungsideologische, rassistische und antisemitische Inhalte. Man kann Teile der Gruppen zudem in die völkische Blut-undBoden-Ideologie einordnen.
„Auf den ersten Blick geht es bei Anastasia um einen ökologischen Lebensstil. Doch der Eindruck trügt“, sagt Matthias Pöhlmann, Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der EvangelischLutherischen Kirche in Bayern. Er hat sich intensiv mit dem Anastasia-Kult beschäftigt, bezeichnet sie als rechte Ideologie unter esoterischen Öko-Siedlern. Und: „Es werden zum Teil krude Anschauungen verbreitet und es gibt teils deutliche Schnittstellen mit dem rechten bis rechtsextremen Spektrum.“Verfassungsschützer bezeichnen die Bewegung als heterogen. Es seien viele, verschiedene Strömungen entstanden.
Mittlerweile scheint sich auch OWLals Ort für ein Anastasia-Siedlungsprojekt zu entpuppen. Mindestens fünf Familien, so heißt es in einer Anzeige auf eBay-Kleinanzeigen, suchen ein Gemeinschaftshaus in Detmold. Ein großer Garten sollte vorhanden sein, zum Anbau von Nahrungsmitteln und zum Bauen von Häusern. Weiter heißt es:„Wir alle richten uns nach dem Lebensstil in den Büchern ’Anastasia’.“Man könne sich melden, auch um die Familien bei Interesse kennenzulernen. Auf Anfrage dieser Redaktion wollten sich die mutmaßlichen Anhänger der Bewegung nicht zu den von Experten geäußerten Vorwürfen und Kritikpunkten äußern.
Pöhlmann beobachte seit einiger Zeit, dass in entsprechenden Foren oder sozialen Medien vermehrt nach Immobilien oder generell Gleichgesinnten gesucht wird. Er hält die Immobilien-Anzeige aus Detmold für echt. Der Experte bemerkt, dass Anhänger der Bewegung aktiver werden, um sich zu treffen, zu vernetzen und Familienlandsitze zu schaffen. Doch sind die Anhänger der Bewegung am Ende doch nur Esoteriker mit abstraktem Glauben? Oder stecken auch Gefahren dahinter? Fakt ist: Bei manchen Personen aus dem Umfeld der Bewegung sind deutliche Vernetzungen in die rechtsextreme Szene zu erkennen, wie Pöhlmann berichtet, andere sympathisieren mit Reichsbürgern und der ganzen Szene der Staatsleugner. Auch Verfassungsschützer sehen personelle Überschneidungen in der Reichsbürger-Szene.
Die Bewegung hat in NRW bisher kaum eine Rolle gespielt. Vor einem Jahr hieß es aus dem Innenministerium, dass der Verfassungsschutz keine Kenntnisse über Aktivitäten der Bewegung in NRW hatte. Mittlerweile heißt es, der NRW-Verfassungsschutz prüfe Hinweise auf Aktivitäten.
Aufgefallen ist die Bewegung vor allem in Ostdeutschland, teils auch in Bayern oder Baden-Württemberg. Dort existieren bereits Siedlungsprojekte – insgesamt soll es 17 im Bundesgebiet geben. Zum Beispiel im tiefsten Brandenburg, im Dorf Grabow bei Blumenthal. Anhänger der Anastasia-Bewegung haben hier mehrere Hektar Land ergattert und eine eigene Gemeinde aufgebaut: Goldenes Grabow.
Pöhlmann sagt: „Teils sind die Anhänger der Bewegung einfach esoterisch und ökologisch veranlagt. Andere wiederum haben eine Vergangenheit in rechtsextremen Kreisen. Generell bietet die Anastasia-Bewegung zahlreiche Berührungspunkte mit der rechtsextremen Szene.“Und weil die Übergänge zwischen Verschwörungsgläubigen, Impfgegnern, rechten Esoterikern bis hin zu Antisemiten und extrem Rechten immer weiter aufweichen, sollte man die Anastasia-Bewegung künftig genaustens Blick haben, rät der Experte.
Auch in der NRW-Politik ist das Thema bereits angekommen. Die Vorsitzende und innenpolitische Sprecherin der Grünen, Verena Schäffer, sagt: „Die Ideologie der AnastasiaBewegung hat einen völkischen, antisemitischen und rassistischen Kern. Sie ist demokratiefeindlich, gibt sich aber ein naturverbundenes Image und versucht darüber ihre Ideologie zu verbreiten.“Sie sieht eine Gefahr darin, dass durch abgeschottetes Leben in der Gemeinschaft die Ideologie an die Kinder weitergegeben werde. „Deshalb muss der Verfassungsschutz diese Gruppierung beobachten. Außerdem wären Hinweise für Kommunen und Immobilienbesitzer sinnvoll, wenn der Verfassungsschutz Aktivitäten in NRW feststellt, um einen Immobilienerwerb zu verhindern“, fordert Schäffer.